01.08.2025 Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes wurde zur TOP-Nachricht des Tages: Das Vorgehen Italiens, Asylsuchende über die Festlegung "sicherer Herkunftsstaaten" abzuwehren und nach Albanien zu bringen, wird gerügt, die Voraussetzungen für die Einstufung werden benannt, "hohe Hürden" gesetzt.
Doch Melonis Albanien-Weg, der auch von Merz und anderen erstrebenswert ist, wird wohl nur kurzzeitig versperrt: Mit dem heutigen Urteil werde keine Aussage zu der allgemeinen Gültigkeit des Albanien-Modells getroffen, so Wiebke Judith von Pro Asyl. Spätestens mit dem Inkrafttreten der neuen EU-Asylreform im Juni 2026 werde sich die Lage ändern.
Italien verliert vor EuGH: Ob ein Herkunftsstaat "sicher" ist, müssen Gerichte prüfen können Der EuGH rügt Italiens Asyl-Regelung zu sicheren Herkunftsstaaten. Ministerpräsidentin Meloni kritisiert das als Einmischung in politische Angelegenheiten. Experten sehen Auswirkungen auch auf die aktuellen deutschen Pläne für sichere Herkunftsstaaten. (Beck)
Mitgliedstaaten dürfen grundsätzlich per Gesetz bestimmen, was ein "sicherer Herkunftsstaat" ist. Allerdings müssen nationale Gerichte überprüfen können, ob die anwendbaren EU-Vorschriften dabei eingehalten wurden, stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) fest. Informationsquellen, die zur Bestimmung eines Landes als "sicheres Herkunftsland" dienen, müssen sowohl den Gerichten als auch betroffenen Antragstellern zugänglich sein. (DW)
Der EuGH legte nun die Voraussetzungen für diese Einstufung fest. Die Mitgliedstaaten seien befugt, sichere Herkunftsstaaten eigenständig durch einen Gesetzgebungsakt zu bestimmen. Die der Einschätzung zugrunde liegenden Informationsquellen müssen aber transparent sein, um eine Überprüfung der Einstufung durch die nationalen Gerichte zu ermöglichen. Zudem entschied der EuGH, dass es nicht genügt, wenn der Staat für manche Personengruppen sicher ist und für andere, wie etwa homosexuelle oder queere Menschen, nicht. Nur wenn der Staat allen einen ausreichenden Schutz biete, darf er als sicher eingestuft werden, so der EuGH. (LTO)
... gelte allerdings nur bis zum Inkrafttreten der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Eine neue EU-Verordnung wird im Juni 2026 die derzeit geltende EU-Asylverfahrensrichtlinie ersetzen. Die Neuregelung gestattet in Art. 61 Abs. 2 sowohl regionale Ausnahmen als auch solche für "eindeutig identifizierbare Personengruppen". (LTO)
Die Entscheidung wurde nicht nur in Italien, sondern auch von vielen anderen EU-Regierungen mit Spannung erwartet. So erwägt unter anderem die Bundesregierung ebenfalls die Zusammenarbeit mit Drittstaaten, um die irreguläre Migration zu bekämpfen. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte die entsprechenden "Initiativen" Italiens noch im Mai als "außerordentlich erfolgreich" bezeichnet. Auch in Deutschland gilt eine Liste sicherer Herkunftsstaaten. Sie umfasst neben den EU-Mitgliedstaaten die Westbalkanländer sowie Georgien, Ghana, Moldau und Senegal. Zusätzlich schlug die Europäische Kommission im April eine EU-Liste sicherer Herkunftsländer vor. Bei Antragstellern aus dem Kosovo, Bangladesch, Kolumbien, Ägypten, Indien, Marokko und Tunesien sollen den Plänen zufolge Asylverfahren beschleunigt werden. (Zeit)
Spätestens mit dem Inkrafttreten der neuen EU-Asylreform im Juni 2026 wird sich die Lage ändern. Für einen ansonsten als "sicher" eingestuften Herkunftsstaat können dann bestimmte Personengruppen ausgenommen werden, wie der EuGH selbst feststellt. Nur für diese Personen könne es dann kein Schnellverfahren geben. Potenziell würden dann aber mehr Staaten als "sichere Herkunftsstaaten" gelten können.
