aktualisiert 19.07.2025: Die Kritik am Abschiebeflug wird fortgesetzt, auch weil sich herausstellt, dass dabei nicht nur "schwere und schwerste Straftäter" betroffen waren (s. unten)
- Tagesschau 18.07.2025 Scharfe Kritik am Abschiebeflug nach Afghanistan
Deutschland hat 81 afghanische Staatsangehörige in ihr Herkunftsland abgeschoben. Menschenrechtsorganisationen zeigen sich entsetzt. Kritik gibt es auch wegen möglicher Kontakte zur militant-islamistischen Taliban.
Der Abschiebeflug mit 81 afghanischen Staatsangehörigen hat scharfe Kritik ausgelöst. Die menschenrechtliche Lage in Afghanistan sei katastrophal. "Außergerichtliche Hinrichtungen, Verschwindenlassen und Folter" seien dort an der Tagesordnung, hieß es von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Niemand verdiene das, "auch nicht Straftäter", erklärte die Amnesty-Generalsekretärin in Deutschland, Julia Duchrow. "Menschenrechte gelten entweder für alle Menschen, oder für niemanden."
UN-Hochkommissar für "sofortigen Stopp"
Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Volker Türk, kritisierte jegliche Abschiebungen von Afghanen in ihr Heimatland scharf. "Türk fordert einen sofortigen Stopp der gewaltsamen Rückführung aller afghanischen Flüchtlinge und Asylsuchenden, insbesondere derjenigen, denen bei ihrer Rückkehr Verfolgung, willkürliche Inhaftierung oder Folter drohen", teilte sein Büro mit.
Die Kritik gelte auch für Deutschland, sagte die Sprecherin des Büros, Ravina Shamdasani, auf Nachfrage. "Menschen sollten nicht nach Afghanistan zurückgeschickt werden", sagte sie. Vielen drohten dort Folter, unmenschliche Behandlung und Bestrafung. Zudem sei die humanitäre Lage verheerend.
Pro Asyl: "Eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht"
Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl sprach von einem "eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht". Die Europäische Menschenrechtskonvention verbiete Abschiebungen, wenn Folter oder unmenschliche Behandlung drohten, erklärte Wiebke Judith, die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl. ...
Nur "schwere und schwerste Straftäter" ?
-
Tagesschau 18.07.2025 Abschiebung ins Ungewisse
Deutschland hat wieder Menschen nach Afghanistan abgeschoben. Offiziell alles schwere Straftäter. Eine zurückgebliebene Verlobte und ihre Mutter widersprechen dieser Darstellung.
... Innenminister Dobrindt hatte gesagt: "Es geht ja dabei um schwere und schwerste Straftäter, die abgeschoben werden."
Für ihren Verlobten gelte das nicht, sagt eine junge Deutsche, die in der Bundesrepublik zurückgeblieben ist. Aus Angst, ihre Aussage könnte dem jungen Mann schaden, will sie anonym bleiben. Die Taliban lebten ja nicht hinter dem Mond. Sie lässt ihre Mutter sprechen: Der Verlobte ein schwerer Straftäter? "Nein, also definitiv nicht. Er hatte eine Bewährungsstrafe wegen des Betäubungsmittelgesetzes. Er ist kein Sexualstraftäter und er ist auch kein Mörder."
Verhaftet beim Routinetermin
Der Betroffene sei als Minderjähriger nach Deutschland gekommen, habe die Schule und eine Lehre abgeschlossen, gearbeitet und Sozialabgaben gezahlt. Beim wöchentlichen Vorsprechtermin zur Verlängerung der Duldung sei er in der Ausländerbehörde verhaftet worden.
Die Frauen sind "sehr traurig, fassungslos". Verlassen von der Regierung und den Behörden, obwohl Anträge gestellt worden sind, die eigentlich hätten bearbeitet werden müssen, sagen sie - und wünschen sich einen differenzierten Umgang mit den Betroffenen. Ihr Verlobter habe inzwischen Deutschland als seine Heimat angesehen, sagt die junge Frau. Pro Asyl schätzt den Fall aufgrund der eingereichten Unterlagen als glaubwürdig ein...
