03.06.2024 / 12.06.2024 Wird der Sozialausschuss in seiner Sitzung am 18. Juni (voraussichtlicher Termin) den BBB-Antrag auf Einführung der Bezahlkarte ablehnen? Um dies zu bewirken, schmiedete das Bleibewerk Bonn ein weitreichendes Bündnis, das sich gemeinsam mit einem Appell an die Mitglieder des Ausschusses wendet.
Appell gegen die Bezahlkarte für Bezieher*innen von Asylbewerberleistungen (Kurzfassung) und anschließend ein ausführlicherer Appell:
Bonn, den xxx
Sehr geehrte*r XXX,
wir appellieren dringend an Sie, die Einführung der Bezahlkarte für Bezieher*innen von Asylbewerberleistungen in Bonn abzulehnen. Andere Städte in NRW1 haben dies bereits getan, und Bonn sollte diesem Beispiel folgen.
Die Einführung der Bezahlkarte für geflüchtete Menschen in Bonn würde zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand führen und bietet keine Einsparung von Geld oder Zeit. Dies wird zu Lasten anderer Dienstleistungen gehen.
Die Annahme, dass Bezahlkarten als Mittel zur Reduzierung von Pull-Faktoren für Asylsuchende dienen und somit die Anzahl der Asylsuchenden verringern können, ist vielfach widerlegt worden1.
Es stellt sich die berechtigte Frage, wie Menschen, die bereits unter dem Existenzminimum leben, viel Geld nach Hause schaffen könnten. Die Idee, dass mit diesem Geld Schleuser finanziert werden könnten, ist falsch, da die Bezahlung vor der Flucht und lange vor dem Bezug von AsylbLG erfolgt. Das Argument des Geldtransfers von AsylbLG-Leistungen ins Ausland ist nicht empirisch belegt.
Bargeld ist immer noch das am häufigsten verwendete Zahlungsmittel, insbesondere auf Märkten, Dorffesten, in Bäckereien und Cafés. Die Beschränkung des Zugangs zu Bargeld und Überweisungen erschwert nicht nur den Alltag, sondern behindert auch den Zugang zu Bildung, Rechtsschutz und anderen Lebensbereichen.
Betroffenen könnten nicht frei einkaufen und wären als Leistungsempfänger*innen erkennbar. Die damit verbundene Stigmatisierung und Ausgrenzung betreffen insbesondere Kinder und Jugendliche. Auch Geflüchtete mit Behinderungen wären stark betroffen, da wichtige Dienste nur per Überweisung bezahlt werden können, was zu gesundheitlicher Unterversorgung führen könnte.
Die Bezahlkarte verstößt gegen Internationale Menschenrechte, das Grundgesetz und das Recht auf Teilhabe gemäß der UN-Kinderrechtskonvention. Die Bezahlkarte würde die Menschenwürde und Gleichbehandlung nicht respektieren und Sozialleistungen zu einem Instrument der Kontrolle machen. Verfassungsrechtliche Bedenken sind angebracht und es bleiben Fragen zum Datenschutz ungeklärt.
Wir, die unterzeichnenden Organisationen in Bonn, fordern daher dazu auf, gegen die Einführung der Bezahlkarte zu stimmen.
1 https://www.frnrw.de/top/nein-zur-bezahlkarte-ratsbeschluesse-aus-nordrhein-westfaelischen-kommunen.html
2 Siehe bspw. https://www.dezim-institut.de/publikationen/publikation detail/stellungnahme-wissenschaftliche-einschaetzung-der-bezahlkarte-fuer-gefluechtete/
Unterzeichnende Organisationen
(alphabetisch geordnet) Liste folgt
Katja Dellmann vom Bleibewerk Bonn des Kölner Flüchtlingsrates e. V. freut sich auf Meldungen von unterstützenden Gruppen dellmann@koelner-fluechtlingsrat.de.
Appell gegen die Bezahlkarte für Bezieher*innen von Asylbewerberleistungen
Sehr geehrte*r XXX,
anlässlich der ausstehenden Entscheidung über die Einführung der Bezahlkarte für Bezieher*innen von Aslybewerberleistungen in Bonn wenden wir uns mit einem dringenden Appell an Sie: Lehnen Sie diese restriktive, diskriminierende und nicht zielführende Praxis ab!
