Beispielhafte Geschichte eines Flüchtlings aus Gaza: Nach drei Jahren Flüchtlingsanerkennung. "Mein ganzes Leben lang träumte ich davon, ein Dokument zu haben, das belegt, dass ich ein Mensch bin."

10.12.2025 Aus den News von Pro Asyl:

Shafiq, dreifacher Vater und Psychologe und Sozialarbeiter aus Gaza, floh 2022 vor dem Hamas-Regime nach Deutschland. Das war noch vor dem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Krieg. Erst jetzt wurde er als Flüchtling anerkannt – zwei seiner Kinder sind mittlerweile gestorben, seine Frau harrt immer noch in Gaza aus.

Shafiqs* Geschichte steht beispielhaft für das Leid, das Verzögerungen oder gar Aussetzungen von Asylverfahren verursachen können. Er war bereit über seine schmerzhaften Erfahrungen zu sprechen. Wir haben zugehört und seine Erzählung in einem Wortlautprotokoll zusammengefasst:

DU KANNST DIR DAS LEBEN IN GAZA…

nicht vorstellen. Niemand kann das. Unter der israelischen Besatzung. Wir dürfen uns nicht frei bewegen, nicht reisen, alles wird kontrolliert. Keine guten Medikamente, keine Bildung, keine Freiheit.

Dann gibt es noch eine weitere Besatzung – den Terrorismus der Hamas. Es ist, als würden sie deinen Verstand und deine Gefühle besetzen, verstehst du? Sie sehen aus wie die Taliban in Afghanistan. Ich habe andere Ansichten, einen offenen Geist, schreibe gerne Poesie und auch Politisches. Aber sie wollen nicht, dass du denkst. Sie sagten, dass ich ein Kommunist bin, weil ich lese und das Wort politisch verwende.

Völlig unbegründet: Bundesamt legt Asylverfahren palästinensischer Flüchtlinge aus Gaza auf Eis

Ich habe viel Zeit in meine Arbeit bei den Vereinten Nationen investiert, um Menschen, deren Häuser während der Kriege zerstört wurden, zu helfen. Ich arbeitete als Sozialarbeiter, Berater und Rehabilitationsspezialist mit dem Fokus auf Wohnraum und Sachleistungen. Seit dem Gazakrieg 2008 arbeitete ich zudem in der Notfallzentrale für Notunterkünfte. Die Hamas wollte meine Autorität für sich nutzen und, dass ich ihren Leuten helfe. Aber das ist nicht mein Weg. Sie haben mir sehr wehgetan. Viele Male war ich im Hamas-Gefängnis.

Meine junge erwachsene Tochter litt an Krebs. Wir konnten sie in Gaza nicht behandeln lassen, weil es dort keine Medikamente und keine Spezialärzte gibt. Für meine zwei Söhne gab es keine ausreichende Ausbildung, keine Jobs, keine Zukunft. Wie kann man da leben? Seit meiner Jungend ist es mein Traum, in einem offenen Land zu leben, im Westen.

WHY GERMANY?

Ich habe viel über eure Denk- und Lebensweise gelesen, über das politische System und die Geschichte Deutschlands. Ich glaube, dass ihr einen offenen Geist habt und ein offenes Land seid. Ihr habt nach dem Krieg ein neues Land aufgebaut. Ich liebe die Leute, die hier geschrieben haben, Schopenhauer, Kafka… Es war auch der Traum meiner Tochter, in Deutschland von ihrem Krebs geheilt zu werden. 2022 versuchten wir es zusammen, über die Türkei nach Deutschland zu kommen, aber wir schafften es nicht. Sie reiste zurück nach Gaza, in der Hoffnung, dass ich es allein schaffe und sie nachhole.

Angst vor Abschiebung nach Polen: »Polen ist für uns nicht sicher«

IN POLEN…

haben sie mich fünf Monate in ein Gefängnis gesteckt – eins für Kriminelle. Sie haben mir meine Kleidung, mein Telefon und alles weggenommen. Die Leute, die mit uns zu tun hatten, waren Soldaten mit Waffen. Im April 2023 schaffte ich es nach Deutschland, zusammen mit meinem ältesten Sohn. Ich musste in ein Camp. Monatelang. Manche meiner syrischen Mitbewohner erhielten nach zehn Tagen ihre Entscheidung. Mich ließen sie warten. Dann entschieden sie, dass ich zurück nach Polen muss. Ich hatte Angst, dass die Polizei kommt und hielt mich sechs Monate meist auf der Straße auf, vermied es, im Gebäude zu sein.

Als ich ins deutsche Asylverfahren kam, wurden die Verfahren für palästinensische Flüchtlinge ausgesetzt. Es dauerte so lange! Warum? Du musst dich entscheiden, ob du mich akzeptierst oder nicht. Sag es mir bitte. Ich weiß, dass jeder über die Situation in Gaza Bescheid weiß. Warum dauerte es mehr als zweieinhalb Jahre, bis über meinen Asylantrag entschieden wurde?

