Afghanistan-Aufnahmeprogramm: Keine eindeutigen Zusagen durch Dobrindt (2)

29.11.2025 Es ist viel Druck auf Dobrindt entstanden, im Parlament, in den Medien, durch Gerichtsentscheidungen. Doch klare Zusagen macht er immer noch nicht. Das Schicksal der in Pakistan wartenden, bedrohten Menschen bleibt ungewiss. Gewissheit über ihre Sicherheit haben nur diejenigen, die tatsächlich im Flieger nach Deutschland sitzen; am Donnerstag waren es wieder 71 Menschen von noch etwa 1780 Wartenden.

Es sei anvisiert, bis Jahresende dem Großteil dieser Menschen in Pakistan mit rechtsverbindlichen Aufnahmezusagen Einreisen zu ermöglichen, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums am Mittwoch in Berlin. (epd)

Der Bundesinnenminister kündigt an, weitere Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage nach Deutschland zu holen. Aber nicht alle. Kritiker sprechen von Willkür. (Zeit)

„Dobrindt versteckt sich hinter Paragrafen, anstatt politische Verantwortung für gefährdete Menschen zu übernehmen“, kritisierte Bünger weiter. „Diese bürokratische Kälte ist erschütternd.“ (taz)

Derweil bereitet die Bundesregierung weiter die vermehrte Abschiebung nach Afghanistan vor. Dabei macht sie den Taliban Zugeständnisse, teilt den dortigen Behörden vor der Maßnahme Details zu den Straftaten der Betroffenen mit und akkreditierte Taliban-Vertreter als Konsularbeamte in Berlin und Bonn. 

Im Folgenden eine Zusammenstellung von Medienbeiträgen der letzten Tage:

 

Zum zehnten Mal seit Antritt der Koalition sind Flieger aus Afghanistan in Deutschland gelandet. Gerichte hatten zuvor den Druck auf die Bundesregierung erhöht.

Insgesamt 71 Afghaninnen und Afghanen aus den Bundesaufnahmeprogrammen sind mit Linienflugzeugen nach Deutschland eingereist. Die Männer und Frauen seien aus der pakistanischen Hauptstadt Islamabad kommend in Hannover und Berlin gelandet, teilte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums mit.

Alle 71 hätten zuvor eine rechtsverbindliche Zusage zur Einreise erhalten und das Aufnahmeverfahren sowie eine Sicherheitsprüfung vollständig durchlaufen, hieß es weiter. Bei acht der Eingereisten lag demnach zudem ein Gerichtsbeschluss vor, der Deutschland verpflichtete, die Einreise zu ermöglichen und die erforderlichen Visa auszustellen....

 

Der Bundesinnenminister kündigt an, weitere Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage nach Deutschland zu holen. Aber nicht alle. Kritiker sprechen von Willkür.

Die Nachricht des Bundesinnenministeriums erreichte Hunderte Afghaninnen und Afghanen per E-Mail: mehrere Tausend Euro, wenn sie im Gegenzug auf ein Aufnahmeverfahren für Deutschland verzichten. Ein einst ranghoher afghanischer Richter hat dieses Angebot abgelehnt. So berichtet es eine Juristin, die seinen Fall betreut. Denn in sein Heimatland zurückzukehren, ist für den Familienvater undenkbar. Er fürchtet Folter, für sich, seine Frau, die vier Kinder. Womöglich sogar seinen Tod. 

Schließlich habe er als Richter früher jene verurteilt, die nun wieder das Sagen in Afghanistan haben: die Taliban

Seit drei Jahren wartet der Mann auf seine versprochene Einreise nach Deutschland. Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 sei er wegen Morddrohungen zunächst untergetaucht. Im Dezember 2022 bekam er eine Aufnahmezusage der Bundesregierung. Mithilfe der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gelang der Familie die Flucht nach Pakistan, dort wollten sie ihr Visum für Deutschland beantragen. Erteilt aber wurde das bis heute nicht – so wie in Hunderten anderen Fällen. 

In dieser Woche hat Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) in einer Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestags zwar betont, er wolle weitere Afghaninnen und Afghanen aufnehmen, die in Pakistan ausharren. Doch diese Ankündigung gilt nicht für alle, auch nicht für den Richter. Denn manche der Zusagen, die die Bundesregierung afghanischen Menschen einst gab, sollen verbindlicher sein als andere. Hilfsorganisationen und Politiker der Opposition sprechen von Willkür.  

