1. Quartal dieses Jahres: 6151 Menschen abgeschoben. Dramatische Beispiele

23.05.2025 In vielen Kommunen protestier(t)en Menschen gegen die Abschiebung von Arbeitskolleg:in, Mitschüler:in, Freund:in oder Nachbar:in. Einige Fälle schaffen es in überregionale Nachrichten. Leider bleiben die Bemühungen meist ohne Erfolg.

Nun liegen die Zahlen zu den vermehrten Abschiebungen auf dem Tisch: Noch die alte Bundesregierung hat Rekordzahlen produziert, um Stärke zu zeigen. Für das ganze Jahr wird erwartet. Zahlreiche Medien berichten heute über die Zahlen, die LINKEN-Abgeordnete Clara Bünger von der Bundesregierung erfragt hatte. Sie weiß von beispiellosen Vorgehens:

„... brutal und ohne jede Empathie“ sei die Polizei in etlichen Fällen vorgegangen.

„Wir sprechen davon, dass Familien eiskalt auseinandergerissen werden oder davon, dass kranke Menschen regelrecht aus dem Krankenhaus entführt und von dort zum Abschiebeflug gekarrt wurden.“

Zudem haben die Charterflüge hohe Kosten verursacht. Dazu die

Ein anderes Beispiel gnadenloser Abschiebung wurde durch den Start einer OpenPetition bekannt Von Frankfurt ins Ungewisse – Diese Abschiebung darf nicht das letzte Wort sein.   Die Tagesschau berichtete am 16.05.2025: Frankfurter Familie ohne Vorankündigung in fremdes Land abgeschoben  (Beide Texte unten).

Stand: 16.05.2025 17:11 Uhr

In den Osterferien ist eine aus Afghanistan stammende Familie nach Indien abgeschoben worden. Die früheren Mitschüler der beiden Söhne sind geschockt - und gingen in Frankfurt auf die Straße.

 

Wir zitieren:

Die Abschiebungen kosteten das Land bereits Hunderttausende Euro. Für Aufsehen sorgte der Fall eines abgeschobenen Mädchens aus Syrien.

Im Jahr 2025 könnte Deutschland einen neuen Höchstwert bei den Abschiebungen erreichen. In den ersten drei Monaten sind 6151 Menschen abgeschoben worden. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervor, die dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Freitag vorlag.

Hochgerechnet sind das mehr Abschiebungen als in Vorjahren

Hochgerechnet auf das gesamte Jahr wären das mehr als 24.000 Abschiebungen – und damit deutlich mehr als in den Vorjahren. 2024 wurden insgesamt etwa 20.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben, 2023 waren es rund 16.500 Abschiebungen.

Die Zahl könnte in diesem Jahr jedoch noch stärker steigen, als die Zahlen des ersten Quartals vermuten lassen: Die Abschiebungen in den ersten Monaten des Jahres lagen noch in der Verantwortung der alten Bundesregierung. Insbesondere CDU und CSU haben angekündigt, künftig mehr Rückführungen auszuführen als bisher.

Die meisten Menschen wurden in die Türkei, Georgien, Spanien abgeschoben

Die meisten wurden demnach in die Türkei, nach Georgien, Frankreich, Spanien und Serbien abgeschoben. 157 Menschen wurden in den Irak abgeschoben, fünf in den Iran. Bei rund 1700 der Abschiebungen handelt es sich um sogenannte „Dublin-Überstellungen“ in andere europäische Länder, die nach der Dublin-Verordnung für das Asylverfahren zuständig sind.

Das Dublin-Abkommen zum Umgang mit Asylbewerbern in der Europäischen Union sieht vor, dass Flüchtlinge ihren Asylantrag in dem EU-Land stellen müssen, in dem sie als erstes europäischen Boden betreten.

Abschiebungen verursachen kostspielige Charterflüge

Etwas mehr als ein Drittel der Abschiebungen fand dem Bericht zufolge mit kostspieligen Charterflügen statt. Besonders teuer und aufwendig waren Sammelabschiebungen nach Pakistan. Die Kosten dafür beliefen sich demnach auf 462.000 Euro. Die Kosten für Abschiebeflüge nach Äthiopien betrugen 418.000 Euro, weitere nach Nigeria, Ghana und Kamerun 380.000 Euro. Bei vielen dieser Flüge trug allerdings die europäische Grenzschutzagentur Frontex die Kosten.