Pro-Asyl kritisiere an den Asylreformplänen, dass die Standards für Herkunftsländer stark abgesenkt würden, sagt Menschenrechtsexpertin Judith. Und viele der Rechtsfragen würden sich mit der Reform erneut stellen.
Europaweite "sichere Herkunftsstaaten" in neuen Asylregeln Ein "Konzept des sicheren Herkunftsstaates" wird es auch unter den neuen Asylregeln geben. Die EU-Kommission hat im April einen Vorschlag zu einer gemeinsamen europäischen Liste vorgelegt und führt Kosovo, Bangladesch, Kolumbien, Ägypten, Indien, Marokko und Tunesien auf.
Die Kommission schlug zugleich vor, die Ausnahmeregelung für "sichere Herkunftsstaaten" sowie das Grenzverfahren schon vor dem nächsten Jahr anzuwenden. Das verpflichtende Grenzverfahren betrifft dann jene Asylbewerber, die nur geringe Chancen auf Anerkennung haben, weil im Schnitt weniger als 20 Prozent ihrer Landsleute in der EU internationalen Schutz erhalten. Zuvor müssen aber noch EU-Parlament und Mitgliedstaaten dies beschließen.
"Aus unserer Sicht widerspricht das Konzept sicherer Herkunftsstaaten dem Recht auf ein faires und unvoreingenommenes Asylverfahren", sagt Pro-Asyl-Juristin Judith. Dabei handele es sich um nur einen "Baustein in einem großen Gerüst von Erschwerung, von Abschottung und Abschreckung von Geflüchteten". (DW)
Unter welchen Voraussetzungen dürfen EU-Mitgliedstaaten sogenannte sichere Herkunftsländer festlegen? Damit hat sich der EuGH im Zusammenhang mit dem italienischen "Albanien-Modell" befasst und neue Leitlinien gesetzt.
Mitgliedstaaten dürfen grundsätzlich per Gesetz bestimmen, was ein "sicherer Herkunftsstaat" ist. Allerdings müssen nationale Gerichte überprüfen können, ob die anwendbaren EU-Vorschriften dabei eingehalten wurden, stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) fest. Informationsquellen, die zur Bestimmung eines Landes als "sicheres Herkunftsland" dienen, müssen sowohl den Gerichten als auch betroffenen Antragstellern zugänglich sein.
Ausgangspunkt war der Fall von zwei Migranten aus Bangladesch. Sie waren gemäß des Albanien-Italien-Protokolls nach Albanien gebracht worden. Dort wurden ihre Anträge durch die italienischen Behörden abgelehnt, weil Bangladesch nach den italienischen Vorschriften als "sicher" gilt. Ein italienisches Gericht wollte den Fall vom EuGH prüfen lassen. Nur wenn ein Herkunftsstaat als "sicher" gilt, können sogenannte beschleunigte Verfahren an der Grenze durchgeführt werden.
Herkunftsland muss für alle Personengruppen sicher sein
Italiens rechte Regierung von Giorgia Meloni will in Albanien Asylverfahren nach italienischem Recht durchführen lassen. Bislang scheiterten diese aber weitestgehend am Widerstand italienischer Gerichte. Zwischen der Justiz und der Regierung entbrannte ein regelrechter Streit, wer bestimmen dürfe, was ein "sicherer Herkunftsstaat" ist. Im Oktober 2024 legte Italiens Regierung dann per Gesetzesdekret fest, dass es sich bei rund 19 Staaten, darunter Bangladesch, um sichere Herkunftsstaaten handele. Seit März sollen die albanischen Lager nun auch dazu genutzt werden, abgelehnte Asylbewerber unterzubringen, bis diese abgeschoben werden können.
