Flüchtlingsgipfel: Es darf kein "Weiter so" geben - Entlastung schaffen bei der Unterbringung und in den Ausländerbehörden

15.02.2023 Mit einer Pressemitteilung brachten Pro Asyl und die Flüchtlingsräte ihre Forderungen vor, was der Flüchtlingsgipfel am Donnerstag bewirken sollte. Vor allem eine pragmatische und lösungsorientierte Unterbringungspolitik und eine Entlastung der Ausländerbehörden. Vor dem Hintergrund umstrittener Entscheidungen, in ländlichen Gebieten und kleinen Dörfern große Sammelunterkünfte einzurichten, wird festgestellt: "Keine Lösung ist, die Aufnahmequoten der Flächenstaaten zu erhöhen: Fläche schafft noch keine Integration, in Städten sind die Teilhabechancen meist besser als bei isolierter Unterbringung auf dem Land."

Wir zitieren die Pressemitteilung und anschließend aus den Pro Asyl-News von heute den durch einen vorgeschlagenen Maßnahmenkatalog konstruktiven Beitrag "Entlastung der Ausländerbehörden: Mehr Personal, Mentalitätswechsel und schnelle Maßnahmen"

PRO ASYL und Flüchtlingsräte zum Flüchtlingsgipfel: Kein „Weiter so“ in der Unterbringungspolitik

PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte fordern zum Flüchtlingsgipfel am Donnerstag eine pragmatische und lösungsorientierte Unterbringungspolitik für alle Schutzsuchenden. Der knappe Wohnraum in Deutschland ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das nicht nur geflüchtete Menschen betrifft. Die Lösung darf nicht darin bestehen, Geflüchtete auszugrenzen und zu diskriminieren. Zudem müssen die Ausländerbehörden entlastet werden – dafür hat PRO ASYL einige Vorschläge.

„Die Krise der Unterbringungspolitik besteht seit Jahren und nicht erst, seitdem Schutzsuchende aus der Ukraine aufgenommen wurden. Lösungsansätze dafür beginnen mit einer Debatte über die Aufhebung der Wohnpflicht in Sammelunterkünften und enden mit einem Kurswechsel mit dem Ziel: Wohnungen statt Lager“, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL. „Debatten über Abschiebungen sind hier nicht zielführend und befeuern nur eine diskriminierende und ausgrenzende Stimmung.“

PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte fordern zudem, dass sich die Politiker*innen beim Flüchtlingsgipfel auch mit der Überlastung der Ausländerbehörden befassen. Die monatelangen Wartezeiten auf einen Termin sind eine enorme Belastung für die betroffenen Menschen, da sie in der Zeit Jobangebote verlieren und Angst vor der Abschiebung haben.

Ausländerbehörden entlasten

Mit diesem Maßnahmenkatalog, der in der vergangenen Woche an die Innenministerien von Bund und Ländern geschickt wurde, schlägt PRO ASYL konkrete Schritte vor, die zu einer kurzfristigen Entlastung führen würden. Darüber hinaus sind mehr Personal und ein Mentalitätswechsel nötig, um den von der Bundesregierung angekündigten Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik auch in den Behörden umzusetzen.

Für die Unterbringung sollen Asylsuchende von Anfang an dabei unterstützt werden, bei Verwandten, Freund*innen oder in eigenen Wohnungen unterzukommen, statt in Sammelunterkünften leben zu müssen. Die Bundesländer haben die Möglichkeit, die Menschen gemäß Paragraf 49 Absatz 2 Asylgesetz „insbesondere zur Gewährleistung der Unterbringung und Verteilung“ von der Wohnpflicht in Asylaufnahmeeinrichtungen zu befreien. „Berlin hat mit der Aufhebung der Wohnverpflichtung für Asylsuchende Ende Januar einen ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht. Weitere Bundesländer müssen diesem Beispiel folgen“, so Alaows.

Wohnungen statt Sammelunterkünfte

Nach dem Vorbild der Aufnahme Geflüchteter aus der Ukraine muss auch für Asylsuchende eine flexible Unterbringungspolitik umgesetzt werden, die eine Entlastung für Kommunen und Bundesländer darstellen würde. Asylsuchende, die bei privaten Gastgeber*innen oder bei Angehörigen unterkommen können, müssen, ebenso wie Ukrainer*innen, von der Verteilung auf andere Länder und Kommunen ausgenommen werden.