Unterschiedliche Programme, unterschiedliche Verbindlichkeit?

Dem Bundesinnenministerium zufolge befinden sich aktuell noch rund 1.780 Personen mit Aufnahmezusage aus Deutschland in Pakistan. Hinzu kommen Menschen, die in den vergangenen Monaten bereits von pakistanischen Behörden zurück nach Afghanistan abgeschoben wurden, dort aber weiter von deutschen Behörden betreut werden – es sollen rund 230 Personen sein.  

Nur wenige konnten bisher ihre Aufnahmezusage durchsetzen. Nachdem monatelang gar keine Verfahren abgeschlossen wurden, zeitweise nicht mal Mitarbeitende des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vor Ort waren, um die notwendigen Sicherheitsinterviews für die Einreise durchzuführen, wurden Anfang September die ersten Menschen aus Pakistan ausgeflogen. Seither sind 186 Personen nach Deutschland gekommen, der bisher letzte Flieger mit 52 Menschen an Bord landete am vergangenen Donnerstag. Die große Mehrheit von ihnen hatte ihre Einreise zuvor gerichtlich erstritten. Mit Unterstützung der Hilfsinitiative Kabul Luftbrücke und einer Reihe von Anwälten klagten sie vor dem Verwaltungsgericht Berlin.  

Auch der einst ranghohe afghanische Richter tat das. Doch während andere recht bekamen, wurde seine Klage in zweiter Instanz vom Berliner Oberverwaltungsgericht (OVG) abgewiesen. Um diese Entscheidung zu verstehen, ist ein Blick auf die verschiedenen Programme nötig, im Rahmen derer die Menschen ihre Aufnahmezusage aus Deutschland erhalten hatten. Und aus denen sich nun unterschiedliche Ansprüche ergeben sollen.   

 

Die Aufnahme von Afghanen läuft nur schleppend. Die Opposition hält das für unmenschlich. Nun kündigte der Innenminister die Aufnahme weiterer Ortskräfte an - auf Geld für den Einreiseverzicht setzt er aber weiter.

Wie geht es weiter mit der Aufnahme von Afghaninnen und Afghanen? Bundesinnenminister Alexander Dobrindt betonte am Mittwoch vor dem Innenausschuss des Bundestags, dass die Bundesregierung ein "politisches Interesse" an der Aufnahme von früheren Ortskräften aus Afghanistan hat: "Ortskräfte sind für uns Personen, für die wir eine nachlaufende Verantwortung sehen." Auch sie sollen noch eine Sicherheitsüberprüfung erhalten und wenn sie diese "positiv durchlaufen", sollen sie in Deutschland aufgenommen werden....

 

Nach langem Zögern der Bundesregierung können in den kommenden Wochen wahrscheinlich doch viele Afghaninnen und Afghanen, denen Schutz versprochen wurde, nach Deutschland kommen.

Es sei anvisiert, bis Jahresende dem Großteil dieser Menschen in Pakistan mit rechtsverbindlichen Aufnahmezusagen Einreisen zu ermöglichen, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums am Mittwoch in Berlin.

Als rechtsverbindlich werden Zusagen über das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan angesehen. Dabei geht es um rund 1.200 Afghaninnen und Afghanen, von denen bislang nur ein kleiner Teil in den vergangenen Wochen eingereist ist.

Am Mittwochmorgen musste Dobrindt bei einer von den Grünen beantragten Sondersitzung des Innenausschusses Rede und Antwort stehen zu den bislang zögerlichen Aufnahmen von Menschen aus Afghanistan, denen Deutschland in der Vergangenheit Schutz versprochen hatte. Derzeit warten in Pakistan noch rund 1.900 Afghaninnen und Afghanen, die wegen ihrer Arbeit für die Bundeswehr oder ihr Engagement für den Aufbau eines demokratischen Staats heute Verfolgung durch die Taliban fürchten müssen, auf eine Einreisegenehmigung.