Die rechtspolitische Sprecherin der Hilfsorganisation Pro Asyl, Wiebke Judith, ist vom EuGH-Urteil nicht überrascht. Sie hält es für eine wichtige Klarstellung, allerdings mit beschränkter Wirkung. Denn in dem Urteil hat der EuGH festgelegt, dass ein Herkunftsland nur dann als "sicher" gilt, wenn dort alle Personengruppen geschützt sind. Demnach reicht es also nicht aus, wenn ein Land für die meisten Menschen sicher ist - für Angehörige der LGBTIQ+-Bewegung aber beispielsweise nicht.
Meloni greift den EuGH an
Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni reagierte scharf auf das Urteil. Wieder einmal würde die Justiz, in diesem Fall die europäische, Zuständigkeiten beanspruchen, "die ihr nicht zustehen, während die Verantwortung bei der Politik liegt". Zuvor habe die rechte Meloni-Regierung auch die italienische Justiz angegriffen, die vom EuGH nun Recht erhalten habe, sagt Andreina De Leo, Rechtswissenschaftlerin an der Uni Maastricht.
Die Migrationsrechtsexpertin sieht im DW-Gespräch nur zwei Möglichkeiten für die italienische Regierung: Entweder suspendiere sie alle Schnellverfahren für Länder, in denen nicht alle Menschen sicher seien. Faktisch blieben dann wohl keine mehr übrig. Oder die Regierung müsse erklären, dass die Staaten vollkommen sicher seien, was De Leo für problematisch hält.
Urteil mit beschränkter Wirkung
Spätestens mit dem Inkrafttreten der neuen EU-Asylreform im Juni 2026 wird sich die Lage ändern. Für einen ansonsten als "sicher" eingestuften Herkunftsstaat können dann bestimmte Personengruppen ausgenommen werden, wie der EuGH selbst feststellt. Nur für diese Personen könne es dann kein Schnellverfahren geben. Potenziell würden dann aber mehr Staaten als "sichere Herkunftsstaaten" gelten können.
Pro-Asyl kritisiere an den Asylreformplänen, dass die Standards für Herkunftsländer stark abgesenkt würden, sagt Menschenrechtsexpertin Judith. Und viele der Rechtsfragen würden sich mit der Reform erneut stellen.
Europaweite "sichere Herkunftsstaaten" in neuen Asylregeln
Ein "Konzept des sicheren Herkunftsstaates" wird es auch unter den neuen Asylregeln geben. Die EU-Kommission hat im April einen Vorschlag zu einer gemeinsamen europäischen Liste vorgelegt und führt Kosovo, Bangladesch, Kolumbien, Ägypten, Indien, Marokko und Tunesienauf.
Die Kommission schlug zugleich vor, die Ausnahmeregelung für "sichere Herkunftsstaaten" sowie das Grenzverfahren schon vor dem nächsten Jahr anzuwenden. Das verpflichtende Grenzverfahren betrifft dann jene Asylbewerber, die nur geringe Chancen auf Anerkennung haben, weil im Schnitt weniger als 20 Prozent ihrer Landsleute in der EU internationalen Schutz erhalten. Zuvor müssen aber noch EU-Parlament und Mitgliedstaaten dies beschließen.
"Aus unserer Sicht widerspricht das Konzept sicherer Herkunftsstaaten dem Recht auf ein faires und unvoreingenommenes Asylverfahren", sagt Pro-Asyl-Juristin Judith. Dabei handele es sich um nur einen "Baustein in einem großen Gerüst von Erschwerung, von Abschottung und Abschreckung von Geflüchteten".
Keine Absage an das Albanien-Modell
Beide Expertinnen sind sich einig: Mit dem heutigen Urteil wurde keine Aussage zu der allgemeinen Gültigkeit des Albanien-Modells getroffen. Wiebke Judith betont, die Anwendung der europarechtlichen Vorschriften sei in Albanien nicht zulässig. Außerdem ergäben sich weitere menschenrechtliche Probleme aus dem Handeln Italiens, etwa mit Blick auf das Festhalten der Geflüchteten.
