Aktion "Neue Nachbarn": Rede zu den Koalitionsverhandlungen und den Aufgaben, um „Migration menschenwürdig [zu] gestalten“

01.04.2025 Zum Dank für die Ehrenamtliche Flüchtlingshilfe lud die Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn am 28.03.2025 ins Alte Rathaus ein. Die 100 Gäste hörten begeisternden Gesang und eine Rede von Klaus Hagedorn, Koordination Aktion Neue Nachbarn beim Erzbistum Köln, bevor sie die Möglichkeit zu vielen Gesprächen untereinander erhielten.

Hier zum Nachlesen die Rede von Klaus Hagedorn:

Vor gut 10 Jahren hat Erzbischof Kardinal Woelki die Aktion Neue Nachbarn ins Leben gerufen. Davor gab es bereits ein großes Engagement in der Flüchtlingshilfe, oft angebunden an die Fachdienste der Wohlfahrtsverbände, Kirchengemeinden und Flüchtlingsinitiativen vor Ort. Durch die Aktion Neue Nachbarn wurden viele Menschen ermuntert und aufgerufen, sich der Willkommenskultur für geflüchtete Menschen zu widmen. Bis heute engagieren sich ca. 8.000 Menschen ehrenamtlich in der Aktion Neue Nachbarn, angebunden an unsere Integrationsbeauftragten. Diese vernetzen vor Ort das vielfältige und bunte Engagement, unterstützen und fördern, wo sie können. Für die Vernetzung in Bonn sorgen meine Kolleginnen Konstanze Nolte und Verica Dominic-Bernards.

Unsere Aufgabe besteht darin, Willkommensinitiativen für neuankommende Geflüchtete und Integrationsaktionen zu unterstützen, in Kirchengemeinden, Verbänden und Vereinen. Unsere Unterstützung besteht in der Vergabe von Fördermitteln, aber auch z.B. in der personellen Unterstützung, in Bildungsveranstaltungen und in der Supervisionsbegleitung von ehrenamtlich tätigen Gruppen.

Die Suche nach Schutz, Sicherheit und ein Leben in Würde und Gerechtigkeit ist eine der großen globalen Herausforderungen seit Jahren, aktuell und wird es zukünftig bleiben. Jedes Jahr vermeldet das UNHCR eine weltweit steigende Zahl von Menschen, die aus ihrer angestammten Heimat vertrieben wurden. Mitte 2024 waren dies 122,6 Mill. Menschen, das ist die Bevölkerungszahl von Deutschland, Österreich, Schweiz und den Niederlanden zusammen. Laut UNHCR haben in 2024 250.945 Menschen in Deutschland Asyl beantragt, kamen also „irregulär“ ins Land. Viele der Menschen, die nach Deutschland kommen, reisen unerlaubt ein. Das liegt vor allem daran, dass die meisten Menschen kein Visum für eine reguläre Einreise in die EU bekommen, auch wenn in ihren Ländern Krieg oder Armut herrschen. Sobald sie jedoch an der Grenze oder in Deutschland sind, können sie Asyl beantragen. Tun sie das, können sie erst einmal nicht zurückgewiesen werden. Trotz der Rechtslage, die zunächst eine Prüfung jedes einzelnen Asylgesuchs vorschreibt, werden an den deutschen Grenzen immer häufiger Menschen abgewiesen. So wurden laut Angaben der Bundespolizei im Jahr 2022 insgesamt 19.142 Menschen beim Versuch zurückgewiesen, nach Deutschland einzureisen. Im Jahr 2023 waren es laut Bundespolizei 29.270. 2024 lag die Zahl bei 46.758.

In einem Fünf-Punkte-Plan, dem im Bundestag ja bekanntermaßen auch die Abgeordneten der AfD und der FDP zugestimmt haben, fordert die Union unter anderem dauerhafte Grenzkontrollen und ein generelles Einreiseverbot für Menschen ohne Dokumente.

Mittlerweile halten es viele Menschen in Deutschland für illegal, wenn Menschen an der Grenze um Asyl bitten, und werden dabei ermuntert von mehreren Parteien mit Sitzen im Deutschen Bundestag, die ein rigoroses Zurückweisen an den deutschen Außengrenzen fordern. Ein solches Zurückweisen würde gegen geltendes Asyl- und EU-Recht verstoßen. Und gefährdet im Übrigen auch den Zusammenhalt in der EU: Am 14. Juni wird das Schengen-Abkommen 40 Jahre alt. Die
Bedeutung des Schengen-Raums ist grundlegend für die Idee einer europäischen Gemeinschaft. Er ermöglicht freien Personenverkehr ohne Grenzkontrollen und erleichtert Arbeit, Studium und Reisen in anderen Schengen-Ländern. Damit ist der Schengen-Raum die größte visumfreie Zone der Welt. Auch Drittstaatsangehörige mit einem Schengen-Visum können sich in allen Schengen-Mitgliedsländern frei bewegen. Grenzkontrollen sind im europäischen Schengen-Raum eigentlich nicht vorgesehen. Sollen sie ausnahmsweise doch stattfinden, muss dies der EU-Kommission gemeldet werden. Die amtierende Bundesregierung hat im Februar 2025 noch die Kontrollen an allen deutschen Außengrenzen um 6 Monate verlängert. Unsere neue Bundesregierung plant,
Grenzkontrollen an den deutschen Außengrenzen unbefristet aufrecht zu erhalten.