Die Linken-Abgeordnete Clara Bünger kritisierte das Vorgehen der Behörden. Ihr seien „etliche Abschiebungen“ bekannt, bei denen die Polizei „brutal und ohne jede Empathie“ vorgegangen sei. „Wir sprechen davon, dass Familien eiskalt auseinandergerissen werden oder davon, dass kranke Menschen regelrecht aus dem Krankenhaus entführt und von dort zum Abschiebeflug gekarrt wurden“, sagte Bünger dem RND. 

Verstörender Fall eines zehnjährigen Mädchens aus Syrien

Für Aufsehen sorgte der Fall eines zehnjährigen Mädchens aus Syrien. Es soll laut Medienberichten mit seiner Familie in Naumburg in Sachsen-Anhalt leben. Weil die Familie des Mädchens das Land nicht wie aufgefordert verlassen habe, sollen Polizisten die Schülerin aus dem Unterricht geholt haben. Unter Tränen und an seine Lehrerin geklammert, soll sich das Kind gegen seine Abholung gewehrt haben, bevor es mit seinen Eltern zusammengeführt wurde.
 

In den Osterferien ist eine aus Afghanistan stammende Familie nach Indien abgeschoben worden. Die früheren Mitschüler der beiden Söhne sind geschockt - und gingen in Frankfurt auf die Straße.

Es hätte eigentlich ein Routinetermin sein sollen. Am 16. April sollten Pinky Kaur Kapoor und ihr Mann Pal Singh wieder einmal bei der Frankfurter Ausländerbehörde vorstellig werden.

Seit ihrer Ankunft in Deutschland 2018 musste die Familie in regelmäßigen Abständen ihre Duldung verlängern lassen. Außergewöhnlich war nur, dass diesmal auch die beiden Söhne Angad (16 Jahre) und Gunit (zwölf Jahre) dabei sein sollten.

Was dann geschah, traf die Familie vollkommen unvorbereitet. "Plötzlich waren da sieben oder acht Polizisten. Und die sagten nur: Wir schicken Euch heute nach Indien", erinnert sich Pinky Kaur Kapoor. "Ich habe noch gefragt: Wieso schicken Sie uns nach Indien? Wir sind doch keine Inder!“

Der Protest bleibt erfolglos. Bundespolizisten begleiten die Familie zu ihrer Wohnung. 20 Minuten bleiben den Kapoors zum Packen. Kurz darauf sitzen sie im Flieger. Zielflughafen: Neu-Delhi. Zukunft: ungewiss.

Mitschüler: "Dachte, die machen einen Witz"

Der Schock über die plötzliche Abschiebung sitzt tief. Nicht nur bei den Kapoors. Als am Dienstag nach Ostern der Unterricht an der Johanna-Tesch-Schule in Frankfurt-Bockenheim wieder beginnt, bleiben zwei Stühle leer - die von Angad und Gunit. Seit fünf beziehungsweise zwei Jahren besuchen beide die Integrierte Gesamtschule.

Dass bei seinem Kumpel Angad etwas im Argen liegt, hatte Erfan Mirzada da schon geahnt. "Mitten in den Osterferien hat er uns bei Social Media plötzlich überall entfernt." Erfan und seine Klassenkameraden vermuten einen Schicksalsschlag, vielleicht einen Trauerfall.

Als schließlich ein Mitschüler Angad doch noch erreicht, erfahren sie, dass die gesamte Familie abgeschoben wurde und am Flughafen von Neu-Delhi gestrandet ist. "Ich konnte es gar nicht glauben. Ich dachte zuerst, die machen einen Witz."

Abschiebung kurz vor dem Hauptschulabschluss

Dass es sich um alles andere als einen Witz handelt, wird Erfan und die übrigen Schülerinnen und Schüler an der Johanna-Tesch-Schule in den ersten Unterrichtsstunden nach den Ferien bestätigt. "Das war die schwierigste Stunde in meinem ganzen Leben", sagt Lehrerin Eda Höhne. Allerlei Gerüchte seien da schon auf dem Schulhof kursiert.

Letztlich sei es an ihr und ihren Kolleginnen hängen geblieben, Angads und Gunits Mitschüler zu informieren. "Ich musste meiner Klasse also mitteilen, dass ein Schüler abgeschoben worden ist und auch nicht mehr wiederkommen wird."