Innerhalb der EU werden solche und vergleichbare Modelle schon seit längerem unter dem Stichwort "innovative Lösungen" diskutiert. An der Idee, Asylverfahren außerhalb des eigenen Territoriums durchzuführen, ist beispielsweise auch Dänemark interessiert. Deutschland möchte, wie auch andere Länder, abgelehnte Asylbewerber in Drittstaaten unterbringen können.
Relevanter für die grundsätzliche rechtliche Beurteilung dürfte ein anderes noch ausstehendes EuGH-Urteil werden. So verweist Migrationsrechtsexpertin De Leo auf die dort zu behandelnde offene Frage, ob Europarecht in Albanien überhaupt angewendet werden darf. Dieses Urteil dürfte auch von anderen Mitgliedstaaten, die sich für solche Modelle aussprechen, mit Spannung erwartet werden. Denn Entscheidungen des EU-Gerichtshofes sind für alle 27 EU-Staaten bindend.
- Tagesschau 01.08.2025 Nach Drittstaaten-Urteil Meloni spricht dem EuGH Zuständigkeit ab
Für die italienische Regierung ist das EuGH-Urteil zu den sicheren Herkunftsstaaten eine herbe Enttäuschung. Ministerpräsidentin Meloni ging nach dem Urteil in die Offensive und attackierte das Gericht.
Die Opposition in Italien kann sich freuen: Das Urteil aus Luxemburg macht es der italienischen Regierung schwerer, weiter Schutzsuchende auf dem Meer abzufangen und nach Albanien zu bringen.
Fiorella Zabatta von der Grün-linken Allianz erklärte, ihre Partei sei "absolut zufrieden" mit dem Urteil und erhob gleich eine Forderung an die Regierung von Giorgia Meloni: Sie solle jetzt vor dem Gerichtshof "Rechenschaft über die ausgegebenen Gelder" ablegen, die, so Zabatta, keinen Zweck erfüllten.
Albanien-Projekt: Teuer und leer
Über die Kosten beschwert sich die Opposition schon lange: Hunderte Millionen Euro soll das Albanien-Projekt in den ersten Jahren kosten. Und das für Lager, die seit ihrer Eröffnung weitgehend leer stehen.
Die Vorsitzende der sozialdemokratischen PD, Elly Schlein, hatte Meloni schon vor dem EuGH-Urteil zur Entschuldigung aufgefordert.
Menschenrechtsorganisationen begrüßten den Richterspruch: Schließlich hatten sie immer wieder kritisiert, dass Geflüchtete in Albanien in ein abgeriegeltes Lager kommen, ohne angemessene Kommunikationsmöglichkeiten.
Diese mögliche Einschränkung von Rechten beklagte auch Valeria Carlini vom italienischen Flüchtlingsrat. Sie wies darauf hin, dass Albanien nicht zur EU gehört und deshalb " in keiner Weise die auf europäischer Ebene geltenden Rechtsstandards einhalten" könne. Wenn Italien aber Personen dort in Gewahrsam nehme und so tue, als würde dieses Gebiet zu Italien gehören, "dann tun wir etwas, das nicht so einfach gemacht werden darf".
Meloni greift das Gericht an
Von der italienischen Regierung, die sich das Albanien-Projekt ausgedacht hatte, kamen nach dem Urteil nur schriftliche Statements. Regierungschefin Meloni, die immer betont hatte, dass die Lager in Albanien funktionieren werden, zeigte sich überrascht.
Die Ministerpräsidentin sprach dem EuGH gleich die Kompetenz ab: Die Justiz beanspruche "erneut" Zuständigkeiten, "die ihr nicht zustehen, während die Verantwortung eigentlich bei der Politik liegt".
Meloni kündigte an, sie werde weiter nach Lösungen suchen, und verwies auf das Migrations- und Asylpaket der Europäischen Kommission. Das könnte schon nächstes Jahr neue Regeln bringen und einen Teil des heutigen Urteils irrelevant machen.