Mehrere Städte und Kommunen, auch in NRW, haben sich bereits gegen eine Einführung ausgesprochen: Bochum, Dortmund, Duisburg, Köln, Oberhausen, Paderborn und Selm haben bereits gegen die Bezahlkarte gestimmt.1 Die Bundesstadt Bonn sollte sich diesen Entscheidungen anschließen.
Wir möchten auf die im Integrationskonzept der Bundesstadt Bonn gesetzte Leitlinie, eine „Stadt ohne Rassismus und Diskriminierung“ zu sein, verweisen.2 Wie wir im Folgenden darlegen werden, ist die Bezahlkarte mit dieser mehr als unvereinbar. Sie widerspricht dem Anspruch einer weltoffenen Stadt, die auf Chancengleichheit, Vielfalt und Integration aufbaut. Darüber hinaus gibt es noch andere Gründe, warum die Einführung einer Bezahlkarte entschiedene abgelehnt werden sollte.
Fehlannahme: Kosteneinsparung
Die Befürworter*innen der Bezahlkarten führen unter anderem an, dass durch die Einführung der Karte der Verwaltungsaufwand minimiert werden könnte. Allerdings haben geflüchtete Menschen in Bonn seit vielen Jahren das Recht, ein sogenanntes Basiskonto einzurichten, auf welches die Sozialleistungen unkompliziert per Überweisung ausgezahlt werden können. Bei einer Einführung der Bezahlkarte würde eine Umstellung aller Auszahlungen von bereits bestehenden Konten auf eine Bezahlkarte zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand führen. Auch die Freischaltung einzelner Überweisungen, Lastschriftverfahren oder Online-Einkäufen bedeuten einen Mehraufwand; nicht zuletzt sind sie auch datenschutzrechtlich bedenklich. Gemäß der Regel für NRW müsste die Stadt Bonn sowohl das erforderliche Personal stellen als auch alle Kosten selbst tragen. Es kann also weder Geld noch Zeit eingespart werden. Bei klammen Kassen und fehlendem Personal in der Kommunalverwaltung ist zu befürchten, dass dies nur zu Lasten anderer Dienstleistungen möglich sein wird.
Fehlannahme: Abschreckung
Darüber hinaus besteht eine weitreichendere Fehlannahme darin, dass die Bezahlkarte als Instrument verstanden wird, um sogenannte „Fehlanreize“ (also „Pull-Faktoren“) für Asylsuchende zu minimieren und die Zahl der Asylsuchenden somit zu senken. Diese Fehlannahme ist in der Migrationsforschung vielfach widerlegt worden.3 Menschen fliehen aufgrund von Krieg, individueller Verfolgung, Unterdrückung und humanitären Notlagen. Fluchtbewegungen lediglich auf ökonomische Gründe zurückzuführen, greift deutlich zu kurz und ist schlicht falsch. Selbst die Bundesregierung hat bereits eingeräumt, dass die Entscheidungen für Menschen zu fliehen, auf „einem komplexen Zusammenspiel individueller Motive sowie struktureller Faktoren beruhen.“4 Auch der Politikwissenschaftler und Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration der Bundesregierung Hans Vorländer bestätigte gegenüber der Tagesschau am 31.01.24: „Aus der Forschung wissen wir, dass Sozialleistungen keine entscheidenden Pull-Faktoren darstellen“.5
Zudem stellt sich die berechtigte Frage, wie Menschen, die bereits unter dem Existenzminimum leben, noch viel Geld nach Hause schaffen könnten. Asylsuchenden wird immer wieder vorgeworfen, das Sozialhilfesystem „auszunutzen“. Es wird behauptet, dass Menschen, die Asylbewerberleistungen beziehen, von diesem wenigen Geld auch noch etwas an ihre Familien im Herkunftsland überweisen. Wenn Menschen in einer Erstaufnahmeeinrichtung wohnen, erhalten sie einen monatlichen Barbetrag von maximal 204 € pro erwachsene alleinstehende Person. Wenn es den Menschen durch äußerste Sparsamkeit gelingt, 20-30 € davon zur Seite zu legen, um damit ihre Familien in Afghanistan, Syrien, Eritrea oder in anderen Herkunftsländern zu unterstützen, ist fraglich, was daran verwerflich sein soll und worin der Sozialhilfemissbrauch liegt. Das Argument, dass mit den Geldern unseres Sozialhilfesystems Schleuser finanziert würden und deren Geschäftsmodell mit der Bezahlkarte bekämpft werden könnte, ist ebenfalls eine Fehlannahme, da die Bezahlung vor der Flucht, sowie lange vor dem Bezug von AsylbLG geschieht.
