Dobrindts Migrationsgipfel: Lagerwechsel für eine härtere europäische Migrationspolitik

19.07.2025 Dobrindt lud zum Migrationsgipfel auf die Zugspitze ein, um "wichtige Impulse für eine härtere europäische Migrationspolitik zu geben". Zugspitze - das entspricht ganz seiner Symbolpolitik

... Zwar haben die Unionsparteien seit dem Eintritt in die Bundesregierung viele ihrer großen Wahlkampfversprechen wieder einkassiert (Schuldenbremse, Taurus-Lieferung, Stromsteuersenkung) – an der angekündigten migrationspolitischen Wende hingegen wollen sie festhalten. An deren Anfang steht ein Lagerwechsel auf europäischer Ebene. Dobrindt steht dort oben nicht länger umringt von den Partnern von einst: den migrationsfreundlichen... (Zeit)

Pressestimmen 

 

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt hat für Freitag seine Amtskolleginnen und Amtskollegen aus Frankreich, Polen, Österreich, Dänemark und Tschechien sowie EU-Kommissar Magnus Brunner auf die Zugspitze eingeladen. PRO ASYL, LeaveNoOneBehind und der Bayerische Flüchtlingsrat warnen: Der höchste Punkt Deutschlands darf nicht zum moralischen Tiefpunkt der Nation werden. Menschenrechte gelten überall, auch auf 2.962 Metern!

Bundesinnenminister Dobrindt will bei dem Treffen „gemeinsame Impulse für eine härtere europäische Migrationspolitik” sammeln. Dabei könnten unter anderem Pläne zur Auslagerung von Asylverfahren und die Abschaffung des sogenannten Verbindungskriteriums bei „sicheren Drittstaaten” eine Rolle spielen. Es droht ein Gipfel der Abschottung.

„Wenn Bundesinnenminister Dobrindt auf die Zugspitze einlädt, dann ist die Symbolik klar: Deutschland steht an der Spitze der europäischen Hardliner. Doch wie viel härter soll es werden? Schon jetzt ist das Leid an Europas Außengrenzen unermesslich, Tausende Menschen ertrinken, erfrieren oder ersticken auf der Suche nach Frieden und Freiheit. Der Versuch, die europäische Schutzverantwortung auf nicht-europäische Länder auszulagern, wird dies nicht ändern, sondern die Lage der Betroffenen sogar verschlimmern”, so Ruben Neugebauer von LeaveNoOneBehind.

„Dobrindt kann sich zwar 2.962 Meter über den Meeresspiegel stellen, nicht aber über das Grundgesetz und die Prinzipien des Rechtsstaates. Kein Gipfeltreffen und keine europäischen Innenminister und ‑ministerinnen stehen über den Menschenrechten. Das europäische Menschenrechtssystem wird sich nicht so leicht aus den Angeln heben lassen, wie es sich wohl einige der Gipfelstürmer erträumen. Asyl zu suchen ist ein Menschenrecht und das gilt es, zu schützen. PRO ASYL hat nach Dobrindts Weisung zu illegalen Zurückweisungen deutlich gemacht, dass wir den Innenminister immer wieder auf den Boden der Tatsachen beziehungsweise des Gerichtssaals holen werden, egal, in welche Höhen er sich verstiegen hat”, kommentiert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

„An der Grenze unterhalb der Zugspitze zeigt sich das Ergebnis der verfehlten Politik der Abschottung: Dauerhafte Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Asylsuchenden – wie sie derzeit an der deutsch‑österreichischen Grenze stattfinden – sind rechtswidrig. Die Begründung dieser Maßnahmen mit Überforderungs- und Krisenszenarien ist haltlos. Das wissen auch die Innenminister und ‑ministerinnen, die auf der Zugspitze tagen. Dobrindt und Co. sollten von ihrem Gipfel hinabsteigen und sich endlich mit menschenrechtskonformen Lösungen wie sicheren Fluchtrouten und erleichterter Arbeitsmarktintegration beschäftigen, statt Nebelkerzen auf der Zugspitze zu werfen“, kritisiert Katharina Grote vom Bayerischen Flüchtlingsrat.

