Familiennachzug vor dem Aus? Familienzerstörung von Amts wegen? Kritische Stimmen

28.05.2025 aktualisiert: Nach dem leider vorhersehbaren Kabinettsbeschluss ein bemerkenswerter Kommentar in WDR 5: Dobrindts Migrationspolitik  Irgendwas Hartes verkünden - egal wie unsinnig es ist, der wie folgt angekündigt wird: Das, was Innenminister Dobrindt zur Migrationspolitik verkündet hat, ist reine Symbolpolitik, meint Bianca Schwarz. Und manches, was er sagt, ist schlicht falsch. Der CSU-Mann steht unter dem Druck von Wahlkampfversprechen.

Wer dem neuen Innenminister Alexander Dobrindt von der CSU zugehört hat, sollte skeptisch werden. Das war ein Paradebeispiel für Symbolpolitik, da verkauft jemand Schwarz für Weiß.

In den ersten zehn Sekunden seines Pressestatements hat Dobrindt wörtlich gesagt: "Wir haben heute Entscheidungen getroffen zur Reduzierung der illegalen Migration." Und das stimmt nicht. Was das Kabinett heute abgeschafft hat, ist eins der wenigen kontrollierten Instrumente regulärer Migration, die Deutschland überhaupt hat.... auch weiter sehr lesens- / hörenswert hier

27.05.2025 Bevor morgen der Koalitionsausschuss zusammen kommt, um u. a. über das Ende des Familiennachzuges zu entscheiden, nutzte Dobrindt das Sonntagsinterview in BILD am Sonntag, um für seine Position Stimmung zu machen: Den Familiennachzug, der bei Menschen mit subsidiärem Schutz bereits seit zwei Jahren zahlenmäßig begrenzt ist, nennt er einen "Pullfaktor" und erklärt: "Bisher konnten 1.000 Personen pro Monat nach Deutschland nachgezogen werden. Damit ist jetzt Schluss"... "Auch damit zeigen wir, die Migrationspolitik in Deutschland hat sich geändert", zitiert aus Tagesschau vom 25.05.2025.

Zum Gesetzentwurf des Innenministeriums erklärte der Flüchtlingsrat Niedersachsen in der Pressemitteilung am 26.05.2025:

In scharfer Form kritisiert der Flüchtlingsrat Niedersachsen den Gesetzentwurf vom 16.05.2025, mit dem die Bundesregierung den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigten für zunächst zwei Jahre ganz stoppen will, als „Familienzerstörung von Amts wegen“.

„Sollte dieses Gesetz in Kraft treten, wird es fatale Auswirkungen haben auf den weiteren Integrations- und Teilhabeprozess. Der Gesetzentwurf ist geeignet, Familien zu zerstören, die schon durch die Flucht oft über lange Zeiträume auseinandergerissen wurden und nun von Amts wegen für weitere Jahre getrennt bleiben sollen“.  Karim Alwasiti vom Flüchtlingsrat Niedersachsen

Die Entscheidung von SPD und Union, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten „befristet“ auszusetzen, ist für die Betroffenen furchtbar und menschenrechtlich inakzeptabel, weil ein Zusammenleben der Familie aufgrund der drohenden Gefahren im Herkunftsland oder in einem Drittland in aller Regel nicht möglich ist. Subsidiär Geschützten droht ebenso wie Flüchtlingen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt sind, in ihrem Herkunftsland Gefahr für Leib und Leben. Durch die Aussetzung für diese Gruppe werden weit über 50% aller Schutzberechtigten keine Möglichkeit zum Familiennachzug mehr haben ... hier weiterlesen

Auch Pro Asyl bezeichnet in seiner Pressemitteilung vom 27.05.2025 den Entwurf als "Familienzerstörungsgesetz" und schreibt:

... "Mit der Aussetzung des Familiennachzugs schließen CDU und SPD legale und sichere Fluchtwege. Es ist eine Katastrophe für die betroffenen Familien“ , sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL. „Die faktische Trennung ist länger als zwei Jahre, vor allem für Familien, die bereits seit Jahren auf die Bearbeitung ihrer Anträge warten. PRO ASYL lehnt die Aussetzung des Familiennachzugs entschieden ab“, so Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL... hier weiterlesen

Bereits im März 2025 hatte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages festgestellt:  Pauschale Aussetzung des Familiennachzugs mit Grund- und Menschenrechten nicht vereinbar So lautete der Titel einer Pressemitteilung der LINKE-Abgeordneten Clara Bünger, die den Dienst mit der rechtlichen Überprüfung des Vorhabens beauftragt hatte. Das Ergebnis: 

Eine pauschale Aussetzung wäre rechtswidrig, denn es muss immer geprüft
und im Einzelfall abgewogen werden, ob eine Trennung der engsten Familienangehörigen zumutbar ist. Gerade wenn minderjährige Kinder betroffen sind, sind bereits kürzere Trennungszeiten nicht akzeptabel. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 6 des Grundgesetzes, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 7 der EU-Grundrechtecharta fordern übereinstimmend eine Abwägung des staatlichen Interesses an einer Einwanderungskontrolle mit dem privaten Interesse an der Herstellung der Familieneinheit unter Berücksichtigung der individuellen Einzelfallumstände. Unbefristete Aussetzungen, starre Kontingentierungen oder lange Wartefristen ohne Einzelfallprüfungen sind damit unvereinbar.

Hinzu kommt: Was bislang von der Bundesregierung als „Härtefall“ angesehen wird, genügt den Rechtsprechungsvorgaben gerade nicht: Die maßgebliche Vorschrift des § 22 Aufenthaltsgesetz fordert nach Auffassung und gängiger Praxis deutscher Behörden einen außergewöhnlichen Härtefall, d.h. das Einzelfallschicksal der Betroffenen muss sich deutlich von anderen vergleichbaren Fällen unterscheiden. Das führt dazu, dass während einer zweijährigen Aussetzungszeit nur sehr wenige krasse Ausnahmefälle eine Chance auf Familienzusammenführung hätten, was den Rechtsprechungsvorgaben zur Abwägung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls widerspricht. Eine an sich unzumutbare Trennung vom Ehemann, der Ehefrau oder dem minderjährigen Kind wird nicht dadurch zumutbar, dass weitere Familien ein ähnliches Schicksal erleiden müssen.

Zu erinnern ist auch an den APPELL AN DIE BUNDESREGIERUNG VON 293 ORGANISATIONEN vom 5. Mai 2025, mit dem für eine verantwortungsvolle Migrationspolitik durch die neue Bundesregierung geworben wird. Darin heißt es: ...

❖ … fördert die Integration aller Menschen. Die nächste Bundesregierung sollte Familien Sicherheit bieten, statt mit der Aussetzung des Familiennachzugs Integration zu verhindern. Auch braucht es weiterhin Chancen für diejenigen, die schon lange bei uns sind, weshalb das Erfolgsmodell des Chancen-Aufenthaltsrechts entfristet werden sollte. Für ein freiheitliches Zusammenleben müssen zudem Wege zu sicheren und gleichen Bürgerrechten durch Einbürgerung eröffnet werden, die keine Gruppen ausschließen. Integration darf dabei nicht allein von der Arbeitsmarktintegration abhängig gemacht werden, sondern es muss allen möglich sein, gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft zu werden.