Aussetzung der Asylverfahren palästinensischer Flüchtlinge

Von Januar 2024 bis Sommer 2025 stoppte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Bearbeitung der Asylverfahren von Schutzsuchenden aus Gaza – wegen der, so wörtlich, »vorübergehend ungewissen Lage«. Aus Sicht von PRO ASYL völlig unbegründet.

ICH FÜHLE EINSAMKEIT. 

Einsamkeit, weil […pausiert…] ich meine Tochter und meinen Sohn während des Krieges in Gaza verloren habe. Mein Sohn wurde durch einen israelischen Angriff von einem Steinbrocken erschlagen. Meine Tochter starb an dem Krebs […pausiert…]. Ich weiß nicht, wo sie begraben sind. Meine Träume sind zerbrochen.

Es war mein Traum, hier anzukommen und eines Tages meiner Frau, meinem Sohn und meiner Tochter zu sagen, dass sie hierherkommen können, damit wir hier zusammenleben. Als der Brief mit der Anerkennung endlich kam … es tut mir leid, aber ich fühlte Einsamkeit.

Jeden Tag, wenn ich aufstehe, weiß ich nicht, ob ich gute oder schlechte Nachrichten hören werde. Ich habe große Angst um meine Frau, weil der Krieg bis heute nicht beendet ist. Ich weiß nicht, ob ich sie jemals wiedersehen werde. Sie hat einen Termin für den Familiennachzug bei der deutschen Botschaft in Kairo, in fünf Tagen. Aber wie soll sie dahin kommen? Das ist die Frage. Ich weiß nicht, wie ich dafür eine Lösung finden kann. [Anm. d. Red.: Shafiqs Frau wurde nicht über die Grenze nach Ägypten gelassen, obwohl sie laut Shafiq alle Papiere und eine Terminbestätigung vorliegen hatte.]

MEIN GANZER GEIST LEBT IMMER NOCH IN MEINEM LAND. 

Als ich hier war, hat der Krieg angefangen. Ich habe versucht die Sprache zu lernen. Ich war in einer Schule, fast einen Monat. Dann fiel der Stein auf meinen Sohn. Ich konnte nicht, ich konnte nicht weitermachen. Ich versuche seitdem, zuhause zu lernen.

Aber ich werde wieder eine Schule suchen. Es ist ein guter Weg, um tiefer in die Kultur reinzukommen. Und ich möchte ehrenamtlich mit Menschen arbeiten, zum Beispiel mit behinderten Menschen, das habe ich auch in meinem Land gemacht. Man lernt die Sprache leichter, wenn man sie mit Menschen nutzt. Ich brauche diese Sprache, ich weiß, dass die deutsche Sprache eine Sprache der Poesie ist.

Viele sprechen hier nicht gerne Englisch. Ich weiß nicht warum. Vor einiger Zeit war ich bei einem Arzt, der sagte: »Ich spreche Englisch besser als Sie, aber Sie sind hier, Sie müssen Deutsch sprechen.« Ich sagte ihm, dass es mir leidtut, dass ich neu hier bin. Er weigerte sich, mich zu behandeln, wegen der Sprache. Aber ein Mensch ist ein Mensch, egal wo er herkommt.

Schutzsuchende aus Gaza müssen als Flüchtlinge anerkannt werden!

DER BRIEF KAM VOR ZWEI MONATEN.

Meine Flüchtlingsanerkennung! Als erstes erzählte ich es meiner Frau. Als zweites meinem Sohn. Ich fühlte […pausiert…], dass ich ein Mensch bin. Ich fühlte mich sicher. Jemand kümmert sich um mich. Ich wollte damit wie mit einer Flagge offen auf der Straße rumlaufen, damit es jeder sehen kann. [lacht]

Beim Abholen des blauen Flüchtlingspasses sprach ich mit der Sachbearbeiterin: »Bitte, können Sie mein Geburtsdatum ändern?« »Warum?« »Weil heute mein Geburtstag ist.« »Nein, das stimmt nicht.« »Doch. Heute bin ich neu geboren.«

Ich hatte immer das Gefühl, dass ich eine unbekannte Person [»unknown person«] bin. In meinem bisherigen Aufenthaltspapier stand »xxx« bei der Herkunftsangabe. Das hat mich geschockt. Ich komme aus einem Land, das nicht anerkannt wird. Sie nannten es Israel, sie nannten es nicht Palästina, verstehst du? Ich träumte davon, dass ich ein Mensch bin. Mein ganzes Leben lang träumte ich davon, ein Dokument zu haben, das belegt, dass ich ein Mensch bin. Jetzt habe ich es. Ich fühle, dass ich noch lebe. Ich bin ein Mensch, ich bin hier. … Vielen Dank an alle, wirklich.

(Das Gespräch wurde auf Englisch geführt und ins Deutsche übersetzt.)

* Alias-Name