 

Europa steht vor einem radikalen Kurswechsel – immer mehr Innenminister plädieren für schärfere Abschieberegeln. Deutlich wurde das bei Dobrindts Migrationsgipfel auf der Zugspitze.

Mit Deutschlands Kurswechsel verschiebt sich das Machtgefüge innerhalb der EU – zugunsten jener Mitgliedstaaten, die eine deutlich restriktivere Migrationspolitik fordern. Das war der Tenor des Migrationsgipfels in 2962 Meter Höhe auf dem Gipfel der Zugspitze, wohin Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) am Freitag mehrere seiner europäischen Amtskollegen und den EU-Kommissar für Migration, Magnus Brunner, geladen hatte.

Konkret wollen die Innenminister aus Deutschland, Polen, Österreich, Dänemark, Frankreich und Tschechien die Rückführungsrichtlinie der EU deutlich verschärfen.

„Schutz der EU muss künftig nicht Schutz in der EU bedeuten“, sagte Dobrindt bei der anschließenden Pressekonferenz. „In den nächsten Monaten wollen wir auf europäischer Ebene weitere Maßnahmen gegen illegale Migration ergreifen.“

Europäische Zusammenarbeit bei der Aufnahme von Flüchtlingen vor dem Scheitern

Wenn Asylbewerber künftig nicht mehr den Asylantrag innerhalb der EU stellen können, käme das einer Zäsur gleich. Zehn Jahre nachdem die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihren berühmten Satz „Wir schaffen das“ in Bezug auf die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen gesagt hat, droht der europäische Asyl- und Migrationspakt zu scheitern.

Deutschland hat bereits kurz nach dem Amtsantritt von Kanzler Friedrich Merz (CDU) Grenzkontrollen innerhalb der EU eingeführt. Griechenland hat in der vergangenen Woche seine Grenzen dichtgemacht. Migranten, die auf dem Seeweg aus Nordafrika auf Kreta ankommen, können vorläufig keine Asylanträge mehr stellen. Damit soll die Zahl der ankommenden Migranten begrenzt werden.

Griechenland könnte nur der Anfang sein. Weitere EU-Staaten wie Italien könnten folgen und ebenfalls die Grenzen schließen.

Dabei wollte die EU mit dem Asyl- und Migrationspakt den Zustrom besser regeln und die Lasten fair auf die Mitgliedsländer verteilen. Dafür sollen Asylbewerber ihren Antrag an den EU-Außengrenzen stellen können und diejenigen mit geringen Bleibechancen ein Schnellverfahren durchlaufen und bei negativem Bescheid direkt abgeschoben werden.

Außerdem soll ein Solidaritätsmechanismus sicherstellen, dass Länder mit einer großen EU-Außengrenze wie Griechenland und Italien nicht allein die Verantwortung für die Ankommenden tragen müssen. Doch das reicht dem Lager um Dobrindt nicht mehr. Für sie liegt der Schlüssel zur Lösung des Migrationsproblems darin, Asylverfahren außerhalb Europas zu ermöglichen.

Deutschland zählt nun zu den Hardlinern

Auf der Zugspitze sprach Dobrindt von einer „neuen deutschen Partnerschaft“. Das sei der von Kanzler Merz angekündigte Politikwechsel, sagte er.

„Der Gipfel zeigt, wie wir unter Nachbarn gut zusammenarbeiten“, sagte EU-Kommissar Magnus Brunner, der ebenfalls beim Treffen auf der Zugspitze dabei war. Der volle Fokus auf Europa sei nun entscheidend.

Das existierende Asylsystem ist kaputt. Mette Frederiksen, Ministerpräsidentin Dänemarks

Während Deutschland erst jetzt ins Lager der Hardliner wechselt, machen sich andere EU-Staaten schon länger zu eine restriktive Migrationspolitik stark.

Dazu gehören auch Sozialdemokraten wie die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. „Das existierende Asylsystem ist kaputt“, sagte Frederiksen bei der Auftaktveranstaltung zur dänischen Ratspräsidentschaft Anfang Juli.

Die EU müsse die eigenen Grenzen kontrollieren und brauche „neue Lösungen“, um den Zustrom zu begrenzen. Außerdem fordert Dänemark gemeinsam mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, dass Ausländer, die schwere Straftaten begehen, ausgewiesen werden müssen.