Ein Signal auch an andere EU-Staaten
Bis dahin sind die Hürden, ein Land zu einem sicheren Herkunftsstaat zu erklären, allerdings auf jeden Fall gestiegen. Das Modell mit den albanischen Lagern funktioniert also nicht wie geplant. Dabei hatten viele Politikerinnen und Politiker in Europa wohlwollend verfolgt, was Italien versuchte.
Erst im Mai sprach Bundeskanzler Friedrich Merz von einer guten Initiative, "die wir auch aus Deutschland unterstützen".
Dafür hat Politikerin Zabatta von der Grün-linken Allianz angesichts der hohen Kosten des Projekts kaum Verständnis. Sie wunderte sich, dass man bereit sein könnte, für solche Vorhaben Geld auszugeben, anstatt es in "wichtigere Dinge für die Bevölkerung" zu stecken - etwa das Gesundheitswesen, Schulen oder Forschung. Das sei für ihre Partei "absolut nicht interessant".
Ob Italien die Lager weiter nutzen will, das blieb an diesem Tag noch offen.
- Legal Tribune Online 01.08.2025: EuGH zu Anforderungen an sicheres Herkunftsland Nur sicher, wenn es für alle sicher ist – vorerst
Italiens "Albanien-Modell" gab Anlass für den EuGH, die Anforderungen an sichere Herkunftsstaaten festzulegen. Dabei ist er durchaus streng: Sicherheit für manche Personengruppen reiche nicht aus. Mit der GEAS-Reform ändert sich das.
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) erhöht die Hürden bei der Bestimmung von sicheren Herkunftsländern für beschleunigte Asylverfahren. Die EU-Mitgliedstaaten können nur dann Listen sicherer Länder festlegen, wenn sie die Quellen für ihre Einschätzung offenlegen und die gesamte Bevölkerung in dem Land sicher ist, entschied das Gericht am Freitag in zwei Verfahren (Urt. v. 01.08.2025, Az. C‑758/24, C‑759/24). Anlass für die Verfahren bildet Italiens umstrittenes "Albanien-Modell" für schnelle Asylverfahren im Ausland.
Die Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten ist eine Grundvoraussetzung, um das Modell umsetzen zu können. Asylanträge von Menschen aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat können leichter und schneller abgelehnt werden. Eine EU-Liste sicherer Herkunftsländer gibt es nicht. Vielmehr führen die Mitgliedstaaten ihre eigenen Listen. Italien stuft derzeit 19 Länder als sicher ein. Das sind die sechs westlichen Balkanstaaten sowie Ägypten, Algerien, Bangladesch, Elfenbeinküste, Gambia, Georgien, Ghana, Kap Verde, Marokko, Peru, Senegal, Sri Lanka und Tunesien.
Der EuGH legte nun die Voraussetzungen für diese Einstufung fest. Die Mitgliedstaaten seien befugt, sichere Herkunftsstaaten eigenständig durch einen Gesetzgebungsakt zu bestimmen. Die der Einschätzung zugrunde liegenden Informationsquellen müssen aber transparent sein, um eine Überprüfung der Einstufung durch die nationalen Gerichte zu ermöglichen. Zudem entschied der EuGH, dass es nicht genügt, wenn der Staat für manche Personengruppen sicher ist und für andere, wie etwa homosexuelle oder queere Menschen, nicht. Nur wenn der Staat allen einen ausreichenden Schutz biete, darf er als sicher eingestuft werden, so der EuGH.
Italiens "Albanien-Modell" als Anlass
Im konkreten Fall, der dem EuGH-Urteil zugrunde liegt, klagten zwei Menschen aus Bangladesch gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge, weil ihr Herkunftsland von Italien als sicher eingestuft wird. Sie gehörten zu denjenigen Migranten, die von Italien in Lager nach Albanien gebracht wurden.
Grundidee des "Albanien-Modells" ist es, Asylanträge von männlichen erwachsenen Migranten, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen und auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden, in Schnellverfahren im Ausland zu prüfen. Dazu schloss Italien ein Abkommen mit Albanien zum Aufbau von zwei Lagern auf albanischem Territorium.