Des Weiteren ist das Argument des Geldtransfers von AsylbLG-Leistungen ins Ausland empirisch nicht untermauert. Der Bundesregierung liegen nach eigenen Angaben vom 19. Februar 2024 keine Daten zum Umfang von aus den AsylbLG-Geldleistungen finanzierten Überweisungen in die jeweiligen Heimatländer vor.6 Diese falschen Beschuldigungen sind populistisch und nähren Vorurteile und Ressentiments in der Gesellschaft gegenüber Geflüchteten.
Was Menschen aus dem Ausland auf lange Sicht eher abschrecken wird, sind die rassistischen und migrationsfeindlichen Töne von immer mehr Politiker*innen. Davon werden auch die Fachkräfte abgeschreckt, welche die deutsche Wirtschaft eigentlich so dringend braucht. Dies wurde erst kürzlich wieder in einer Studie des Netzwerks für internationale Fachkräfte Internations bestätigt, in der Deutschland Platz 49 von 53 in puncto Attraktivität für Fachkräfte belegte.7
Eingeschränkte Zahlungsmöglichkeiten
Die meisten der Betroffenen werden mittel- oder langfristig in Deutschland bleiben. Es handelt sich um Menschen mit schulpflichtigen Kindern, die in Sportvereinen sind und am Gemeindeleben oder kulturellen Leben teilnehmen. In vielen Bereichen des alltäglichen Lebens, beispielsweise auf Floh- oder Stadtteilmärkten, Dorffesten, bei der Möglichkeit eine öffentliche Toilette zu benutzen oder in Bäckereien, sowie Cafés ist Bargeld nach wie vor das vorherrschende Zahlungsmittel. Viele Einzelhändler und Geschäfte lehnen die Debitkarte ab oder verfügen nicht über die erforderliche Technologie. Neben den Anschaffungskosten und den Standardgebühren fallen auch variable Kosten an, die vom Umsatz abhängen. Die Transaktionsgebühren sind im Vergleich zur Girocard höher und beeinflussen somit den Gewinn. Dies stellt insbesondere für kleine Geschäfte mit geringeren Umsätzen ein Problem dar, betrifft jedoch auch Dienstleister wie Anwält*innen, Friseur*innen und Handwerk*innen. Darüber hinaus sind Bankkonten für viele grundlegende Transaktionen unerlässlich, sei es beispielsweise der Abschluss von Versicherungen oder Telefonverträgen. Durch die Beschränkung des Zugangs zu Bargeld und Überweisungen werden nicht nur alltägliche Transaktionen und Käufe erschwert, sondern auch der Zugang zu Bildung, Rechtsschutz und anderen wichtigen Lebensbereichen massiv behindert.
Stigmatisierung und Ausgrenzung
Die Einführung einer Bezahlkarte würde nicht nur die finanzielle Freiheit der Betroffenen stark einschränken, sondern auch ihre grundlegenden Rechte und Freiheiten beeinträchtigen. Die Betroffenen können nicht frei wählen, wo wie einkaufen. Zudem wären sie mit der Bezahlkarte als Leistungsempfänger*innen nach dem AsylbLG klar erkennbar.
Die resultierende Stigmatisierung und Ausgrenzung sind für alle Betroffenen unzumutbar, vor allem sollte aber auf die Folgen für betroffene Kinder und Jugendliche geschaut werden. Die Kinderrechtsorganisation terre des hommes warnte im März 2024 anlässlich der Ministerpräsident*innenkonferenz an Bund, Länder und Kommunen vor den möglichen Folgen für Kinder und Jugendliche. Deren Vorstandssprecher, Joshua Hofert, brachte es auf den Punkt:
“Für Kinder und Jugendliche heißt das: Künftig fehlt das Bargeld für die Klassenkasse oder das Pausenbrot am Schulkiosk. Und auch die Mitgliedsgebühren an den Sportverein oder die Musikschule können geflüchtete Familien nicht entrichten … In Kindern löst diese Erfahrung, nicht dazuzugehören, häufig Scham- und Schuldgefühle aus. Sie werden mit der Bezahlkarte als „anders“ markiert und auch gesellschaftlich so wahrgenommen. Ein solches Stigma verhindert soziale Teilhabe.”8
Auch der Alltag von Geflüchteten mit Behinderungen und Einschränkungen würde durch die Bezahlkarte in besonderem Maße beeinträchtigt werden. So können Fahrdienstleister*innen oder auch die Kosten für Gebärden-Übersetzungsdienste häufig nur per Überweisung bezahlt werden. Damit würde sich das Risiko einer gesundheitlichen Unterversorgung signifikant erhöhen, da nicht damit zu rechnen ist, dass das Personal in den Ämtern zeitnah eine hohe Anzahl an Überweisungsanfragen bearbeiten können wird.