SPD-Politiker spricht von "Bewegung" in der Sache

Die im Mai vereidigte Bundesregierung stellte die Aufnahmen infrage. Dobrindt stoppte die Einreisen und ließ seitdem fast ausschließlich Menschen einreisen, deren Aufnahmezusage von einem Gericht als rechtsverbindlich anerkannt wurde. Nach vielen Gerichtsurteilen zeigt sich, dass die Mehrheit der Zusagen auch die aktuelle Bundesregierung rechtlich bindet, insbesondere die Zusagen aus dem Bundesaufnahmeprogramm. Dennoch kamen erst rund 180 Menschen in den vergangenen Wochen an.

Der SPD-Innenpolitiker Hakan Demir sagte nach der Sitzung des Innenausschusses dem Evangelischen Pressedienst (epd), sein Gefühl sei, "dass endlich ein wenig Bewegung in die Sache kommt". "Die Regierung sollte Afghaninnen und Afghanen mit gültigen Aufnahmezusagen zügig nach Deutschland holen", sagte er. Das Versprechen habe auch die neue Regierung abgegeben.

 

Immer noch sitzen vor den Taliban geflohene Af­gha­n*in­nen in Pakistan fest. Der Innenminister will wohl weiter nur die evakuieren, die darauf klagen.

afp/epd | Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat die Einreise von weiteren in Pakistan festsitzenden Schutzsuchenden aus Afghanistan angekündigt. Es werde in den kommenden Wochen weitere Aufnahmen geben, möglicherweise auch in verstärkter Form, sagte er nach Angaben der Bundestagsverwaltung am Mittwoch im Innenausschuss des Parlaments. Es sei anvisiert, bis Jahresende dem Großteil dieser Menschen in Pakistan mit rechtsverbindlichen Aufnahmezusagen Einreisen zu ermöglichen, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums am Mittwoch in Berlin.

Allerdings bietet die Rechtsverbindlichkeit ein Schlupfloch, denn das Bundesinnenministerium erkennt Aufnahmezusagen bisher nur an, nachdem deren In­ha­be­r*in­nen dies vor Gericht erzwungen haben. De Facto verändert sich durch Dobrindts neue Aussagen also wohl kaum etwas. Nach wie vor dürfte es für die Betroffenen sehr schwierig werden, nach Deutschland zu kommen.

Wer keine rechtsverbidliche Zusage hat, muss laut Dobrindt ohnehin davon ausgehen, nicht nach Deutschland kommen zu können. Die Bundesregierung bemühe sich, die Aufnahmen noch in diesem Jahr abzuarbeiten, sagte der Minister den Angaben zufolge. Aus deutscher Sicht sei aber auch im Januar oder Februar noch die Aufnahme Betroffener möglich.

Kritik im Ausschuss

Scharfe Kritik an Dobrindt äußerte nach der nichtöffentlichen Sondersitzung des Innenausschusses hingegen die Linke. Der Minister habe „unmissverständlich klargemacht, dass Afghaninnen und Afghanen mit einer Aufnahmezusage im Rahmen der Menschenrechtsliste und des sogenannten Überbrückungsprogramms nicht aufgenommen werden und keine Zukunft in Deutschland habe“, erklärte die Linken-Migrationsexpertin Clara Bünger. „Dobrindt versteckt sich hinter Paragrafen, anstatt politische Verantwortung für gefährdete Menschen zu übernehmen“, kritisierte Bünger weiter. „Diese bürokratische Kälte ist erschütternd.“

Der SPD-Innenpolitiker Hakan Demir sagte nach der Sitzung des Innenausschusses dem Evangelischen Pressedienst (epd), sein Gefühl sei, „dass endlich ein wenig Bewegung in die Sache kommt“. „Die Regierung sollte Afghaninnen und Afghanen mit gültigen Aufnahmezusagen zügig nach Deutschland holen“, sagte er. Das Versprechen habe auch die neue Regierung abgegeben.

Union blockiert

Bei den Schutzsuchenden geht es zum Teil um frühere Ortskräfte der Bundeswehr und weiterer deutscher Institutionen und Organisationen. Andere gelten zum Beispiel wegen ihres Einsatzes für Frauen oder generell für Menschenrechte als besonders gefährdet. Die Betroffenen befinden sich dementsprechend entweder im Bundes-Aufnahmeprogramm, im Überbrückungsprogramm, im Ortskräfteverfahren oder stehen auf der sogenannten Menschenrechtsliste für besonders schutzbedürftige Menschen.