Es ist das Prestigeprojekt von Italiens rechter Regierungskoalition unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, liegt aber wegen Widerstands in der italienischen Justiz derzeit auf Eis. Laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation ActionAid und der Universität Bari waren die Zentren 2024 effektiv nur an fünf Tagen in Betrieb – und das bei sehr hohen Kosten.
EuGH: Informationsquellen müssen zugänglich sein
Die zwei Geflüchteten aus Bangladesch kamen später nach Italien und stellten dort einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen lehnten die Behörden im beschleunigten Verfahren ab – unter Hinweis darauf, dass Bangladesch ein sicherer Herkunftsstaat sei. Die Schutzsuchenden zogen in Rom vor Gericht. Das war sich nicht sicher, ob die Liste der sicheren Herkunftsländer der italienischen Regierung mit EU-Recht vereinbar ist, und wandte sich deshalb im Wege des Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH.
Das Gericht führt in seiner Vorlage aus, dass der italienische Rechtsakt, durch den die Einstufung im Oktober 2024 erfolgt war, nicht die Informationsquellen angebe, auf die der italienische Gesetzgeber seine Einschätzung gestützt habe. In der früheren Regelung seien die Erkenntnismittel noch ersichtlich gewesen. Diese Intransparenz nehme sowohl dem Antragsteller als auch der Justiz die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Einstufung zu bestreiten bzw. zu prüfen.
Der EuGH stellte nun klar, dass es den Mitgliedstaaten zwar freistehe, eine Einstufung durch Gesetzgebungsakt eigenständig vorzunehmen, dass diese Entscheidung jedoch gerichtlich überprüfbar sein müsse. Die gerichtliche Kontrolle müsse sich auf alle materiellen Voraussetzungen der "Sicherheit" des betreffenden Staates beziehen. Aus diesem Grund treffe den Mitgliedstaat die Pflicht, sämtliche hierfür genutzten Erkenntnisquellen zu benennen und den Betroffenen sowie den Justizbehörden den Zugang hierzu zu ermöglichen.
Sicherheit für alle oder keinen – bis die GEAS-Reform kommt
In materieller Hinsicht entschieden die Luxemburger Richter, dass ein Mitgliedstaat einen Herkunftsstaat nur dann als sicher bestimmen darf, wenn er die selbst festgelegten materiellen Voraussetzungen für die Sicherheit in Bezug auf bestimmte Personengruppen erfüllt. Dies gelte allerdings nur bis zum Inkrafttreten der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Eine neue EU-Verordnung wird im Juni 2026 die derzeit geltende EU-Asylverfahrensrichtlinie ersetzen. Die Neuregelung gestattet in Art. 61 Abs. 2 sowohl regionale Ausnahmen als auch solche für "eindeutig identifizierbare Personengruppen".
Das Urteil des höchsten europäischen Gerichts ist auch für Deutschland wegweisend. Das bestätigt Migrationsrechtlerin Prof. Dr. Pauline Endres de Oliveira. Denn auch Deutschland hat eine Liste sicherer Länder festgelegt. Sie umfasst neben den EU-Mitgliedstaaten die Westbalkanländer sowie Georgien, Ghana, Moldau und Senegal. "Die europäischen Vorgaben zur Einstufung sicherer Herkunftsstaaten gelten auch hier", so Endres de Oliveira.
Ob und wie es nach der Entscheidung mit dem "Albanien-Modell" weitergehen kann, ist laut der Professorin unklar. "Es gibt noch zahlreiche Rechtsfragen, die beim 'Italien-Albanien-Modell' im Raum stehen", erklärt die Dozentin der Humboldt-Universität Berlin. Zum Beispiel, ob die geplante Unterbringung von Asylsuchenden in solchen Zentren rechtlich einer Inhaftierung gleichkomme. Das wäre problematisch, denn nach internationalem Recht dürfe niemand ohne rechtlichen Grund inhaftiert werden – und eine Asylantragstellung sei kein Haftgrund.