Dabei stand Angad nur wenige Wochen vor seinem Hauptschulabschluss. "Und er hätte mit Sicherheit auch seinen Realschulabschluss gemeistert", ist sich Höhne sicher.

Anzahl der Abschiebungen aus Hessen steigt

Das Schicksal der Familie Kapoor ist kein Einzelfall. Die Zahl der Abschiebungen aus Hessen steigt kontinuierlich. Allein in den ersten drei Monaten 2025 wurden nach Angaben des hessischen Innenministeriums 566 Personen abgeschoben - 45 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Geflüchteten-Initiativen wie der Hessische Flüchtlingsrat oder Pro Asyl beklagen, dass von der sogenannten Abschiebeoffensive zunehmend vulnerable Gruppen und Familien betroffen sind.

"Für uns ist das ein fremdes Land"

Doch der Fall Kapoor weist einige Besonderheiten auf. Nach eigenen Angaben stammt die Familie aus Afghanistan und gehörte dort der seit Jahrzehnten diskriminierten und verfolgten religiösen Minderheit der Sikhs an.

2018 habe sich die Familie entschieden, das Land mit Hilfe eines "Agenten" zu verlassen, berichtet Pinky Kaur Kapoor. Über Zwischenstationen in Pakistan und anderen Ländern seien sie schließlich in Deutschland gelandet.

Die Mehrheit der weltweit rund 25 Millionen Sikhs lebt nach wie vor in Indien. Dies dürfte einer der Gründe sein, weshalb die Kapoors ausgerechnet nach Neu-Delhi abgeschoben wurden. "Für uns aber ist das ein fremdes Land. Wir kennen Indien nicht", sagt Pinky Kaur Kapoor im Gespräch mit dem hr.

Mehrere Tage am Flughafen verbracht

Genauere Auskunft über die Gründe für die unangekündigte Abschiebung könnte das zuständige Regierungspräsidium Darmstadt geben. Ein Sprecher sagte auf hr-Anfrage, dass die Behörde "zu konkreten Einzelfällen aus Gründen der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen" keine Stellung nehme. Allerdings sei die Familie laut Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bereits seit Ende 2018 vollziehbar ausreisepflichtig.

 

Am 16. April 2025 wurde die Familie Kapoor – bestehend aus Pinky Kaur Kapoor, Pal Singh sowie den beiden Söhnen Angad (16) und Gunit (12) – ohne Vorwarnung aus Frankfurt nach Indien abgeschoben. Die Familie stammt ursprünglich aus Afghanistan und gehört der dort verfolgten Minderheit der Sikh an. Seit 2018 lebten sie in Deutschland, waren bestens integriert und Teil der Frankfurter Stadtgesellschaft. Angad stand kurz vor seinem Hauptschulabschluss.

Die Abschiebung erfolgte ohne Vorankündigung: Bei einem Routine-Termin in der Ausländerbehörde wurde die Familie plötzlich mit Polizeibegleitung zur Ausreise gezwungen. Sie hatte keine Möglichkeit, sich zu verabschieden, persönliche Dinge zu ordnen oder sich juristisch zu wehren. Der Zielstaat Indien ist für die Familie fremd – dort haben sie weder soziale Netzwerke noch kulturelle Bindung.

Als Zentralrat der afghanischen Hindus und Sikhs fordern wir:
1. Die sofortige Rückkehr der Familie Kapoor nach Deutschland.
2. Ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht für alle Mitglieder dieser Familie.
3. Ein Ende unangekündigter Abschiebungen, insbesondere bei schulpflichtigen Kindern.
4. Die konsequente Berücksichtigung der Bedrohungslage afghanischer Hindus-Sikhs Hindus im Asyl- und Bleiberecht der Bundesrepublik Deutschland.

Wir appellieren an das Hessische Innenministerium, die Stadt Frankfurt und die Bundesregierung: Zeigen Sie Haltung. Geben Sie dieser Familie ihre Würde, ihre Heimat und ihre Sicherheit zurück.

Jetzt unterschreiben – für Gerechtigkeit, Integration und ein Ende der Angst.

Zentralrat der afghanischen Hindus und Sikhs in Deutschland
Frankfurt am Main, Mai 2025