Alarmierende Situation im Mittelmeer: Staatliche Seenotrettung nicht erst "mittelfristig", Frau Baerbock!

04.08.2022 Während Frau Baerbock in Griechenland vom "mittelfristigen" Ziel sprach, die Seenotrettung wieder in staatliche Hände zu nehmen, schlagen zivile Seenotretter*innen erneut Alarm. In den vergangenen Tagen hatten die Sea-Watch 3, die Ocean Viking und die Geo Barents zwar viele Hundert Menschen in Seenot bergen und aufnehmen, anderen jedoch nicht helfen können. Und wieder mussten die Schiffe mit ihren Gästen lange auf das Anlanden in einem europäischen Hafen warten müssen. Die Hilfsorganisationen SOS Méditerranée, Sea-Watch und Ärzte ohne Grenzen beklagen in einer gemeinsamen Pressemitteilung eine alarmierende Situation im Mittelmeer aufgrund von fehlendem europäischen Seenotrettungsprogramm und fordern von den europäischen Mitgliedsstaaten und assoziierten Staaten eine staatlich geführte und proaktive Such- und Rettungsflotte im zentralen Mittelmeer. Diese müsse schnell und angemessen auf alle Notrufe reagieren sowie einen vorhersehbaren Mechanismus für die Ausschiffung der Überlebenden schaffen. Nur so könnten weitere Todesfälle auf See verhindert werden.

"Die Außenministerin warb auch für mehr Unterstützung Griechenlands bei der Sicherung der EU-Außengrenze und für eine gemeinsame europäische Seenotrettung, um Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu bewahren, die versuchen über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Derzeit übernehmen Hilfsorganisationen diese Aufgabe. Sie forderte aber: "Mittelfristig muss diese Aufgabe wieder zu einer staatlichen Aufgabe werden." So berichtete die Tagesschau vom Griechenland-Besuch Baerbocks.

Wir zitieren die Pressemitteilung:

Alarmierende Situation im Mittelmeer aufgrund von fehlendem europäischen Seenotrettungsprogramm

Zentrales Mittelmeer/Berlin, 3. August 2022. Die Hilfsorganisationen SOS Méditerranée, Sea-Watch und Ärzte ohne Grenzen fordern von den europäischen Mitgliedsstaaten und assoziierten Staaten eine staatlich geführte und proaktive Such- und Rettungsflotte im zentralen Mittelmeer. Diese muss schnell und angemessen auf alle Notrufe reagieren sowie einen vorhersehbaren Mechanismus für die Ausschiffung der Überlebenden schaffen. Nur so können weitere Todesfälle auf See verhindert werden.

Die Geo Barents, ein von Ärzte ohne Grenzen betriebenes Such- und Rettungsschiff, und die Ocean Viking, ein von SOS Méditerranée in Zusammenarbeit mit der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) gechartertes Such- und Rettungsschiff, retteten zuletzt innerhalb von fünf Tagen Menschen von sechzehn Booten in Seenot.

In der Woche zuvor konnte die Sea-Watch 3 ebenfalls Menschen von fünf Booten in Seenot retten – insgesamt waren 444 Menschen an Bord. Ohne die Anwesenheit ziviler Such- und Rettungskräfte im zentralen Mittelmeer wären die bei diesen Rettungsaktionen geretteten Menschen in den internationalen Gewässern vor Libyen ihrem Schicksal überlassen worden. Die Route über das Mittelmeer ist nach wie vor die tödlichste der Welt.

„Seit dem Beginn der Sommermonate hatte unser Team drei Rettungseinsätze auf dem Mittelmeer“, erklärt Juan Matias Gil, Koordinator von Ärzte ohne Grenzen für Such- und Rettungseinsätze. „Leider endete der erste Rettungseinsatz tragisch. 30 Menschen sind vermisst, eine Frau hat leider nicht überlebt. Auch die anderen beiden Einsätze waren sehr anspruchsvoll. Es gab sechs Rettungen innerhalb von 12 Stunden und elf Rettungen innerhalb von 72 Stunden. Insgesamt haben wir 974 Menschen gerettet. Derzeit haben wir 659 Menschen an Bord der Geo Barents, was über der Schiffskapazität liegt. Wir haben immer wieder Alarme erhalten, die nicht beantwortet wurden, und haben von unserer Brücke aus Boote in Seenot gesichtet. Es ist unsere rechtliche und moralische Pflicht, diese Menschen nicht ertrinken zu lassen. Die Lücke der staatlich geführten Such- und Rettungsflotte zu schließen, reicht angesichts des Bedarfs einfach nicht aus, und eine Erhöhung der Kapazitäten im zentralen Mittelmeer ist mehr als notwendig."

Der Rückzug der europäischen Behörden von Such- und Rettungsaktionen im zentralen Mittelmeer sowie die Verzögerungen bei der Zuweisung eines sicheren Ortes für die Ausschiffung haben die Funktionsfähigkeit der Seenotrettung untergraben. Obwohl die Organisationen, wie im Seerecht vorgeschrieben, systematisch um die Koordinierung der Einsätze mit den jeweilig verantwortlichen Behörden bemühen, reagieren die libyschen Schifffahrtsbehörden fast nie. Wenn sie eingreifen und Boote in Seenot abfangen, bringen sie die Überlebenden gewaltsam nach Libyen zurück, das laut den Vereinten Nationen nicht als sicherer Ort gelten kann.

Die Sea-Watch 3 hat am 30. Juli 438 Menschen im italienischen Taranto, an Land gebracht. Die Ocean Viking konnte am 1. August 387 Frauen, Kinder und Männer, die zwischen dem 24. und 25. Juli gerettet wurden, im italienischen Salerno an Land bringen. Die Geo Barents wartet immer noch auf eine Entscheidung für die bis zu sieben Tage zuvor geretteten Überlebenden.

„Die Überlebenden tagelang auf dem Meer ausharren zu lassen, während sie darauf warten, an einem sicheren Ort an Land gehen zu können, ist eine zusätzliche Gewalt, die den ohnehin schon schutzbedürftigen Menschen angetan wird“, sagt Xavier Lauth, Einsatzleiter von SOS Méditerranée.