Die Bezahlkarte ist klar stigmatisierend. Schlussendlich führt sie zu einer weiteren Marginalisierung und Isolation der betroffenen Menschen, nicht zuletzt von Kindern und Jugendlichen, und erschwert ihre Integration in die Gesellschaft.
Verstoß gegen Internationales und nationales Recht
Die Bezahlkarte ist unvereinbar mit der Wahrung der Internationalen Menschenrechte, denen Deutschland sich durch Unterzeichnung verschiedener Verträge auf UN- und EU-Ebene verpflichtet hat. So verweisen wir etwa auf die Menschenwürde und das Diskriminierungsverbot, die in der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, der Europäische Menschenrechtskonvention des Europarates und der EU-Grundrechtecharta verankert sind. Auch mit Blick auf die o.g. Einschränkungen für Kinder und Jugendliche kann auf eine Verletzung des Rechts auf Teilhabe gemäß er UN-Kinderrechtskonvention verwiesen werden.
Somit steht die Bezahlkarte auch im klaren Widerspruch zum Grundgesetz und den darin verankerten Prinzipien der Menschenwürde und Gleichbehandlung. Das BVerfG stellte bereits in seiner grundlegenden Entscheidung zu den abgesenkten Bedarfsätzen des AsylbLG im Jahr 2012 unmissverständlich fest, dass die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren sei und, dass eine Ungleichbehandlung von Leistungsempfänger*innen im Asylbewerberleistungsgesetz somit gegen das Grundgesetz verstoße.9 Die vorgeschlagene Bezahlkarte würde diese Ungleichbehandlung weiter zementieren, indem sie den Empfänger*innen die Möglichkeit nimmt, über ihre Leistungen frei zu verfügen. Dies steht im deutlichen Gegensatz zu der Anerkennung der Menschenwürde, die migrations-politisch nicht relativiert werden darf.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einführung einer Bezahlkarte sind angebracht. Die Möglichkeit, die Nutzung der Karte örtlich oder auf bestimmte Waren zu beschränken, würde Sozialleistungen zu einem Instrument der Kontrolle und Disziplinierung machen, was einen massiven Eingriff in die Würde und Handlungsfreiheit der Betroffenen darstellt und höchstwahrscheinlich verfassungswidrig wäre. Zudem bleiben wichtige Fragen hinsichtlich des Datenschutzes ungeklärt, insbesondere wer Zugriff auf die Daten der Bezahlkarte haben würde und wie diese geschützt werden könnten.
Wir, die unterzeichnenden Organisationen in Bonn, – und mit uns viele andere Menschenrechts- und Wohlfahrtsorganisationen in ganz Deutschland – halten eine Politik, die geflüchtete Menschen durch die Form der Leistungsgewährung nötigen will, die Bundesrepublik zu verlassen, generell für falsch, sowie darüber hinaus absehbar wirkungslos. Dazu kommt die Gefahr der Stigmatisierung von Schutzsuchenden in der Gesellschaft. Die Einführung der Bezahlkarte schränkt die gesellschaftliche Teilhabe und damit die Integration der Menschen erheblich ein und verwehrt den geflüchteten Menschen ein Leben ohne Diskriminierung.
Wir bitten Sie deshalb dringend, gegen die Einführung der Bezahlkarte in Bonn zu stimmen. Wir freuen uns, mit Ihnen zu diesem und auch anderen migrationsbezogenen Themen ins Gespräch zu kommen.