Keine Lösung ist, die Aufnahmequoten der Flächenstaaten zu erhöhen: Fläche schafft noch keine Integration, in Städten sind die Teilhabechancen meist besser als bei isolierter Unterbringung auf dem Land. Zentral für das Ankommen und die Eingliederung in Wohnung und Arbeit sind für die Schutzsuchenden am Ort lebende Angehörige, ehrenamtliche Helfer*innen sowie eine Infrastruktur mit Beratungsstellen, Anwält*innen, Ärzt*innen und anderen.

Wohnsitzauflagen abschaffen

„Besonders absurd ist, dass Kriegsflüchtlinge und anerkannte Flüchtlinge nicht jedes Wohnungsangebot annehmen dürfen, sondern wegen der Wohnsitzauflage auf eine bestimmte  Kommune festgelegt sind. Geflüchtete, die beispielsweise in einer Sammelunterkunft wohnen und eine Wohnung im Nachbarort finden, dürfen dort nicht hinziehen. Es muss gesetzlich verankert werden, dass das Angebot einer passenden Wohnung stets zur sofortigen Aufhebung der Wohnsitzauflage führt“, fordert Alaows.

Selbst Geflüchtete, die innerhalb der ihnen zugewiesenen Kommune eine Wohnung finden, treffen immer wieder auf eine willkürliche Behördenpraxis. Betroffene berichten, dass ihnen auch nach jahrelangem Aufenthalt nicht erlaubt wurde, aus Gemeinschaftsunterkünften in eine Wohnung zu ziehen. Begründet wurden die Ablehnungen mit der Wohnverpflichtung nach Paragraf 53 Asylgesetz, der im Ermessenswege die jahrelange Einweisung Asylsuchender in Sammelunterkünfte ermöglicht. „Paragraf 53 Asylgesetz muss gestrichen werden“, so Alaows.

Statt den alten Ruf nach vermehrten Abschiebungen als vermeintliche Lösung zu präsentieren, würde es helfen, wenn Bund, Länder und Kommunen bereits bestehende rechtliche Möglichkeiten effektiver nutzen und, wo nötig, die Gesetze ändern würden.

 

Entlastung der Ausländerbehörden: Mehr Personal, Mentalitätswechsel und schnelle Maßnahmen

Mehrere Monate Wartezeit, nicht angetretene Jobs, die dauerhafte Angst vor der Abschiebung – Tausende Menschen in Deutschland leiden unter der Überlastung der Ausländerbehörden. Ohne eine Aufstockung der Stellen und eine Neustrukturierung kann ein Neustart in der Migrationspolitik nicht funktionieren. PRO ASYL schlägt konkrete Maßnahmen vor.

Die Wartezeiten in Ausländerbehörden liegen in ganz Deutschland aktuell bei mehreren Monaten. Das hat für viele Menschen gravierende Konsequenzen: Geflüchtete bekommen keine Aufenthaltserlaubnis, Arbeitende keine Verlängerung der Arbeitserlaubnis, Geduldete keine Verlängerung ihrer Duldung. Eine Situation, die die Menschen schwer belastet, da ganze Existenzen von rechtzeitigen Terminen bei den Ausländerbehörden abhängen.

Aufgrund der Wartezeiten gehen Jobs verloren, Wohnungen können nicht angemietet werden oder die Frist für das Studium wird verpasst – für viele bedeutet sie auch eine andauernde Angst vor der Abschiebung. Selbst die Verlängerung von Fiktionsbescheinigungen bei rechtmäßigem Aufenthalt klappt nicht mehr, weswegen betroffene Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren. Diese Wartezeiten gefährden auch die Umsetzung wichtiger Projekte der Bundesregierung wie das Chancen-Aufenthaltsrecht, die »Einbürgerungsoffensive« oder die Fachkräfteeinwanderung.

Die Entlastung der Betroffenen und damit auch die Entlastung der Verwaltung auf Bund‑, Länder- und kommunaler Ebene muss auch ein Thema des Flüchtlingsgipfels am 16. Februar 2023 sein.