18.07.2025 Nach dem Start des Abschiebefliegers nach Afghanistan bleibt Dobrindts Aktion umstritten.
Am Flughafen Leipzig/Halle ist ein Abschiebeflug nach Kabul in Afghanistan gestartet. Es ist der erste seit über einem Jahr...
... Wie eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums mitteilte, befinden sich 81 Menschen an Bord. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte im "Morgenmagazin" der ARD, es handele sich dabei um "schwere und schwerste Straftäter". Die Rückführung kam seinen Angaben zufolge mit Hilfe des Golfemirats Katar und über "technische Kontakte" mit Afghanistan zustande.
... Dobrindt bekräftigte, dass aus seiner Sicht Gespräche mit den Taliban nötig sind, um weitere Abschiebungen zu ermöglichen. "Damit beginnen wir, einen weiteren Teil des Politikwechsels aus dem Koalitionsvertrages umzusetzen", so der Innenminister. Abschiebungen nach Afghanistan müssten auch zukünftig gesichert stattfinden können. "Es gibt kein Aufenthaltsrecht für schwere Straftäter in unserem Land", sagte Dobrindt.
... Termin direkt vor Migrationsgipfel Auffällig ist unterdessen der Termin des aktuellen Fluges: Er fliegt just an dem Tag ab, an dem Bundesinnenminister Dobrindt (CSU) seine Kollegen aus fünf europäischen Nachbarländern öffentlichkeitswirksam zum "Migrationsgipfel" einlädt. Dobrindt geht es um eine Verschärfung der Migrationspolitik in Europa. Erst vor wenigen Tagen hatte Dobrindt zudem gefordert, künftig direkt mit den radikal-islamischen Taliban zu verhandeln, statt dies über den Vermittler Katar zu tun. (mdr)
Dazu eine Pressemitteilung von Pro Asyl:
- PRO ASYL: Abschiebeflug nach Afghanistan verstößt gegen das Völkerrecht!
Laut Medienberichten startet heute ein Flugzeug vom Flughafen Leipzig, um Afghanen nach Afghanistan abzuschieben. Das ist der zweite deutsche Abschiebungsflieger seit der Machtübernahme der Taliban.
“Abschiebungen nach Afghanistan sind ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht, denn die Taliban herrschen dort mit brutaler Gewalt wie Auspeitschungen und Hinrichtungen für Verstöße gegen ihre Sittenregeln. Zudem ist auch die humanitäre Situation in dem Land katastrophal. Die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet Abschiebungen, wenn Folter oder unmenschliche Behandlung drohen. Das ist in Afghanistan der Fall“, kommentiert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL. ...
Am Flughafen Leipzig/Halle ist ein Abschiebeflug nach Kabul in Afghanistan gestartet. Es ist der erste seit über einem Jahr. An Bord befinden sich 81 abgelehnte Asylbewerber aus mehreren Bundesländern. Dabei handelt es sich nach Angaben des Innenministeriums um "schwere und schwerste Straftäter".
Erstmals seit August 2024 ist am Freitagmorgen wieder ein Abschiebeflug nach Afghanistan gestartet. Nach Recherchen von MDR und NDR war der Start des Airbus A330 der Qatar Airways vom Flughafen Leipzig/Halle für 7:15 Uhr erwartet worden, verzögerte sich aber zunächst. Die Maschine hob gegen 8:35 Uhr von der Startbahn in Leipzig ab. Das Flugzeug wird um 16:45 Uhr in der afghanischen Hauptstadt Kabul erwartet.
Den Recherchen zufolge war das Flugzeug extra für die Abschiebung gechartert worden und gestern um 16:21 Uhr in Leipzig gelandet. Wie eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums mitteilte, befinden sich 81 Menschen an Bord. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte im "Morgenmagazin" der ARD, es handele sich dabei um "schwere und schwerste Straftäter". Die Rückführung kam seinen Angaben zufolge mit Hilfe des Golfemirats Katar und über "technische Kontakte" mit Afghanistan zustande.
