In der Türkei verfolgt, von Deutschland abgelehnt: Kurd*innen brauchen Schutz!

13.01.2024 Stigmatisiert, kriminalisiert, inhaftiert – Kurd*innen aus der Türkei suchen Schutz in Deutschland: meist vergebens. Denn das Bundesamt geht leider noch immer davon aus, dass die Türkei ein Rechtsstaat ist. Die dramatische Menschenrechtslage wird schöngeredet. Diese deutsche Asylverweigerungspraxis muss dringend geändert werden. Mit diesen Feststellungen beginnen die News von Pro Asyl vom 12.01.2024. Weiter heißt es:

Aras*, Berat*, Can* und Serdan* stammen aus dem Südosten der Türkei. Sie sind Kurden, mussten ihr Heimatland verlassen und sind vor der Verfolgung durch die türkische Strafjustiz nach Deutschland geflohen. Bei allen behaupten die türkischen Behörden, sie hätten sich terroristisch betätigt – sei es Terrorpropaganda, die Unterstützung einer Terrororganisation oder die Beteiligung an terroristischen Aktivitäten.

NEWS (2023)

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Grundrechte-Report 2023: Kein Schutz vor Erdoğan in Deutschland

Alle bestreiten die Vorwürfe und mussten bereits Drohungen, Befragungen, Haftbefehle und Strafverfahren durch die türkische Strafjustiz über sich ergehen lassen. Bei Rückkehr in die Türkei befürchten sie die Fortsetzung der Verfolgung und ihre willkürliche Inhaftierung. Erschreckend ist: Bei keinem der Männer hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihre Verfolgung anerkannt – alle Asylanträge wurden abgelehnt.

PRO ASYL unterstützt Klagen

Ihre Schicksale, die PRO ASYL hier veröffentlicht, stehen exemplarisch für einen besorgniserregenden Trend. Auf der einen Seite steht die Erosion der Menschenrechte in der Türkei, unter der alle leiden, die nicht in das nationalkonservativ-religiöse Staatsprojekt von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan passen (wollen), wie viele Kurd*innen und ihre Unterstützer*innen. Auf der anderen Seite steht Deutschland, wo viele Schutz vor Verfolgung suchen, wo aber trotz der immer stärker werdenden Verfolgung die Schutzquote sinkt. Immer mehr Geflüchteten aus der Türkei wird ein Schutzstatus verweigert. Häufig zu Unrecht.

Deshalb unterstützt PRO ASYL die Klagen von Aras, Berat und Can sowie weitere Klagen von kurdischen Asylsuchenden mit dem PRO ASYL-Rechtshilfefonds.

Flucht vor dem Regime-Erdogans: Asylantragszahlen auf Höchststand

Im Jahr 2023 wurden 61.181 Asylerstanträge türkischer Staatsbürger*innen registriert, damit haben sich die Antragszahlen im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt (2022: 23.938 Asylerstanträge). Noch vor Afghanistan ist die Türkei das zweitstärkste Herkunftsland von Asylsuchenden in Deutschland, mehr Anträge wurden nur von Syrer*innen gestellt. Wie auch in den Vorjahren sind es besonders Kurd*innen aus der Türkei, die in Deutschland Sicherheit suchen. 84 Prozent der Asylerstanträge türkischer Staatsangehöriger im ersten Halbjahr 2023 wurden von Kurd*innen gestellt.

Erhielt 2019 noch jede zweite antragstellende Person aus der Türkei einen Schutzstatus (bereinigte Gesamtschutzquote 2019: 53 Prozent), war es 2023 nicht einmal mehr jede fünfte. Die bereinigte Schutzquote sinkt kontinuierlich und liegt aktuell bei rund 18 Prozent.

84 % der Asylerstanträge türk. Staatangehöriger von Kurd*innen (1.Halbjahr 23)

Kurd*innen aus der Türkei erhalten seltener Schutz

Dabei ist seit Jahren auffällig: Angehörige der kurdischen Bevölkerungsgruppe aus der Türkei erhalten wesentlich seltener Schutz als Antragsstellende der türkischen Bevölkerungsgruppe. Bereits 2019 wurden lediglich 18 Prozent der Anträge von kurdischen Antragsstellenden vom BAMF positiv beschieden, im ersten Halbjahr 2023 sank die Schutzquote auf nur sieben Prozent ab. Die Schutzquote der türkischen Bevölkerungsgruppe lag mit 70 Prozent weiterhin wesentlich darüber. Zwar sank auch bei dieser Gruppe die Schutzquote im Vergleich zu 2019, die damals bei 76 Prozent lag. Doch der Rückgang fällt wesentlich geringer aus als bei der kurdischen Gruppe, und die Schutzquote liegt weiterhin auf einem deutlich stabileren Niveau.

Die dargestellten Fälle und eindeutigen Berichte (s. Seite von Pro Asyl), machen deutlich, dass Personen, die aufgrund politischer Tatvorwürfe in den Fokus staatlicher Ermittlung geraten sind, in der Türkei nicht mit einem rechtsstaatlichen Verfahren rechnen können.

 

Terrorismusvorwürfe aus dem Nichts

Sei es zum Beispiel die Teilnahme an Demonstrationen, kritische Meinungsäußerungen gegenüber dem Präsidenten oder die Mitgliedschaft in einer legalen Partei: Aus dem Nichts können in der Türkei Terrorismusvorwürfe konstruiert werden.

Die dargestellten Fälle und eindeutigen Berichte, nicht zuletzt durch das Auswärtige Amt selbst, machen deutlich, dass Personen, die aufgrund politischer Tatvorwürfe in den Fokus staatlicher Ermittlung geraten sind, in der Türkei nicht mit einem rechtsstaatlichen Verfahren rechnen können. In den dargestellten Fällen geht es um Kurd*innen; die Feststellung, dass es keine rechtsstaatlichen Verfahren gibt, lässt sich aber auch auf Verfahren oppositioneller Gruppierungen oder Einzelpersonen sowie (vermeintliche) Angehörige des Gülen-Netzwerks (siehe hier für Falldarstellungen) übertragen.

Willkür der türkischen Strafverfolgung anerkennen 

Das BAMF muss endlich die Willkür der türkischen Strafverfolgung anerkennen und darf Verurteilungen aus der Türkei sowie Dokumente aus der türkischen Strafverfolgung nicht unkritisch übernehmen. Es ist längst an der Zeit, dass die Länderleitsätze entsprechend angepasst und die Entscheidungspraxis kritisch überprüft werden. Die Abkehr von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei muss sich endlich auch auf die Schutzquote niederschlagen. Verfolgte des Erdoğan-Regimes brauchen Schutz!

*Name geändert

(ie, mz, wj)