23.07.2025 Um weitere Abschiebungen nach Afghanistan besser zu ermöglichen, will die Bundesregierung zwei von den Taliban nach Deutschland entsandte Konsularbeamte akkreditieren. Sie sind bereits eingereist und werden in Berlin und Bonn tätig sein. Nach Angaben der FAZ, die zuerst über den Vorgang berichtete, kommt die Bundesregierung damit den Forderungen der Taliban entgegen: "Das Taliban-Regime hatte dies als Gegenleistung für die Ermöglichung eines Abschiebeflugs verlangt, der am Freitagmorgen in Leipzig mit afghanischen Straftätern an Bord gestartet war." (FAZ 18.07.)
Dazu und zu der gefährdeten Lage Afghanistan-Geflüchteter in der Region schreibt Pro Asyl heute in den News:
Obwohl der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle gegen Taliban-Anführer erlässt, sucht die Bundesregierung den diplomatischen Dialog mit genau diesen. Zum ersten Mal unter der neuen Bundesregierung gab es einen Abschiebeflug nach Kabul. 81 Menschen wurden nach Afghanistan abgeschoben, trotz Menschenrechtsverletzungen und Elend vor Ort.
Fast vier Jahre sind vergangen, seit die Taliban Afghanistan im August 2021 zurückeroberten. Die Machtübernahme stürzte das Land und die Menschen in die Katastrophe – menschenrechtlich, humanitär und ökonomisch. Aufgrund der dramatischen Lage vor Ort verstoßen jegliche Abschiebungen in das Land gegen das völkerrechtliche Abschiebungsverbot, da Folter oder unmenschliche Behandlung droht.
Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte fordert deswegen einen Stopp jeglicher Zwangsrückführungen von Afghan*innen in das Land. Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte lehnt Abschiebungen in das Land aufgrund der dortigen Menschenrechtssituation ab. Trotzdem hat die deutsche Bundesregierung, zum ersten Mal unter Kanzler Friedrich Merz, am 18. Juni 2025 insgesamt 81 Afghanen nach Kabul abgeschoben. PRO ASYL und Amnesty International kritisierten den Flug scharf.
Internationaler Strafgerichtshof erlässt Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Besonders erschreckend: Erst wenige Tage vor der Abschiebung hatte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag Haftbefehle gegen Anführer der militant-islamistischen Taliban erlassen. Die Haftbefehle richten sich gegen den Taliban-Chef Haibatullah Achundsada und den Obersten Richter Afghanistans, Abdul Hakim Hakkani. Der Taliban-Führung werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt. Sie sollen gezielt Mädchen, Frauen und andere Personen, deren Geschlechtsidentität oder ‑ausdruck nicht mit der Taliban-Ideologie übereinstimmen sowie deren Unterstützer*innen, verfolgt haben.
Seit der Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021 hat das Regime laut dem IStGH grundlegende Rechte massiv eingeschränkt. Dazu gehört u. a. das Verbot von Bildung, Bewegung, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit speziell für Frauen. Außerdem gab es schwere Menschenrechtsverletzungen wie Mord, Folter, Vergewaltigung, Gefängnisstrafen und Verschwindenlassen.
Die Haftbefehle verdeutlichen die Dramatik der Situation in Afghanistan und zeigen, welche Verbrechen von den Taliban begangen werden. Damit muss klar sein: Mit einem solchen Regime darf die Bundesregierung nicht kooperieren. Insbesondere nicht, da Deutschland Mitgliedsstaat beim Internationalen Strafgerichtshof ist.
Bundesregierung erwägt Kooperation mit den Taliban
Doch die Bundesregierung will die Kooperationen mit den Taliban vorantreiben, um regelmäßige Abschiebungen zu ermöglichen. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt strebt sogar direkte Gespräche mit den islamistischen Taliban in Afghanistan an, um Abschiebungen von Straftätern zu erleichtern: »Mir schwebt vor, dass wir direkt mit Afghanistan Vereinbarungen treffen, um Rückführungen zu ermöglichen«.
Am 14. Juli 2025 gab zudem die afghanische Botschaft in Doha bekannt, dass sich der Botschafter der Taliban-De-facto-Regierung, Suhail Shaheen und Rolf Dieter Reinhard, der Geschäftsträger der deutschen Botschaft für Afghanistan, getroffen haben. Am 22. Juli 2025 wurde öffentlich, dass Deutschland zwei Vertretern der Taliban Visa erteilt hat und diese bereits eingereist sind, damit sie in der Botschaft in Berlin und dem Konsulat in Bonn arbeiten können.
Eine Kooperation zwischen Deutschland und den Taliban wäre jedoch ein fataler Schritt in Richtung Normalisierung der Beziehungen mit einem islamistischen Terrorregime. Bislang hat nur Russland die Taliban offiziell anerkannt.
Dramatische humanitäre Situation in Afghanistan
Die Unterdrückung der Bevölkerung, das zunehmend repressive Klima und die brutalen Einschränkungen der Medien sowie zivilgesellschaftlicher Organisationen, haben Afghanistan in eine Menschenrechtskrise geführt. Frau Dr. Alema hat für ein von der Stiftung PRO ASYL gefördertes Projekt an der Frankfurt School of Applied Science die Lage in Afghanistan mit Stand Juli 2025 hier zusammengefasst.