1 https://www.frnrw.de/top/nein-zur-bezahlkarte-ratsbeschluesse-aus-nordrhein-westfaelischen-kommunen.html
2 https://www.bonn.de/vv/produkte/integrationskonzept-der-bundesstadt-bonn.php S. 15
3 Siehe bspw. https://www.dezim-institut.de/publikationen/publikation detail/stellungnahme-wissenschaftliche-einschaetzung-der-bezahlkarte-fuer-gefluechtete/
4 https://dserver.bundestag.de/btd/20/104/2010458.pdf Frage 54
5 https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/asylbewerber-bezahlkarte-bundeslaender-102.html
6 https://dserver.bundestag.de/btd/20/104/2010458.pdf Frage 54
7 https://www.deutschlandfunk.de/internationale-fachkraefte-deutschland-100.html sowie https://www.internations.org/expat-insider/
8 https://www.tdh.de/soziale-teilhabe-statt-ausschluss-keine-bezahlkarte-fuer-gefluechtete/
9 BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10, Rn. 95
aktualisiert 05.06.2024: Die Bundesarbeitsgemeinschaft Prekäre Lebenslagen - Gegen Lebensarmut und soziale Ausgrenzung e.V. gab eine Stellungnahme ab, die wir unten zitieren, s. Bezahlkarte für Asylsuchende - was ist das und was soll das ?
Bezahlkarte für Asylsuchende - was ist das und was soll das ?
Asylsuchende sind unter Verdacht geraten: Viele von ihnen sollen das Geld, das sie vom Sozialamt für ihren Lebensunterhalt erhalten – alleinstehende Personen rund 460 € monatlich - an Familienangehörige ins Ausland oder gar an Schlepper überwiesen haben. Und diese Möglichkeit ist nach Ansicht rechtspopulistischer Politiker auch ein großer Anreiz, nach Deutschland einzuwandern.
Bewiesen ist das alles nicht. Aber es sind – neben dem Argument der Verwaltungsvereinfachung - die Begründungen, mit der die Ampelkoalition (SPD, FDP und GRÜNE) zusammen mit der AfD im April dieses Jahres einer Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes zustimmte. Danach können die Leistungen für alle Asylsuchenden1 nunmehr in Form einer Bezahlkarte erbracht werden - anstatt als Geldleistung auf ein Girokonto oder als Bargeld.
Die CDU/CSU hat der Gesetzesänderung übrigens nicht zugestimmt, obwohl sie den Antrag ursprünglich in den Bundestag eingebracht hatte. Ihr gingen die Änderungen wohl nicht weit genug, denn die Bezahlkarte ist (noch) nicht verpflichtend. Die Bundesländer und Gemeinden können selbst darüber entscheiden, ob sie die Bezahlkarte einführen wollen oder nicht.
Gleichwohl haben sich die Länder bereits auf die europaweite Ausschreibung für eine Bezahlkarte mit folgenden Vorgaben geeinigt:
- Keine Überweisung im Inland oder ins Ausland und keine Karte-zu-Karte-Überweisung
- Bargeldabhebung nur im Inland über einen vorher festgelegten Betrag (50 oder 70 Euro)
- Nutzungsmöglichkeit nur in einer bestimmten Region
- Möglichkeit des Ausschlusses bestimmter Händlergruppen/Branchen
Die rot-grün-regierten Länder Hamburg und Bremen sind bereits dabei, die Bezahlkarte einzuführen. Auch in NRW gibt es Gemeinden, die eine solche Bezahlkarte für Geflüchtete bereits „ausprobieren“.
Diskriminierung und Ausgrenzung Geflüchteter
Da die Gemeinden bisher viel Freiheit bei der Gestaltung der Karten haben, ist die Schikane derzeit von Ort zu Ort unterschiedlich. Hamburg beispielsweise begrenzt das Abheben von Bargeld auf 50 Euro im Monat. In Greiz (Thüringen) kann die Karte nur innerhalb der Stadt genutzt werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Ort oder ein Bundesland bestimmt, in welchen Läden und/oder welche Produkte man mit der Karte bezahlen kann – technisch möglich wird das sein.
Mit Bezahlkarten können betroffene Familien nicht mehr in kleinen Geschäften – zum Beispiel beim Gemüsehändler um die Ecke – einkaufen, sondern sind auf große Geschäfte und Supermärkte angewiesen, die die Bezahlkarten als Zahlungsmittel akzeptieren. Und das werden wenige sein, da die Abrechnungskosten für die Händler - ähnlich wie bei Debitkarten von Visa oder Mastercard - sehr viel höher sein werden als bei der „normalen“ Girokarte.
Davon betroffen sein werden auch Geflüchtete, die bereits ein Girokonto mit Karte haben (oder bekommen können), denn die Sozialämter werden ihnen ihr Geld nicht mehr auf das Konto überweisen - und sie selbst können das auch nicht tun. Dies wird so sein, weil es wegen der geplanten „Verwaltungsvereinfachung“ selbstverständlich nur ein einheitliches Zahlungssystem für alle Asylsuchende geben wird.