Seit der ersten Zeit der Covid-19-Pandemie stapeln sich bei vielen deutschen Ausländerbehörden die Akten. Aktuell ist die Lage in den Behörden besonders prekär: Zu wenig Personal, hoher Krankenstand und das bei einer hohen Arbeitsbelastung durch viele neue Anträge, u.a. von Geflüchteten aus der Ukraine. Immer wieder kommt es zu Beschwerden. Zuletzt berichtete unter anderem die Hessenschau über zahlreiche Probleme bei der Frankfurter Ausländerbehörde, nachdem die Commerzbank öffentlich die langen Wartezeiten bei der Behörde angeprangert hatte.

94 % der Leiter*innen der Ausländerbehörden sehen die Personalsituation als angespannt

Eine bundesweite Umfrage des SWR vom August 2022 unter den Leiter*innen der Ausländerbehörden zeigt zudem, dass die Probleme allerorts die gleichen sind. Im Mittelpunkt der Umfrage steht die Personalsituation, die 94 Prozent der Behördenleiter*innen als mindestens »angespannt«, aber in der Mehrheit als »sehr angespannt« bewerten. Für die Menschen, denen mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht ein sicherer Aufenthalt versprochen wurde, könnte sich die Bearbeitung ihrer Anträge über Monate ziehen – während derer sie rechtlich weiterhin nicht vor Abschiebungen geschützt sind.

PRO ASYL fordert ein klares Bekenntnis von den Bundesländern, das Chancen-Aufenthaltsrecht nicht durch Abschiebungen zu unterlaufen!

»Wer in Deutschland mit Duldung lebt, der hat kein richtiges Leben!«  Nafii Minachi, Betroffener aus der PRO ASYL-Kampagne Recht auf Zukunft

Auch dürfen lange Wartezeiten für Termine nicht den Betroffenen angelastet werden. So darf zum Beispiel   Personen, deren Duldung abgelaufen und wegen Wartezeiten lange nicht erneuert wurde, die daraus entstehende Zeit ohne gültige Aufenthaltspapier nicht als  Hindernis für eine Bleiberechtsregelungen angelastet werden.

Personalsituation verbessern, bestehendes Personal entlasten

Die Registrierung der Ukraineflüchtlinge hat neben dem regulären Alltagsaufkommen zu einer weiteren Überlastung der Ausländerbehörden geführt. Nun steht zudem die Umsetzung des Chancen-Aufenthaltsrechts an. PRO ASYL fordert daher mehr Personal in den Ausländerbehörden.

Allerdings dauert es, bis neue Mitarbeitende eingestellt und eingearbeitet sind. Ohne ausreichende Ausbildung sind wieder Komplikationen für die Betroffenen zu befürchten. Zudem sind auch jetzt schon ausgeschriebene Stellen unbesetzt, sodass bloße Ausschreibungen nicht unbedingt ausreichen müssen, um motivierte und qualifizierte Mitarbeitende anzuwerben.

Weitere im Koalitionsvertrag bereits festgeschriebene Neuregelungen der Migrationspolitik könnten die Arbeitsbelastung des bestehenden Personals reduzieren. So hat die Bundesregierung geplant, die ausgrenzende »Duldung Light« ebenso wie Arbeitsverbote abzuschaffen und die Klärung der Identität mit Hilfe einer eidesstattlichen Versicherung zu ermöglichen.

Es braucht ein grundsätzliches Umdenken in den Behörden

Für den von der Bundesregierung geplanten »Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird« braucht es neben den politischen Entscheidungen vor allem ein grundsätzliches Umdenken in den Behörden. Zu häufig erleben  Betroffene ein auf Abwehr ausgerichtetes Verhalten in Ausländerbehörden bis hin zu Schikanen, anstatt dass ihnen der Weg zu bereits bestehenden Möglichkeiten zur Arbeitsaufnahme und Aufenthaltsverfestigung geebnet wird.

Schnellwirkende Maßnahmen

PRO ASYL fordert von den Leitungen der Ausländerbehörden folgende Maßnahmen umzusetzen, damit die Situation sich unverzüglich verbessert. Jeder verstrichene Tag ist eine enorme Belastung für die Wartenden.

  • Reduzierung der Anzahl der Termine
  • Ressourcen für Antragsbearbeitungen priorisieren
  • gezielte Beratung zum Chancenaufenthaltsrecht
  • Terminvorbereitung für Betroffene vereinfachen
  • digitale Optionen prüfen