In dem CDU-Papier zu den laufenden Sondierungsgesprächen mit der SPD heißt es wörtlich: "Wir wollen sichere und rechtstaatliche Asylverfahren in sicheren Drittstaaten ermöglichen. Wer vor Krieg und Verfolgung zu schützen ist, soll in den Drittstaaten Schutz, Sicherheit und angemessene
Lebensbedingungen erhalten“. Ob ein "Ruanda-Modell" nach britischem Vorbild, ein italienisches "Albanien-Modell" oder ein anderes Modell geplant ist, konkretisiert das Dokument nicht.

Wenn dann Gerichte entscheiden, dass Maßnahmen nicht gesetzeskonform sind, ertönen schnell Rufe nach Einschränkungen der Unabhängigkeit der Justiz, wie aktuell in Italien beim Thema Auslagerung von Asylverfahren nach Albanien. Das ist übrigens eine typische Reaktion und
Auffassung faschistischer Ideologen, dass Politik über dem Recht zu stehen habe, und sich die Justiz dem politischen Handeln beugen muss. Herbert Kickl fordert in Österreich ganz unverblümt: „Das Recht hat der Politik zu folgen“, und bekommt dafür viel Zustimmung aus der Bevölkerung. Und wir erleben ja gerade staunend, wie eine einstmals auf seine Verfassung stolze Nation per Dekrete eines Präsidenten aus den demokratischen Angeln gehoben werden kann.

Ich bin in Sorge, dass auch unsere derzeit stark nach rechts driftenden politischen Mehrheiten in Deutschland bei absehbar ausbleibenden Erfolgen bei der Zuzugsbekämpfung ähnliche Reaktionsmuster entwickeln könnten, und dadurch wie in vielen anderen Ländern die demokratischen Errungenschaften zur Disposition gestellt werden könnten.

Unsere Antworten als Gesellschaft auf die Fragen nach Aufnahme und Integration sind von wegweisender Bedeutung für die Frage, wie wir zukünftig zusammenleben wollen. Hier sind wir als Christinnen und Christen in Europa, in Deutschland, im Erzbistum Köln und an jedem Kirchort ganz besonders gefordert und aufgerufen.

Schon seit Jahrzehnten beschäftigt sich die christliche Lehre mit dem Phänomen der Flucht und der Migration.

Im 2021 entstandenen gemeinsamen Worts der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland „Migration menschenwürdig gestalten“ werden als kirchliche Aufgaben im Umgang mit Geflüchteten u.a. genannt:

  • aufnehmen, schützen, fördern und integrieren: dazu gehören u.a. Sprach- und Integrationsangebote, Berufsberatung und Jobpatenschaften, professionelle Rechts- und Verfahrensberatung, und die Vernetzung zwischen kirchlich Engagierten und der Zivilgesellschaft
  • der im Grundgesetz verankerte Schutz für Familien gilt auch für Geflüchtete; die Zusammenführung von Familien ist eine auch für die Integration wichtige Voraussetzung
  • Wenn ausreisepflichtige Menschen in ihre Herkunftsländer zurückkehren müssen, muss das unter Wahrung der Sicherheit und Würde der Betroffenen erfolgen
  • Die Kirchen treten für eine solidarische, an den Menschenrechten ausgerichteten Reform der europäischen Flüchtlingspolitik ein; dazu gehören auch sichere und legale Zugangswege
  • Das Kirchenasyl als letzter Ausweg, mit dem Ziel, dass staatliche Entscheidungen überprüft und unzumutbare Härten vermieden werden, muss geschützt bleiben.

Die Kirchen benennen vier große Fragenkomplexe:

  • Wie präsent sind Menschenrechte in unserem Handeln als Gesellschaft? Für wen und in welchem Umfang lassen wir sie gelten?
  • Wie stehen wir zu Fragen globaler sozialer Ungleichheit? Wo und wie sorgen wir für mehr globale Gerechtigkeit?
  • Wie steht es um die europäische Solidarität und wie lässt sich eine menschenwürdige Asyl- und Migrationspolitik der Europäischen Union erreichen?
  • Was hält unsere Gesellschaft zusammen? Wie ermöglichen wir die Teilhabe jeder und jedes Einzelnen? Wie gestalten wir Integration?