Auch der Migrationsexperte Daniel Thym von der Universität Konstanz sieht in Europa Asylhardliner auf dem Vormarsch. Gemeinsam mit dem deutschen Innenminister hätten die Unterstützer strenger Maßnahmen im EU-Ministerrat nun die Oberhand, sagte der Rechtswissenschaftler.

Langfristig lasse sich Migration nur europäisch begrenzen, betonte der Jura-Professor: Das forciere der Innenminister jetzt mehr.

Grenzkontrollen verärgern Nachbarn

Dobrindt ist für die Umsetzung des migrationspolitischen Kurses des Bundeskanzlers verantwortlich. Bereits im Wahlkampf hatte Merz versprochen, die Zahl von Asylbewerbern deutlich zu reduzieren.

Nur wenige Tage nach seinem Amtseintritt im Frühjahr verhängte der Innenminister Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen – zum Ärger der Nachbarn. Einwanderer ohne Papiere, einschließlich Asylbewerber, sollten von der Polizei zurückgewiesen werden. Politiker in Frankreich, Polen und Österreich kritisierten daraufhin die Regierung Merz, weil sie den freien Personen- und Warenverkehr innerhalb des Schengen-Raums behindere.

Die Bundesregierung verteidigte sich damit, dass die Grenzkontrollen nur ein vorübergehendes Mittel seien. Auch beim Gipfel auf der Zugspitze kam das Thema zur Sprache. Ein neuer Streit wurde vermieden, man wollte sich offenkundig lieber auf den gemeinsamen Ansatz konzentrieren.

Dobrindt will Flüchtlinge in Staaten abschieben, zu denen sie keine Verbindung haben

Konkret wollen die Minister unter der deutschen Initiative die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber in Drittstaaten erleichtern. „Dafür wollen wir das sogenannte Verbindungselement streichen“, sagte Dobrindt am Freitag.

Das Verbindungselement sieht vor, dass Schutzsuchende nur in Drittstaaten abgeschoben werden können, zu denen sie eine Verbindung haben, etwa weil sie Verwandte in dem Land haben. Ohne das Verbindungselement könnten Migranten auch in einen Drittstaat gebracht werden, zu dem sie keine Verbindung haben.

Dafür müsste die von der EU-Kommission im Mai vorgelegte Rückführungsrichtlinie angepasst werden. Mit der Richtlinie hat die EU bereits ihren Kurs deutlich verschärft und will härter gegen Migranten ohne Bleiberecht vorgehen.

Wer sich illegal in der EU aufhält, soll künftig schneller abgeschoben werden. Wer sich der Abschiebung widersetzt, muss mit härteren Konsequenzen rechnen als bisher.

Viele »Rückführungen«, dichte Außengrenzen: Ziel der Länder, deren Innenminister sich auf Einladung von Alexander Dobrindt auf der Zugspitze trafen

Seine Inszenierung vor malerischer Alpenkulisse dürfte Alexander Dobrindt (CSU) als gelungenen Coup verbuchen. Am Freitag hatte der Bundesinnenminister seine Amtskollegen aus Frankreich, Polen, Österreich, Tschechien und Dänemark sowie EU-Innenkommissar Magnus Brunner zu einem »Migrationsgipfel« auf die Zugspitze geladen. Beziehungsweise in die Räumlichkeiten des Panomaramarestaurant knapp darunter.

Das goldene Gipfelkreuz hielten dagegen am Vormittag Kletterer besetzt, die dort in Sichtweite des Politikertreffens den Protest der deutschen Flüchtlingsräte artikulierten, indem sie ein großes Banner entrollten. Darauf nannten sie das Ziel des Treffens beim Namen: Es ging um noch mehr Abschottung der EU vor unerwünschten Zuwanderern. Vor denen nämlich, die in jedem zweiten Satz der Anwesenden auf der Pressekonferenz am Freitagnachmittag nicht als Menschen bezeichnet wurden, die Schutz vor Krieg, Verfolgung und Elend suchen, sondern als Sache: »illegale Migration«.

»Wir wollen, dass Deutschland nicht mehr im Bremserhäuschen sitzt, sondern in der Lokomotive fährt, wenn es darum geht, die Migrationspolitik zu verschärfen.« Alexander Dobrindt Bundesinnenminister

Die gelte es entschlossen zu bekämpfen, so der Tenor der Statements der Minister und des Kommissars. Sie alle wollen Vorreiter sein für einen »Asyl- und Migrationspakt«, den sie vorantreiben und mit dem sie das jüngst verschärfte Gemeinsame Asylsystem (Geas) der EU nochmals härter machen wollen. Hauptziele dabei: erstens eine bessere Ausstattung der Grenzbehörde Frontex und der EU-Polizeiinstitution Europol, um die Außengrenzen des Staatenbündnisses noch undurchlässiger zu machen. Zweitens Beschleunigung der Asylverfahren, um möglichst viele Menschen abschieben zu können. Drittens das Vorantreiben von Abkommen mit sogenannten sicheren Drittstaaten, in die man künftig auch Personen ausfliegen können möchte, die keinerlei Bezug zu dem entsprechenden Land haben, ja das sie nicht einmal durchquert haben.

Bislang gibt es in der EU-Verordnung, die Asylverfahren regelt, das sogenannte Verbindungselement. Danach dürfen Menschen nur in Drittstaaten überführt werden, wenn sie dort längere Zeit gelebt haben oder über engere Kontakte zu dort lebenden Personen verfügen. Die schwarz-rote Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag das Ziel formuliert, dieses Verbindungselement zu streichen. Hierzu besteht zwischen den sechs auf dem Gipfel vertretenen Ländern und dem EU-Innenkommissar vollkommene Einigkeit.

Alexander Dobrindt wählte große Worte, um sich und die deutsche »Asylwende« in Szene zu setzen. Die neue Bundesregierung wolle, dass »Deutschland nicht mehr im Bremserhäuschen sitzt, sondern in der Lokomotive fährt, wenn es darum geht, die Migrationspolitik zu verschärfen«. Wenn es darum gehe, »wirksame Maßnahmen gegen die illegale Migartion zu ergreifen«, sei das Motto nicht mehr »german vote, sondern german partnership«. Gemeinsam wolle man zeigen, dass man die Kontrolle über das Problem zurückgewinne und so den »Populisten« und »Extremisten« den Boden entziehe, wie es Tschechiens Innenminister Vít Rakušan ausdrückte.

Dobrindt betonte, auf nationaler Ebene tue die Bundesregierung alles, um »Pull-Faktoren zu reduzieren«, und auf der der Europäischen Union werde man alles daran setzen, die Ziele zu erreichen, die die Gipfelteilnehmer auch in einer gemeinsamen Erklärung formulierten. In das EU-Migrationssystem müsse »mehr Geschwindigkeit« komme, sagte der Gastgeber. »Doppelt- und Dreifachprüfungen« müssten der Vergangenheit angehören. Schlepper und Schleuser gelte es zu bekämpfen, die »Rückkehrverordnung deutlich zu schärfen«. Zudem sollten »Return Hubs entstehen auch in Drittstaaten, wo Ausreisepflichtige auch außerhalb Europas untergebracht werden können«.

An solchen »Return Hubs« oder Rückführungszentren außerhalb der EU, etwa in der Türkei, wird bereits gearbeitet. Sie sind Teil des Kommissionsvorschlags zur Reform der EU-Rückführungsrichtlinie. Dabei handelt es sich um Einrichtungen, in denen nationale Behörden gemeinsam mit EU-Agenturen wie Frontex Abschiebungen koordinieren und vorbereiten sollen.

»Wirksame Rückführungen sind eine unerlässliche Voraussetzung für das Vertrauen in eine ausgewogene europäische Migrationspolitik«, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Dazu gehörten auch Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan. Diese müssten »möglich sein«. Bislang ist die Ausreise von abgelehnten Asylbewerbern in diese beiden Länder mit hohen Hürden verbunden.

Dobrindt hob auf dem Gipfel hervor, der am Freitag vom Airport Halle/Leipzig gestartete Abschiebeflug nach Kabul mit 81 Afghanen an Bord – nach seinen Angaben geht es ausschließlich um »Straftäter, um schwere, schwerste Straftäter« – sei erst der Anfang. Er sei fest entschlossen, künftig auch ohne die Unterstützung von Mittlern wie dem Golfemirat Qatar solche Abschiebungen vorzunehmen. Er bekräftigte, dass er direkt mit den in Afghanistan herrschenden radikalislamischen Taliban über die Maßnahmen verhandle. Entsprechende direkte Gespräche gab es auch im Vorfeld der Abschiebung am Freitag, der ersten unter der Ägide der schwarz-roten Koalition.

»Es ist wirklich inakzeptabel, dass nur einer von Vieren, die sich illegal in Europa aufhalten, dann auch tatsächlich rückgeführt wird.« Magnus Brunner EU-Kommissar für Inneres und Migration

Bundeskanzler Friedrich Merz stärkte Dobrindt in seiner Sommer-Pressekonferenz am Freitag diesbezüglich den Rücken. Diplomatische Kontakte zwischen Deutschland und der »De-facto-Regierung« in Kabul habe es seit deren Rückkehr an die Macht durchgängig gegeben, sagte der CDU-Vorsitzende. Er betonte, dies seien Beziehungen zwischen Staaten und zwischen Bundesregierung und Taliban. Deren Regime erkenne man eben nicht an, wenn man mit ihm über Rückführungen verhandle, betonte er.

Genau dies, nämlich die Anerkennung eines täglich die Menschenrechte seiner Bewohner verletzenden Regimes, werfen viele zivilgesellschaftliche Initiativen, Die Linke und die Grünen der Bundesregierung vor. Grünen-Politiker Anton Hofreiter sprach am Freitag von einer »massiven Aufwertung von islamistischem Terror«.

Dobrindts Amtskollegen auf der Zugspitze waren demgegenüber voll des Lobes für die deutsche Aktion. Österreichs Innenminister Gerhard Karner hob hervor, der Regierung in Wien sei es gelungen, erstmals Straftäter nach Syrien abzuschieben. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es, man wolle generell wieder Menschen nach Syrien und Afghanistan abschieben, »beginnend mit Straftätern«.

 

Der Migrationsgipfel auf der Zugspitze ist ein Wendepunkt: Deutschland ist nicht länger Bremser einer härteren Migrationspolitik. Sondern ihr entschlossener Antreiber.

... Abschiebungen als Alltag

Nur bleibt es nicht bei ein paar Witzchen zur Begrüßung. Dobrindt meint es ernst. Nach einem Arbeits-Lunch mit den Innenministern von Polen, Österreich, Dänemark, Tschechien und Frankreich tritt die Gruppe erneut vor die Presse. Gemeinsam wollten sie sich dafür einsetzen, dass künftig Asylverfahren auch außerhalb der EU durchgeführt werden können, Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien sollen zum Alltag gehören, auch das Verbindungselement im EU-Recht soll fallen – das vorsieht, dass Migranten nur in jene Drittstaaten abgeschoben werden können, zu denen sie eine nachweisbare Beziehung haben. Noch vor Inkrafttreten der angestrebten Neuordnung der europäischen Migrationspolitik, die ab 2026 gelten soll, fordern die fünf Politiker schon deren Verschärfung.

Dass die Minister dieses Treffen nicht in Wien, Paris oder Warschau abhalten, sondern hier oben auf der Zugspitze, ist kein Zufall. Dobrindts Gipfel auf dem Gipfel ist eine Botschaft an Europa: Deutschland ist nicht mehr das Land, das es einmal war.

Fast ein Jahrzehnt lang galt die Bundesregierung in der Migrationspolitik innerhalb der EU als Bremser. Mal um Mal stellte sich der Bund den Bemühungen anderer europäischer Staaten entgegen, wenn die geltendes Recht verschärfen wollten. Die Bundesregierung protestierte, als Griechenland Asylbewerber mithilfe illegaler Pushbacks in die Türkei zurück verfrachtete, Ungarn eine Sperranlage entlang seiner Grenze zu Serbien bauen ließ, und Finnland das Asylprinzip auf seiner Grenze zu Russland gleich ganz aussetzte. Damit soll jetzt Schluss sein. Zwar haben die Unionsparteien seit dem Eintritt in die Bundesregierung viele ihrer großen Wahlkampfversprechen wieder einkassiert (Schuldenbremse, Taurus-Lieferung, Stromsteuersenkung) – an der angekündigten migrationspolitischen Wende hingegen wollen sie festhalten.

An deren Anfang steht ein Lagerwechsel auf europäischer Ebene. Dobrindt steht dort oben nicht länger umringt von den Partnern von einst: den migrationsfreundlichen Luxemburgern, oder den bis vor einigen Jahren gemäßigten Niederländern – die Innenminister beider Staaten waren gar nicht erst eingeladen. Dobrindt hat jene hergebeten, die am anderen Ende des politischen Spektrums stehen: Polens Innenminister, der sagt, man müsse über die Aufweichung des Asylrechts für die Grenze zu Belarus nachdenken. Dänemarks Innenminister, dessen Regierung den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kürzlich dafür kritisierte, dass er durch seine Rechtsprechung die nationale Ausgestaltung der Migrationspolitik und damit letztlich den Volkswillen hindere. Kanzler Friedrich Merz war am Rande des G20-Gipfels vor zwei Wochen der Einladung der stramm-rechten italienischen Premierministerin Giorgia Meloni zu einem Austausch über die Migrationspolitik gefolgt. Dobrindt geht jetzt den nächsten Schritt. 

Sogar Lob aus Polen

Bei seinen neuen Partnern kommt das gut an. Normalerweise sei der Ertrag von Zusammenkünften wie dieser kläglich, sagt Frankreichs Innenminister Bruno Retailleau, doch dieses Treffen sei nun wirklich sehr erfolgreich gewesen, und das liege vor allem an der fantastischen Vorarbeit seines "lieben Freundes Alexander". Der dänische Innenminister lobt die "interessanten Ansätze", die Dobrindt verfolge, und meint damit wohl auch die kürzlich vom Bundestag beschlossene Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte. Selbst der polnische Kollege, dessen Regierung Deutschland seit Wochen scharf für die Zurückweisungen von Asylbewerbern an der gemeinsamen Grenze kritisiert, ist hier heute voll des Lobes.

... Wie soll man das nennen, was der neue Bundesinnenminister hier mit dem Anschein nach so großem Erfolg veranstaltet? Das Wort, das sich aufdrängt, ist eines, das sich zur Beschreibung der deutschen Migrationspolitik in all ihren Widersprüchen und ihrer Folgenlosigkeit so bislang nicht eignete: martialisch.

 

 

Auch in Europa brauche es eine Migrationswende, sagte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt beim EU-Innenministertreffen auf der Zugspitze. Die Ergebnisse des Gipfels zum Thema Migration wurden in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten.

Gemeinsame Lösungen beim Thema Migration zu finden – das war das Ziel des EU-Innenministertreffens auf der Zugspitze. Dazu traf Bundesinnenminister Alexander Dobrindt mit seinen Amtskolleginnen und -kollegen aus Frankreich, Polen, Österreich, Dänemark und der Tschechischen Republik sowie mit dem EU-Innenkommissar Magnus Brunner zu politischen Gesprächen zusammen. 

Im Mittelpunkt der Gespräche stand vor allem die Neuordnung der europäischen Migrationspolitik. Konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der neuen Migrationspolitik sind unter anderem die Umsetzung von innovativen Lösungen mit Drittstaaten, die weitere Bekämpfung der Schleuserkriminalität und insbesondere die konsequentere Rückführung sowie die Stärkung der EU-Außengrenzen. Diese sollen nun von den teilnehmenden Innenministern vorangetrieben und umgesetzt werden. Die Ergebnisse der Gespräche wurden in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten. ... 

Mit dem Gipfel strebte Bundesinnenminister Dobrindt für Deutschland eine neue führende Rolle in der EU-Migrationspolitik an. Das Treffen auf der Zugspitze nannte er als Signal, „dass Deutschland nicht mehr im ‚Bremserhäuschen‘ sitzt in der EU, sondern dass wir mit in der Lokomotive fahren”.