Dobrindt: Gespräche mit Taliban für Abschiebungen nötig
Dobrindt bekräftigte, dass aus seiner Sicht Gespräche mit den Taliban nötig sind, um weitere Abschiebungen zu ermöglichen. "Damit beginnen wir, einen weiteren Teil des Politikwechsels aus dem Koalitionsvertrages umzusetzen", so der Innenminister. Abschiebungen nach Afghanistan müssten auch zukünftig gesichert stattfinden können. "Es gibt kein Aufenthaltsrecht für schwere Straftäter in unserem Land", sagte Dobrindt.
Abschiebungen nach Afghanistan umstritten
Abschiebungen nach Afghanistan sind umstritten, da in dem Land Menschenrechtsverletzungen drohen und rechtsstaatliche Verfahren nicht sichergestellt sind. Folglich hatten unter anderem bereits das Deutsche Institut für Menschenrechte, die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL und der Sächsische Flüchtlingsrat Abschiebungen nach Afghanistan als unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem deutschen Grundgesetz bezeichnet.
Zudem hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Anfang Juli Haftbefehle gegen Anführer der militant-islamistischen Taliban erlassen. Grund ist die Unterdrückung von Frauen in Afghanistan. Deutliche Kritik kam auch vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein. Rechtsanwältin Berenice Böhlo vom Vorstand des RAV erklärte auf Anfrage des MDR: "Die Abschiebungen heute nach Afghanistan sind auch ein Angriff auf den Grundsatz der Universalität der Menschenrechte, denn Schutz vor Folter, erniedrigender und unmenschlicher Behandlung gilt für alle." Mit dem Regime dürfe keine Kooperation erfolgen.
Nach der Machtübernahme der radikal-islamischen Taliban in Afghanistan im August 2021 hatte die Bundesrepublik Abschiebungen nach Afghanistan zunächst ausgesetzt. Nach dreijähriger Unterbrechung startete am 30. August 2024 erneut ein Abschiebeflug mit 28 Männern an Bord. Ein laut Recherchen der Süddeutschen Zeitung bis Februar 2025 angekündigter Abschiebeflug kam offenbar nicht zustande.
Taliban nicht anerkannt
Bis heute heißt es auf der Seite des Auswärtigen Amtes: "Die Bundesregierung erkennt die De-facto-Regierung der Taliban politisch nicht als legitime Regierung Afghanistans an. Die deutsche Botschaft Kabul ist seit dem 15. August 2021 bis auf Weiteres geschlossen." Ob für die nun durchgeführte Abschiebung direkt mit den Taliban verhandelt wurde oder ob die Verhandlungen über eine Vermittler-Partei liefen ist bislang nicht bekannt.
Einer Abschiebung gehen langwierige und umfangreiche Vorbereitungen voraus. Dazu zählen nicht nur gesundheitliche Untersuchungen zur Flugtauglichkeit, Fluggenehmigungen und die Frage, ob Drittstaaten und der rücknehmende Staat kooperieren, sondern auch die Abschiebehaft selbst. Diese darf höchstens sechs Monate andauern: Für drei in Sachsen in Abschiebehaft befindliche Personen läuft diese Frist in dieser Woche aus.
Termin direkt vor Migrationsgipfel
Auffällig ist unterdessen der Termin des aktuellen Fluges: Er fliegt just an dem Tag ab, an dem Bundesinnenminister Dobrindt (CSU) seine Kollegen aus fünf europäischen Nachbarländern öffentlichkeitswirksam zum "Migrationsgipfel" einlädt. Dobrindt geht es um eine Verschärfung der Migrationspolitik in Europa. Erst vor wenigen Tagen hatte Dobrindt zudem gefordert, künftig direkt mit den radikal-islamischen Taliban zu verhandeln, statt dies über den Vermittler Katar zu tun.