Sie hier in Bonn haben gerade auf die letzte Frage eine klare Antwort: Anpacken, und zwar miteinander und abgestimmt. Sie gestalten Willkommenskultur und Integration, Sie nehmen sich
der Aufgabe an, und wie man heute auch an dieser Veranstaltung ablesen kann, im gegenseitigen Respekt von Ehrenamt und hauptamtlichen Akteuren, bis hin zur Oberbürgermeisterin. Sie hören sich gegenseitig zu, hier in Bonn werden nicht ehrenamtlich tätige Begleiter*innen in den Amtsstuben abgekanzelt, wenn sie sich für geflüchtete Menschen einsetzen. Sie haben eine Miteinander-Kultur entwickelt, die vorbildlich ist für viele andere Städte und Kommunen. So ist mein Eindruck nach Gesprächen mit unseren Integrationsbeauftragten der Aktion Neue Nachbarn, mit Vertreterinnen und Vertretern der katholischen Kirchengemeinden und mit Frau Manemann.

Ohne das ehrenamtliche Engagement gäbe es nicht die großen Integrationserfolge in Deutschland, auf die wir viel zu wenig schauen: bereits in 2020 vermeldete die Bundesanstalt für Arbeit, dass gut 50% der seit 2015 nach Deutschland geflohenen Menschen in sozialversicherungspflichtigen Jobs
oder Ausbildung seien. Und das trotz Arbeitsverbot nach Einreise und 15-monatigem eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie und wir kennen viele tolle Beispiele von
Menschen, die hier als Geflüchtete angekommen sind und heute voll integrierter Teil unserer Gesellschaft sind. Immer berichten diese erfolgreich integrierten Menschen von der persönlichen Unterstützung, die sie erfahren haben. Eindrücklich hat uns dies im vorletzten Jahr auch der mehrfach preisgekrönte Autor Sasa Stanisic erzählt während einer Lesung im Katholisch-Sozialen Institut in Siegburg: Er las aus seinem stark autobiografisch geprägten Buch „Herkunft“ und berichtete, dass er als 1993 aus Bosnien Geflüchteter ohne den Beistand einzelner Menschen
a) keinen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland erhalten hätte, und
b) seine Schullaufbahn nicht so erfolgreich bestanden hätte, die dann zur Möglichkeit eines Studiums in Deutschland geführt hat.
Er benannte drei Menschen: Einen engagierten Mitarbeiter der Ausländerbehörde, einen Zahnarzt in seiner Nachbarschaft, der sich 1993 der damals neu angekommenen Familie annahm, und einen Lehrer, der ihn schulisch unterstützt und gefördert hat.

Mitgefühl, Akzeptanz und die nachhaltige Bereitschaft zu helfen, hilft Menschen, inmitten unserer Gemeinschaft anzukommen. Kontakt und Austausch führen dazu, dass aus fremden Menschen Nachbarinnen und Nachbarn werden.

Geflüchtete Menschen brauchen Menschen wie Sie, um sich hier zurecht finden zu können, um sich entwickeln, um richtig ankommen zu können. Viele geflüchtete Menschen haben von Ihnen gelernt und engagieren sich heute selbst ehrenamtlich.

Für all ihr Tun kann ich nur „Vergelt’s Gott“ sagen und wünschen, dass Ihnen allen Ihr Engagement weiterhin viel Freude und Erfüllung bereitet. Bleiben Sie unbequem und lästig, wenn es aus Ihrer Sicht notwendig ist. Bleiben Sie neugierig auf fremde Menschen und andere Kulturen. Bleiben
Sie wachsam und schließen Sie sich noch enger zusammen, wenn es um die Wahrung unserer demokratischen und freiheitlichen Errungenschaften geht. Die Aktion Neue Nachbarn, aber auch Kirchengemeinden und andere zivilgesellschaftliche Akteure in Bonn  werden verlässlich an Ihrer Seite stehen.

Klaus Hagedorn
Koordination Aktion Neue Nachbarn
Kirchenasyl-Beauftragter
Erzbistum Köln | Generalvikariat
Bischofsvikariat für die Armen und Caritas
Marzellenstr. 32 | 50668 Köln
Tel.: 0221 1642 1844
Mobil 01520 1641147
klaus.hagedorn@erzbistum-koeln.de
www.erzbistum-koeln.de
www.aktion-neue-nachbarn.de