Mit solchen Vorgaben leistet die Bezahlkarte der Diskriminierung und Ausgrenzung von Asylsuchenden in unserer Gesellschaft weiter Vorschub. Die Karte schränkt ihre Entscheidungs- und Bewegungsfreiheit sowie ihre Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben „ganz normal“ teilzunehmen, erheblich ein.
Die freie Verfügung über das wenige gewährte Geld ist aber ein wesentlicher Aspekt menschenwürdiger sozialer Leistungen, der nicht für Menschen einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe eingeschränkt werden darf. Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht 2012 geurteilt, dass die Menschenwürde nicht aus migrationspolitischen Erwägungen relativiert werden darf.Ausweitung auf Bürgergeld und andere Sozialleistungen
Man könnte die Bezahlkarte für Asylsuchende allein als rechtspopulistische Symbolpolitik ansehen, doch das erfasst die Sache nicht ganz. Die neuen Regelungen zur Bezahlkarte für Asylsuchende wurden zusammen mit einem Datenübermittlungsgesetz vom Bundestag verabschiedet. Dabei geht es um die Ausweitung der Digitalisierung bei den Ausländer- und den Sozialbehörden. Das Gesetz regelt insbesondere die Zusammenführung der Daten von 26 Mill. Ausländern im Ausländerzentralregister (AZR) mit denen der Sozialbehörden.
Vor diesem Hintergrund kann man die Bezahlkarte durchaus auch als Vorläufer einer neuen Form der Steuerung und Überwachung im sozialen Bereich sehen, als einen Testlauf zunächst zulasten der Gruppe der Asylsuchenden, die derzeit die schwächste Lobby im Bundestag hat.
Über die weitere Ausbreitung auf andere Gruppen wird bereits diskutiert: Abgeordnete von Union und FDP fordern bereits, die Bezahlkarte auch beim Bürgergeld einzuführen. Und bei der geplanten Kindergrundsicherung ist vorgesehen, dass die Familienkassen die Daten der kindergeldberechtigten Kinder nebst Eltern mit denen der Finanzämter und der Rentenversicherung abgleichen.Digitalisierung und Überwachung
Bei den Bezahlkarten für Asylsuchende werden die Risiken und Nebenwirkungen der Digitalisierung der Verwaltungsbehörden deutlich sichtbar.
Im Alltag schränkt die Karte die Entscheidungs- und die Bewegungsfreiheit der Asylsuchenden sehr weit ein. Auf Verwaltungsebene ermöglicht sie die Steuerung und Überwachung, beispielsweise wenn eine Behörden wissen will, ob sich ein Asylant in der ihm zugewiesenen Region aufhält. Anders als beim Bargeld ist über eine persönliche Bezahlkarte jederzeit nachvollziehbar, wo und was eingekauft wurde.
Darüber hinaus beinhalten die Bezahlkarten ein Sicherheitsrisiko für die Betroffenen, denn sie weisen laut IT-Spezialisten erhebliche Sicherheitslücken auf, mit denen die Karten gehackt werden können.
Zudem können in den Karten Apps mit Trackern installiert werden, die ohne Einwilligung der Nutzer Daten für Persönlichkeitsprofile an Google, Facebock oder an Dritte übermitteln. Das ist besonders für Asylsuchende, die in ihrer Heimat politisch verfolgt wurden, sehr brisant - einfacher kann man es den Geheimdiensten ihrer Herkunftsländer kaum machen.
Hier wird deutlich, dass die Digitalisierung nicht einfach nur der Erleichterung des Alltagslebens oder der Verwaltungsvereinfachung dient. Sie hat sich zunehmend von einem emanzipatorischen System (Stichwort: arabischer Frühling) zu einem Herrschaftsinstrument entwickelt. Dem sollte sich niemand unterwerfen müssen.
Asylsuchende müssen daher auch in Zukunft die Wahl haben zwischen Bargeld und digitalem Bezahlen - ebenso wie alle anderen Bürger*innen auch.
Um solche Wahlmöglichkeiten zu erhalten, fordert der Verein Digitalcourage e.V. den Bundestag mit einer Petition auf, das Recht auf ein Leben ohne Digitalzwang in Art. 3 Grundgesetz aufzunehmen. (https://digitalcourage.de/recht-auf-leben-ohne-digitalzwang)
Denn unabhängig von der Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende widerspricht der Zwang zur Nutzung digitaler Dienste den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates.