09.12.2025 Eine deutliche Verschärfung der gemeinsamen Asylpolitik haben die EU-Innenminister gestern beschlossen. Das EU-Parlament muss noch zustimmen.
Neben dem "Solidaritätspool" und der EU-Liste "sicherer Herkunftsstaaten" wurden in den Bewertungen vor allem die Pläne für das EU-einheitliche Vorgehen bei Abschiebungen thematisiert:
Quasi im Eiltempo haben die europäischen Innenministerinnen und Innenminister heute viele Haken an wichtige Bausteine der EU-Asylreform gesetzt. Entscheidend zunächst: Künftig sollen EU-einheitliche Verfahren bei der Abschiebung gelten. Das betrifft die Abschiebehaft, ein Wiedereinreiseverbot und vor allem strengere Regeln, wie ausreisepflichtige Personen künftig EU-weit mit den Behörden kooperieren müssen. (Tagesschau)
Personen, deren Asylanträge abgelehnt worden sind, sollen etwa verpflichtet werden, aktiv an ihrer Rückführung mitzuwirken. Sollten sie nach Aufforderung nicht unverzüglich Dokumente zu ihrer Identifikation vorlegen, müssen sie mit Strafen rechnen. Zudem sollen sie für die Behörden erreichbar bleiben. Bei Verweigerung der Zusammenarbeit drohen Konsequenzen – etwa die Kürzung von Leistungen oder ein längeres Einreiseverbot. Auch Haftstrafen sollen nach Vorstellung der EU-Staaten in manchen Fällen möglich sein. Außerdem sollen strengere Regeln für Personen gelten, die als Sicherheitsrisiko eingestuft werden. So sollen etwa die Gründe für eine Inhaftierung erweitert und mögliche Haftzeiten verlängert werden. Auch Rückführungszentren in Drittstaaten außerhalb der EU sollen durch die Verordnung möglich sein. (LTO)
Sichere Drittstaaten: keine persönliche Verbindung erforderlich Neben den sicheren Herkunftsländern gibt es auch das Konzept der sicheren Drittstaaten. Es soll das europäische Asylsystem entlasten, indem Menschen in Nicht-EU-Länder abgeschoben werden, um dort ihr Asylverfahren abzuwarten [mit sog. Rückführungszentren] Auch hier haben sich die EU-Innenminister auf eine gemeinsame Position geeinigt. Bislang war es nötig, dass Asylsuchende eine enge Verbindung zu einem solchen Drittstaat haben, etwa durch Familienangehörige oder einen längeren Aufenthalt. Dem Vorschlag der EU-Staaten nach könnte es zukünftig schon reichen, wenn ein Abkommen zwischen einem Mitgliedstaat und dem Drittstaat besteht. Schutzsuchende können demnach auch in Länder abgeschoben werden, in denen sie noch nie waren und zu denen sie keine familiäre, kulturelle oder sonstige Bindung haben. Ausgenommen davon sind unbegleitete Minderjährige. (LTO)
In einer Pressemitteilung hatte Pro Asyl die gravierenden Kritikpunkte verbreitet
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PRO ASYL kritisiert: Europäische Innenminister*innen diskutieren Gruselkabinett von Abschiebeverschärfungen (Text s. unten)
Im Folgenden Bericht Tagesschau, Bewertung von Legal Tribune Online (LTO), Pressemitteilung Pro Asyl und ein Rundschreiben des Deutschen Landkreistages.
aktualisiert 10.12.2025:
- nd: EU-Asylrecht: Rechtsaußen-Träume werden wahr EU-Innenminister einigen sich auf verschärfte Regeln im Asylsystem
Im kommenden Jahr könnte EU-Gesetz werden, was vor zwei Jahren noch Fantasien von Rechtsaußen-Politiker*innen wie Giorgia Meloni waren. Am Montag einigten sich in Brüssel zunächst die Innenminister der Europäischen Union auf Details der neuen »Rückführungsrichtlinie« und die Ausgestaltung des sogenannten Solidaritätsmechanismus unter den Mitgliedstaaten. Die Regelungen sind die letzten Bausteine bei der Umsetzung des neuen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas), auf das sich das Staatenbündnis im April 2024 geeinigt hatte.
Nun muss noch das EU-Parlament zustimmen, wo insbesondere die Frage der »Rückkehrzentren« umstritten ist. Zumindest Vertreter aus dem Lager der Linken, Sozialdemokraten und Grünen wenden sich dagegen, weil die neue Richtlinie mutmaßlich gegen nationale und internationale Gesetze und Menschenrechte verstößt.
EU-Pläne verletzten Grundrechte
Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, kritisierte, mit Umsetzung der Pläne drohten massive Verletzungen von Grundrechten. Gemeinsam mit mehr als 60 deutschen und internationalen Organisationen wie dem Europäischen Flüchtlingsrat (ECRE), Human Rights Watch, Caritas Europa und Ofxam hat Pro Asyl vergangene Woche in einer Stellungnahme auf die Gefahren des Kompromissvorschlags der dänischen Ratspräsidentschaft aufmerksam gemacht.
»Neben vielen Widerlichkeiten ist die Abschiebung in Lager an den europäischen Außengrenzen das wohl dreckigste Mittel, schutzsuchende Menschen loszuwerden.«
Özlem Alev Demirel Mitglied des EU-Parlaments (Linke)
Kritik kommt auch von Mitgliedern des Europaparlaments. So warnte die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel gegenüber »nd«: »Unverhältnismäßig lange Abschiebehaft und erhebliche Einschränkungen der Grundrechte werden nicht dazu beitragen, dass mehr ausreisepflichtige Menschen abgeschoben werden.« Die Pläne zur Einrichtung von »Rückkehrzentren« in Nicht-EU-Staaten bezeichnet Sippel als »haarsträubend«. EU-Kommission und Mitgliedsstaaten überböten sich »in der Aushöhlung der Grundrechte«. Zudem seien »Effektivität und Nachhaltigkeit der vorgeschlagenen drastischen Maßnahmen in keiner Weise belegt«, so Sippel.
Neue Regelung führt zu mehr Ablehnungen
Die Innenminister*innen bezeichnen ihre Einigung hingegen als Meilenstein. Die neue Rückführungsrichtlinie sieht unter anderem vor, dass die EU-Länder sich auf eine gemeinsame Liste von »sicheren Herkunftsstaaten« einigen. Das sind Länder, bei denen davon ausgegangen wird, Menschen drohe dort keine Verfolgung, weshalb deren Asylanträge in der Praxis gar nicht mehr geprüft werden. Die Liste soll um mehrere Staaten erweitert werden.
In der Konsequenz wird dies zur Ablehnung von Asylanträgen insbesondere marginalisierter Personen wie aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität diskriminierter oder verfolgter Menschen führen. Am Freitag hatte auch der Bundestag beschlossen, dass sichere Herkunftsländer künftig per Rechtsverordnung bestimmt werden können. Bisher musste darüber im Parlament entschieden werden.
Zudem soll die Zahl der sicheren Drittstaaten – also von Transitländern, die Menschen auf der Flucht durchqueren – per Deklaration erhöht werden. Hinzu kommt eine Schwächung der sogenannten Prüfung zur Nichtzurückweisung an den Außengrenzen. Die EU ist eigentlich zur Einhaltung des völkerrechtlichen Prinzips der Nichtzurückweisung (Non Refoulement) von Menschen in Länder verpflichtet, in denen ihnen unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
Schon jetzt wird gegen die Genfer Konvention verstoßen
Mit den bereits seit Langem stattfindenden Zurückweisungen an den Außengrenzen wird dieser Grundsatz, der 1951 in der Genfer Flüchtlingskonvention festgeschrieben wurde, regelmäßig verletzt. Mit den neuen Regelungen sollen diese Pushbacks faktisch legalisiert werden. Zudem soll der rechtliche Rahmen für die Einrichtung der »Rückkehrzentren« in Drittstaaten geschaffen werden, nachdem Großbritannien und Italien mit ähnlichen Versuchen an nationalen Gerichten gescheitert waren. Zudem macht die Richtlinie neue repressive Maßnahmen gegen abgelehnte Asylbewerber*innen möglich, unter anderem Hausdurchsuchungen und Fußfesseln. Auch soll die Abschiebehaft ausgeweitet werden, potenziell auf unbestimmte Zeit.
Scharfe Kritik an den Ministerbeschlüssen übt auch die Linke-Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel. »Was von den Innenministern und EU-Kommissar Magnus Brunner als vertrauensbildenden Maßnahme gepriesen wird, ist nichts anderes als ein weiterer Schandfleck auf der Werte-Weste der EU«, sagte sie im Gespräch mit »nd«. Die Beschlüsse vom Montag seien »der nächste Schritt zur faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl«. Neben »vielen Widerlichkeiten, wie der Sanktionierung von Geflüchteten« sei die »Abschiebung in Lager an den europäischen Außengrenzen das wohl dreckigste Mittel, Menschen loszuwerden, die Zuflucht suchen vor Krieg, Hunger, Unterdrückung oder Verfolgung«, empört sich die Politikerin.
Und während man sich geeinigt habe, Länder wie Griechenland, Italien, Polen oder Bulgarien besser bei den Asylverfahren zu unterstützen, habe Bundesinnenminister Alexander Dobrindt bereits kundgetan, dass Deutschland weder mehr Menschen aufnimmt noch mehr Geld an die genannten Staaten zahlt, konstatierte Demirel. »So weit reicht die christliche Nächstenliebe zur Weihnachtszeit wohl dann doch nicht.«
Dobrindt glaubt, dass Menschen freiwillig nach Syrien gehen
Bereits im März 2025 hatte die EU-Kommission einen ersten Entwurf für massive Verschärfungen der Rückführungsregeln vorgeschlagen. Dass nun noch härtere Gesetze beschlossen werden sollen, ist auch auf deutschen Druck zurückzuführen. Im kommenden Sommer soll das Paket in Kraft treten. Innenminister Dobrindt äußerte am Rande der Verhandlungen, die EU wolle bald auch Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien ermöglichen sollen, wo nun bereits so viele Menschen »freiwillig« zurückgingen. Tatsächlich gehen viele, weil ihnen nach der Aussetzung des Familiennachzugs für subisidiär Schutzberechtigte verwehrt wird, ihre Eltern oder Kinder nach Deutschland zu holen.
Die Bundesregierung treibt derweil die Umsetzung der Geas-Reform in nationales Recht voran. Der Republikanische Anwält*innenverein und die Neue Richter*innenvereinigung kritisieren, dass die schwarz-rote Koalition dabei »einen besonders restriktiven Weg« gewählt habe. So will die Regierung Camps für Flüchtlinge im Dublin-Verfahren einrichten und den Zugang zu Rechtsberatung erschweren.
EU-weit werden jedes Jahr Tausende Menschen in ihre Herkunftsländer abgeschoben. Trotzdem handelt es sich dabei nur um einen kleinen Teil der abgelehnten Asylantragsteller*innen. Allein in Deutschland scheitern die meisten Abschiebungen daran, dass sie an sich ein ineffizientes Verfahren mit hohem Verwaltungsaufwand sind. Von mehr als 44 400 versuchten Abschiebungen gelangen 2024 nur rund 11 800.
Die EU-Innenminister haben sich unter anderem auf erleichterte Ablehnungen von Asylanträgen sowie eine gemeinsame Liste "sicherer Herkunftsländer" geeinigt. Zudem soll es "Umsiedlungen" innerhalb der EU geben.
Quasi im Eiltempo haben die europäischen Innenministerinnen und Innenminister heute viele Haken an wichtige Bausteine der EU-Asylreform gesetzt. Entscheidend zunächst: Künftig sollen EU-einheitliche Verfahren bei der Abschiebung gelten. Das betrifft die Abschiebehaft, ein Wiedereinreiseverbot und vor allem strengere Regeln, wie ausreisepflichtige Personen künftig EU-weit mit den Behörden kooperieren müssen.
Eine weitere Einigung zielt auf die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten. Darauf stehen nun Ägypten, Marokko und Tunesien, Indien, Bangladesch, Kolumbien und der Kosovo. In diese soll aus der gesamten EU künftig schneller abgeschoben werden können, sagte EU-Innenkommissar Magnus Brunner: "Es ist eine Liste, die wir noch mal erweitert haben und bei der wir uns an klare Vorgaben halten, was als sicher gilt und was nicht." Dahinter stünden viele Gespräche etwa mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und der jeweiligen Zivilgesellschaft. "Am Ende wird diese Liste unsere Rückführungsprozess dorthin stark erleichtern", sagte der Innenkommissar.
- LTO 08.12.2025: Leistungskürzungen, Verteilmechanismus, sichere Herkunftsstaaten EU-Innenminister einigen sich auf Verschärfungen im Asylrecht
Die EU-Staaten wollen mehr Abschiebungen. Dafür erhöhen sie den Druck auf die Betroffenen und bestimmen neue sichere Herkunftsländer. Wichtige Einigungen gibt es auch hinsichtlich der Verteilung der Asylsuchenden auf die EU-Staaten.
Mehr und schneller abschieben, Schutzsuchende und Solidaritätsbeiträge verteilen: Die EU-Staaten erzielen weitreichende Einigungen in entscheidenden Fragen der Migrationspolitik. Das teilten die Mitgliedsländer bei einem Treffen der europäischen Innenminister in Brüssel mit. Das Europäische Parlament muss den Vorschlägen noch zustimmen.
Personen, deren Asylanträge abgelehnt worden sind, sollen etwa verpflichtet werden, aktiv an ihrer Rückführung mitzuwirken. Sollten sie nach Aufforderung nicht unverzüglich Dokumente zu ihrer Identifikation vorlegen, müssen sie mit Strafen rechnen. Zudem sollen sie für die Behörden erreichbar bleiben. Bei Verweigerung der Zusammenarbeit drohen Konsequenzen – etwa die Kürzung von Leistungen oder ein längeres Einreiseverbot. Auch Haftstrafen sollen nach Vorstellung der EU-Staaten in manchen Fällen möglich sein. Außerdem sollen strengere Regeln für Personen gelten, die als Sicherheitsrisiko eingestuft werden. So sollen etwa die Gründe für eine Inhaftierung erweitert und mögliche Haftzeiten verlängert werden. Auch Rückführungszentren in Drittstaaten außerhalb der EU sollen durch die Verordnung möglich sein.
Ein wichtiger und zuletzt unter den Mitgliedstaaten umstrittener Punkt ist die gegenseitige Anerkennung von Rückkehrentscheidungen. Das bedeutet, dass Abschiebebescheide, die in einem EU-Land erlassen wurden, auch in anderen Mitgliedstaaten gelten sollen. Deutschland und andere Länder wollten die Anerkennung der Entscheidungen anderer EU-Staaten nicht verpflichtend machen. Sie befürchteten mehr Bürokratie durch mögliche Klagen und rechtliche Unsicherheiten. Die nun gefundene Einigung sieht zunächst eine gegenseitige Anerkennung auf freiwilliger Basis vor – allerdings mit der Option, zu einem späteren Zeitpunkt eine Anerkennungspflicht einzuführen.
Solidaritätspool: Deutsche Beiträge noch unklar
Was den mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) angekündigten neuen Verteilmechanismus angeht, haben die Minister neue Einigungen erzielt. Konkret geht es um die Verteilung von Asylbewerbern auf die EU-Staaten und gegebenenfalls zu leistende Geldzahlungen zum sogenannten Solidaritätspool. Innerhalb der EU sollen laut der Einigung vom Montag zunächst 21.000 Schutzsuchende umgesiedelt werden, um besonders unter Druck stehende EU-Staaten zu entlasten. Zudem sollen weniger belastete EU-Länder im Rahmen des Solidaritätsmechanismus 420 Millionen Euro bereitstellen.
Eigentlich ist in der Asylreform die Umsiedlung von mindestens 30.000 Asylbewerbern und die Bereitstellung von 600 Millionen Euro pro Jahr vorgesehen. Da die europäische Asylreform aber erst ab Juli 2026 in Kraft tritt, einigten sich die EU-Länder auf insgesamt geringere Beiträge.
Welche Beiträge Deutschland oder andere Länder gemäß Einigung nun konkret leisten müssen, blieb zunächst unklar. Die Bundesrepublik kann sich nach einer Analyse von EU-Innenkommissar Magnus Brunner aber darauf berufen, dass sie sich bereits um sehr viele Asylbewerber kümmert, für die eigentlich andere EU-Staaten zuständig wären. Auch andere Solidaritätsbeiträge wie Geld- oder Sachleistungen wären demnach von deutscher Seite nicht notwendig. Diese können theoretisch von unterstützungspflichtigen EU-Staaten geleistet werden, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen.
Asylanträge: Deutschland nicht mehr auf Platz eins
Als Länder, die im kommenden Jahr wegen eines hohen Migrationsdrucks Anrecht auf Solidarität anderer EU-Staaten haben, stuft die EU-Kommission in ihrer Analyse Griechenland und Zypern sowie Spanien und Italien ein. Zu den EU-Staaten, die nach den neuen Regeln wahrscheinlich Migranten aus anderen Ländern aufnehmen oder andere Solidaritätsbeiträge leisten müssen, zählen Länder wie Schweden, Portugal, Ungarn, Rumänien und Luxemburg.
Die Zahl der neuen Asylbewerber innerhalb der EU sowie in den Nicht-Mitgliedsländern Norwegen und Schweiz ging im ersten Halbjahr dieses Jahres insgesamt zurück. Bis Ende Juni wurden in der Staatengruppe aus 29 Ländern (EU+) insgesamt 399.000 neue Anträge registriert – im Vergleich zum ersten Halbjahr 2024 ein Rückgang von 114.000 beziehungsweise 23 Prozent, der vor allem mit dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad erklärt wird.
Im ersten Halbjahr gingen nach Angaben der EU-Asylagentur bei den deutschen Behörden 70.000 Anträge von Neuankömmlingen ein. Damit liegt die Bundesrepublik innerhalb der EU auf Platz drei hinter Frankreich (78.000) und Spanien (77.000). Die Zahl der neuen Asylbewerber innerhalb der gesamten Europäischen Union sowie in den Nicht-Mitgliedsländern Norwegen und Schweiz ging im ersten Halbjahr dieses Jahres insgesamt zurück.
Marokko, Kolumbien, Indien u.a. als sichere Herkunftsstaaten
Weitere Einigkeit erzielten die Minister über die Festlegung (weiterer) sicherer Herkunftsstaaten sowie über die Anforderungen an sichere Drittstaaten. Um Menschen schneller in die nordafrikanischen Länder Marokko, Tunesien und Ägypten abschieben zu können, sollen diese zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Auch das Kosovo, Kolumbien sowie die südasiatischen Staaten Indien und Bangladesch sollen nach dem Willen der Mitgliedstaaten zur Liste hinzugefügt werden. Grundsätzlich sollen auch Länder, die Kandidaten für einen EU-Beitritt sind, als sicher gelten. Dazu würden dann etwa Albanien, Montenegro oder die Türkei gehören.
In Deutschland gibt es bereits eine Liste sicherer Herkunftsländer. Die Einstufung soll schnellere Asylentscheidungen und Abschiebungen ermöglichen. Von den Ländern auf der nun beschlossenen EU-Liste waren darauf bisher nur der Kosovo, Albanien und Montenegro als sicher eingestuft. Erst am Freitag hatte das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf beschlossen, um sichere Herkunftsländer künftig ohne Zustimmung des Bundesrates festlegen zu können.
Die EU-Liste wäre bindend für alle Mitgliedstaaten. Gleichzeitig muss dem Vorschlag nach auch weiterhin immer der Einzelfall geprüft werden. Menschen, die aus diesen Ländern kommen und in der EU Schutz suchen, sollen also nicht automatisch abgeschoben werden, bekommen aber ein beschleunigtes Asylverfahren. Das Europäische Parlament muss sich zu den neuen Abschieberegelungen und zur Liste sicherer Herkunftsstaaten noch positionieren. Anschließend können Verhandlungen beginnen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament werden keine größeren Änderungen erwartet. Die Kommission hat seit Monaten an diesen Vorschlägen gearbeitet.
Sichere Drittstaaten: keine persönliche Verbindung erforderlich
Neben den sicheren Herkunftsländern gibt es auch das Konzept der sicheren Drittstaaten. Es soll das europäische Asylsystem entlasten, indem Menschen in Nicht-EU-Länder abgeschoben werden, um dort ihr Asylverfahren abzuwarten. Die Festlegung würde auch die Einrichtung von sogenannten Rückführungszentren in Drittstaaten erleichtern.
Auch hier haben sich die EU-Innenminister auf eine gemeinsame Position geeinigt. Bislang war es nötig, dass Asylsuchende eine enge Verbindung zu einem solchen Drittstaat haben, etwa durch Familienangehörige oder einen längeren Aufenthalt.
Dem Vorschlag der EU-Staaten nach könnte es zukünftig schon reichen, wenn ein Abkommen zwischen einem Mitgliedstaat und dem Drittstaat besteht. Schutzsuchende können demnach auch in Länder abgeschoben werden, in denen sie noch nie waren und zu denen sie keine familiäre, kulturelle oder sonstige Bindung haben. Ausgenommen davon sind unbegleitete Minderjährige.
Die Partei Die Linke, Anwaltsvereinigungen wie Neue Richter:innenvereinigung (NRV), Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), Vereinigung Demokratischer Jurist:innen (VDJ) sowie die Humanistische Union (HU) und das Komitee für Grundrechte und Demokratie haben sich u.a. gegen die Einrichtung dieser "Lager" ausgesprochen.
- PRO ASYL kritisiert: Europäische Innenminister*innen diskutieren Gruselkabinett von Abschiebeverschärfungen
Bei einem Treffen der europäischen Innenminister*innen wird heute in Brüssel über einen Entwurf für eine neue Rückführungsverordnung gesprochen. Ziel ist, dass sich die Mitgliedstaaten auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen, um dann darüber mit dem EU-Parlament zu verhandeln. PRO ASYL warnt: Es droht die weitgehende Entrechtung von Menschen, die von Abschiebungen betroffen sind.
Bereits mit ihrem Entwurf für eine Rückführungsverordnung vom März 2025 setzt die Europäische Kommission auf eine massive Verschärfung des Rückführungssystems, das dann noch stärker als bisher auf Zwang und Haft setzen soll. Die Mitgliedstaaten diskutieren aber heute über noch weitere Verschärfungen, vorgeschlagen von der dänischen Ratspräsidentschaft.
„Bis zu zwei Jahre oder letztlich unbegrenzte Haft, Schwächungen des völkerrechtlichen Abschiebungsschutzes, außereuropäische Abschiebungszentren: Die im Rat von den Innenministern und Innenministerinnen diskutierten Vorschläge gleichen einem Gruselkabinett. Auch Menschen, die ausreisepflichtig sind, haben Grundrechte! Diese dürfen nicht auf der Strecke bleiben“, fordert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.
Kritik am neuen Vorschlag: Große Gefahr von Menschenrechtsverletzung
Gemeinsam mit über 60 nationalen und internationalen Organisationen wie dem Europäischen Flüchtlingsrat (ECRE), Human Rights Watch, Caritas Europa, Ofxam und Diakonie Deutschland hat PRO ASYL letzte Woche auf die Gefahren des Kompromissvorschlags der dänischen Ratspräsidentschaft aufmerksam gemacht. Insbesondere kritisieren die Organisationen:
- Erhöhtes Risiko einer Inhaftierung auf unbestimmte Zeit: Die Inhaftierungsgründe sollen ausgeweitet werden. Zugleich sollen die Menschen viel länger als bisher eingesperrt werden können. Während die Kommission eine maximale Haftdauer von 24 Monate vorgeschlagen hat, reden die Mitgliedstaaten über eine zusätzliche Verlängerung um sechs Monate. Diskutiert wird zudem, ob die maximale Haftdauer in jedem Mitgliedstaat separat gelten könnte. Dies könnte dazu führen, dass Personen in allen Mitgliedstaaten auf unbestimmte Zeit in Haft gehalten werden, weit über das hinaus, was notwendig, verhältnismäßig oder mit dem EU-Recht vereinbar ist.
- Schwächung wirksamer Rechtsbehelfe und des Schutzes vor rechtswidrigen Abschiebungen (Non-Refoulement-Gebot): Effektive Nichtzurückweisungsprüfungen sollen durch mehrere Ausnahmen und die Abschaffung der Überprüfung von Amts wegen untergraben werden. Der Kompromisstext schränkt die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen weiter ein. Dies bedeutet, dass Personen abgeschoben werden könnten, bevor sie die Möglichkeit haben, die Entscheidung anzufechten.
- Außereuropäische Abschiebezentren: An der Idee außereuropäischer Abschiebezentren wird weiter festgehalten, trotz der damit verbundenen schwerwiegenden Menschenrechtsrisiken und der Gefahr, wichtige Grundsätze des Völkerrechts zu verletzen. Dazu gehören beispielsweise das Verbot der Zurückweisung oder der willkürlichen Inhaftierung.
- Die Beweislast und die Pflichten von Drittstaatsangehörigen während des Rückführungsverfahrens sollen ausgeweitet werden. Das betrifft Pflichten, die zum Teil außerhalb des zumutbaren Einflussbereichs der Betroffenen liegen, wie beispielsweise der Nachweis eines Wohnsitzes oder einer zuverlässigen Anschrift. Personen, die als nicht kooperativ eingestuft werden, müssten mit schweren Sanktionen rechnen, darunter Inhaftierung, strafrechtliche und finanzielle Strafen.
PRO ASYL und die anderen Organisationen fordern die Innenminister*innen der EU auf, ihren Entwurf grundsätzlich zu überarbeiten und dabei die Achtung von Grundrechten und der Würde von Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.
Der Deutsche Landkreistag (DLT) dazu in einem Rundschreiben vom 9.12.2025:
Zusammenfassung
Die EU-Innenminister haben am 8.12.2025 eine politische Einigung über eine weitere Verschärfung des europäischen Asyl- und Migrationsrechts erzielt. Vereinbart wurden neben den Rückkehrzentren außerhalb der EU und Abschiebungen in sichere Drittstaaten die Ausgestaltung des Solidaritätspools für das Jahr 2026 sowie erstmals eine gemeinsame Liste sicherer Herkunftsstaaten. Diese soll beschleunigte Asylverfahren für Personen aus Ägypten, Marokko, Tunesien, Indien, Kosovo, Bangladesch und Kolumbien ermöglichen. Alle Maßnahmen entsprechen der operativen Umsetzung des in 2024 verabschiedeten EU-Migrations- und Asylpakts. Der konkrete deutsche Solidaritätsbeitrag ist noch unklar, allerdings werden die sog. Dublin-Flüchtlinge aus den letzten Jahren für Deutschland angerechnet.
Die EU-Innenminister haben am 8.12.2025 eine politische Einigung zu einer weiteren Verschärfung des europäischen Asyl- und Migrationsrechts erzielt. Alle Maßnahmen sind zentrale Elemente des EU-Migrations- und Asylpakts, der aus zehn EU-Rechtsakten besteht und sämtliche Phasen des Asyl- und Migrationsmanagements umfasst (Bezugsrundschreiben 415/2024). Er tritt zum 12.6.2026 in den Mitgliedstaaten in Kraft.
Die gestrige Einigung der Innenminister konkretisiert die operativen Details, die aus dem 2024er-Asyl- und Migrationspaket folgen, und setzt die generellen Vorgaben des Pakets erstmals in konkrete Maßnahmen für 2026 um. Neu vereinbart wurden insbesondere ein Solidaritätspool für 2026 sowie die Zuweisung der Solidaritätsleistungen für bestimmte vom Migrationsdruck betroffene Mitgliedstaaten und eine gemeinsame Liste sicherer Herkunftsstaaten. Die Texte der Einigung liegen aktuell noch nicht vor. Bereits am 11.11.2025 hatte die Kommission einen ersten jährlichen Asyl- und Migrationsbericht vorgelegt, der eine zentrale Grundlage für die Bewertung der migrationspolitischen Lage lieferte...
Beschleunigte Rückführungen und Konzept der sicheren Drittstaaten
Ziel ist die deutliche Ausweitung und Beschleunigung von Abschiebungen. Ein zentrales Element ist die Einführung von Rückführungszentren in Drittstaaten außerhalb der EU. Dort sollen ausreisepflichtige Personen untergebracht werden, insbesondere solche, die nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können oder deren Rückführung organisatorisch noch nicht möglich ist. Die neue Verordnung soll es EU-Staaten erlauben, solche Zentren in Nicht-EU-Ländern einzurichten oder zu nutzen. Zudem soll die gegenseitige Anerkennung von Rückkehrentscheidungen europaweit erleichtert werden, zunächst freiwillig, später eventuell verpflichtend. Deutschland hatte sich für eine freiwillige Anerkennung ausgesprochen. Abgelehnte Asylbewerber sollen verpflichtet werden, aktiv an ihrer Rückführung mitzuwirken; wer dies verweigert, muss mit Sanktionen wie Leistungskürzungen, verlängerten Einreiseverboten oder in bestimmten Fällen sogar Haft rechnen. Auch strengere Regeln und längere Haftzeiten für als Sicherheitsrisiko eingestufte Personen sind vorgesehen.
Parallel dazu wird das Konzept der sicheren Drittstaaten ausgeweitet. Künftig soll für eine Abschiebung in ein solches Land bereits ein Abkommen zwischen einem EU-Staat und dem Drittstaat genügen, eine persönliche Verbindung der Betroffenen zu diesem Land ist nicht mehr erforderlich. Damit können Schutzsuchende in Staaten gebracht werden, in denen sie nie zuvor waren. Ausgenommen hiervon bleiben unbegleitete Minderjährige. Diese Regelung soll zugleich die Einrichtung von Rückkehrzentren außerhalb der EU erleichtern.
Solidaritätspool
Der Solidaritätspool 2026 basiert auf einem für das kommende Jahr festgelegten Solidaritätsbedarf, der insgesamt 21.000 Umsiedlungen oder alternative Solidaritätsmaßnahmen umfasst. Alternativ können die Mitgliedstaaten finanzielle Beiträge im Gesamtumfang von 420 Millionen Euro leisten. Jeder Mitgliedstaat kann selbst entscheiden, in welcher Form er sich am Solidaritätsmechanismus beteiligt, sei es durch die Aufnahme von Schutzsuchenden, durch finanzielle Unterstützung oder durch operative oder technische Hilfe.
Nach der Bewertung der EU-Kommission sind Zypern, Griechenland, Italien und Spanien die am stärksten vom Migrationsdruck betroffenen Staaten und können daher unmittelbar von den Solidaritätsmaßnahmen profitieren. Darüber hinaus wurden Staaten wie Österreich, Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Estland und Polen als Länder mit einer erheblichen Migrationssituation eingestuft. Sie können eine Reduzierung ihrer Beiträge beantragen, wenn die erhöhte Belastung der letzten Jahre dies rechtfertigt. Für eine weitere Gruppe von Mitgliedstaaten, die als besonders gefährdet gelten, steht ein bevorzugter Zugang zu unterstützenden EU-Instrumenten zur Verfügung, etwa zu Hilfen der EU-Agenturen oder aus EU-Fonds. Zu den EU-Staaten, die nach den neuen Regeln wahrscheinlich Migranten aus anderen Ländern aufnehmen oder andere Solidaritätsbeiträge leisten müssen, zählen Länder wie Schweden, Portugal, Ungarn, Rumänien und Luxemburg.
Welchen Beitrag Deutschland gemäß der Einigung nun konkret leisten muss, bleibt zunächst unklar. Die Bundesrepublik kann sich nach der Analyse der Kommission aber darauf berufen, dass sie bereits sehr viele Asylbewerber aufgenommen hat, für die eigentlich andere EU-Staaten zuständig wären (sog. Dublin-Flüchtlinge, die aus anderen EU-Mitgliedstaaten nach Deutschland gekommen sind).
EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten
Daneben haben sich die Innenminister auf die Einführung einer erstmals EU-weit harmonisierten Liste sicherer Herkunftsstaaten geeinigt. Auf dieser Liste stehen Ägypten, Marokko, Tunesien, Indien, Kosovo, Bangladesch und Kolumbien. Für Asylbewerber aus diesen Staaten sollen künftig beschleunigte Verfahren an den Grenzen oder in Transitbereichen möglich sein. Diese Verfahren sollen deutlich schnellere Entscheidungen und Abschiebungen ermöglichen, bleiben aber weiterhin an eine Einzelfallprüfung gebunden.
Zudem gelten EU-Beitrittskandidaten grundsätzlich als sichere Herkunftsstaaten, sofern keine gravierenden Risiken wie Krieg oder schwere Menschenrechtsverletzungen bestehen. Gleichzeitig sollen Abschiebungen auch in sichere Drittstaaten erleichtert werden, wenn diese die notwendige Schutzgarantie bieten.
Die EU-Liste ist verbindlich für alle Mitgliedstaaten, während Deutschland seine nationale Liste bislang selbst festlegt. Künftig müssen die deutschen Behörden die EU-Liste berücksichtigen und können nur ergänzende nationale Kriterien in Ausnahmefällen anwenden. Einige Staaten der deutschen Liste (z. B. Albanien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro) stehen nicht auf der EU-Liste. Deutschland kann diese aber weiterhin für nationale Verfahren als „sicher“ einstufen und zwar sowohl für den Rechtsschutz nach dem Unionsrecht (Genfer Flüchtlingskonvention, subsidiärer Schutz, humanitäre Schutzgründe) als auch für den nationalen Schutz nach Art. 16a GG (Grundrecht auf Asyl).
Bei allen Maßnahmen muss das EU-Parlament noch zustimmen.
Bewertung
Die von den Innenministern vereinbarten Maßnahmen werden begrüßt. Der Deutsche Landkreistag fordert seit langem die Einrichtung von Rückkehrzentren außerhalb der EU und die Anerkennung des Konzepts der sicheren Drittstaaten. Mit dem Solidaritätspool 2026 wird der Solidaritätsmechanismus zudem greifbarer, weil erstmals konkrete Zahlen für das kommende Jahr festgelegt werden und bestimmt wird, welche Staaten Solidarität erhalten und welche zu den beitragspflichtigen Ländern gehören werden. Der Beitrag Deutschlands ist allerdings noch unklar. Ebenso entspricht die verbindliche neue EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten langjährigen Forderungen des Deutschen Landkreistages. Die Annahme der Maßnahmen durch das EU-Parlament gilt aufgrund der aktuellen Mehrheitsverhältnisse als wahrscheinlich.