Die Bundesregierung hatte die Aufnahmeprogramme nach der Eroberung Afghanistans durch die radikalislamischen Taliban im August 2021 gestartet. Damit sollte besonders stark gefährdeten Afghaninnen und Afghanen dauerhaft eine Aufnahme in Deutschland aus humanitären Gründen ermöglicht werden. Union und SPD vereinbarten in ihrem Koalitionsvertrag allerdings, die Aufnahmeprogramme „soweit wie möglich“ zu beenden. Vor allem die Union sieht die Aufnahme von Afghaninnen und Afghanen kritisch und verweist unter anderem auf Sicherheitsbedenken.

 

Die Bundesregierung hat bei ihren Verhandlungen mit den Taliban über künftige Abschiebungen nach Afghanistan weitere Zugeständnisse gemacht. Wie aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, werden den dortigen Behörden vor der Maßnahme Details zu den Straftaten der Betroffenen mitgeteilt. Dies bestätigte Anfang November auch eine Staatssekretärin im Innenausschuss des Bundestags. Eine solche Datenübermittlung könne laut Bundesinnenministerium auf Grundlage des Bundespolizeigesetzes durchgeführt werden.

Das von Alexander Dobrindt (CSU) geführte Ministerium verlässt sich nach zwei durchgeführten Abschiebeflügen auf die Zusage der Taliban, dass die Menschen nicht ein zweites Mal für dieselbe Straftat bestraft würden. Gleichzeitig räumt es ein, keinerlei Kontrollmöglichkeiten zu haben: Die deutsche Maßnahme ende »mit der Rückübernahme im Heimatland«. Auch ein vom »Spiegel« berichtetes, geplantes Wiedereingliederungsprogramm für Straftäter sei »zum aktuellen Zeitpunkt nicht vorgesehen«.

Die Kontakte zwischen Bundesregierung und Taliban haben sich in den vergangenen Monaten intensiviert. Anfang Oktober 2025 reisten je zwei Angehörige des Innenministeriums sowie der Bundespolizei nach Kabul, um »logistische Fragen« für weitere Abschiebungen zu klären. Das Ministerium bezeichnet diese Treffen als Gespräche »unterhalb der politischen Ebene«. Weiterhin erkenne die Bundesregierung die De-facto-Machthaber nicht als legitime afghanische Regierung an.

Tatsächlich hat das Auswärtige Amt jedoch bereits zwei von den Taliban entsandte Vertreter als Konsularbeamte in Berlin und Bonn akkreditiert – ein innerhalb der EU einmaliger Vorgang. Der Antwort zufolge hätten nur Länder wie China, Russland, Iran, Saudi-Arabien, Pakistan und die Türkei diesen Schritt vollzogen.

Das bisherige Personal des Bonner Generalkonsulats, das noch von der vorherigen afghanischen Regierung eingesetzt worden war, erklärte daraufhin geschlossen seinen Rücktritt. Der ehemalige Generalkonsul wollte anschließend sämtliche Vermögenswerte und Dokumente dem Auswärtigen Amt übergeben, um sie vor dem Zugriff der Taliban zu schützen – ohne Erfolg. Weil es sich um »innerafghanische Vorgänge« handele, sei der frühere Generalkonsul an die neue Taliban-Botschaft in Berlin verwiesen worden.

Auf die Frage, ob sie geprüft habe, ob unter ihren Gesprächspartnern in Afghanistan international mit Haftbefehl gesuchte Personen waren, antwortet die Bundesregierung nicht. Sie räumt aber ein, dass sich »die allgemeine Menschenrechtslage in Afghanistan seit der faktischen Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 kontinuierlich verschlechtert, vor allem für Frauen und Mädchen«. Seit 2021 sei die Todesstrafe in Afghanistan elfmal vollstreckt worden, es gebe Berichte über Folter.

Die Linke-Abgeordnete Clara Bünger kritisiert die deutsche Afghanistan-Politik scharf. Die Bundesregierung habe die Mitarbeitenden des ehemaligen Generalkonsulats in Bonn auflaufen lassen. »Während afghanische Konsularbeschäftigte Werte von Demokratie, Menschenrechten und Freiheit hochhalten, paktiert die Bundesregierung mit einem Terror-Regime, um Menschen in ein Land abschieben zu können, in dem diese Werte nichts zählen«, sagte Bünger dem »nd«. Es sei »in jeder Hinsicht falsch, in dieses Land abzuschieben«.