Die restriktive Politik der Taliban, zu der auch die Durchsetzung des »Gesetzes zur Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters« (PVPV) sowie das Verbot der Ausbildung von Mädchen und der medizinischen Ausbildung gehören, schränkt den Handlungsspielraum der noch vor Ort tätigen internationalen Organisationen zudem immer weiter ein. Gleichzeitig gehen die Finanzmittel der Geber stetig zurück, sodass die Partner gezwungen sind, wichtige Dienste einzustellen. Dadurch geraten Millionen Menschen in Gefahr.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt angesichts fehlender Fördergelder zudem vor dramatischen Konsequenzen für die Gesundheitsversorgung in Afghanistan. 80 Prozent der von der Organisation geförderten Gesundheitszentren müssten möglicherweise schließen, dies würde Millionen von Menschen betreffen.
Die Wirtschaft ist weiterhin instabil und kann die grundlegenden Bedürfnisse der wachsenden Bevölkerung nicht decken. Schätzungsweise 23,7 Millionen Afghan*innen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, was diese Region in eine der schlimmsten humanitären Lage weltweit gestürzt hat. Etwa 14,8 Millionen Menschen sind derzeit aufgrund von wirtschaftlichen Unsicherheiten und ungünstigen klimatischen Bedingungen in Afghanistan mit akuter Nahrungsmittelunsicherheit konfrontiert. 3,1 Millionen Menschen leiden unter lebensbedrohlichem Hunger.
Massenabschiebungen aus Nachbarländern verschärfen die Lage
Die eh schon äußerst schwierige humanitäre Lage wird noch dadurch erschwert, dass seit einiger Zeit die Nachbarländer Pakistan und Iran die dort lebenden Afghan*innen massiv unter Druck setzen, nach Afghanistan auszureisen und auch massenhaft Abschiebungen durchführen.
Von September 2023 bis Januar 2024 verließen mehr als 800.000 afghanische Staatsangehörige Pakistan in Richtung Afghanistan; viele von ihnen wurden in Pakistan geboren oder lebten dort schon seit Jahrzehnten. Davon gaben 85 % an, aus Angst vor einer Verhaftung geflohen zu sein. Mehr als 38.000 Menschen wurden nach Festnahmen nach Afghanistan abgeschoben. Im Rahmen einer neuen Abschiebewelle seit Anfang April 2025 verließen nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) bis zur Mitte des Monats mehr als 127.000 afghanische Staatsangehörige Pakistan nach Afghanistan; davon seien 26.000 Menschen abgeschoben worden.
Den Iran haben seit Jahresbeginn 2025 mehr als 1,2 Millionen Afghan*innen in Richtung Afghanistan verlassen, mehr als die Hälfte wurde laut UNHCR abgeschoben. Bis zu 30.000 Afghan*innen werden täglich von den iranischen Behörden abgeschoben. Insbesondere während des Kriegs zwischen Israel und dem Iran sind die Afghan*innen im Iran zur Zielscheibe der repressiven Politik des Regimes geworden.
Insgesamt leben in der Region schätzungsweise 9 Millionen vertriebene Afghan*innen, was global eine der größten Vertreibungssituationen darstellt.
Herrschaft der Unterdrückung
De facto festigen die Taliban ihre Macht und setzen ihre Herrschaft durch Unterdrückung, institutionalisierte Angst und Schrecken durch. Insbesondere die Ausweitung der Diskriminierung von Frauen und Mädchen, der schwindende Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft, die Verletzung ethnischer und religiöser Rechte sowie die alarmierende Zunahme von körperlicher Züchtigung und anderen Formen der Gewalt führen zu einer Herrschaft ohne Legitimität.
Am 21. Februar 2025 veröffentlichten die Vereinten Nationen ihren turnusmäßigen Bericht zur Lage in Afghanistan (Dezember 2024 bis Februar 2025). UNAMA dokumentierte in diesem Zeitraum Tötungen, willkürliche Verhaftungen sowie Folter und Misshandlung ehemaliger Regierungs- und Sicherheitskräfte. Zudem wurden willkürliche Inhaftierungen sowie Folter und sexuelle Gewalt gegen LGBTIQ+-Personen durch De-facto-Beamte dokumentiert. Ein Bericht der UNAMA vom 10. April 2025 zeigt, dass die Taliban die Unterdrückung der Gesellschaft in jüngerer Zeit noch intensivieren.
Die Gender-Apartheid und Diskriminierung von Frauen haben ein alarmierendes Ausmaß erreicht. Internationale Organisationen und die Vereinten Nationen berichten von außergerichtlichen Tötungen, willkürlichen Verhaftungen, Folter und weiteren Misshandlungen durch die Taliban. Das UNHCR betont, dass die meisten
Menschenrechtsverletzungen undokumentiert bleiben und die Verfolgungsgefahr unvorhersehbar ist. Die Europäische Asylagentur bestätigt zudem in ihrer Country Guidance zu Afghanistan vom Mai 2024, dass es im Land keine internen Schutzalternativen vor der Verfolgung der Taliban gibt.
Wie eine Recherche von Human Rights Watch zeigt, können auch die zum Beispiel aus Pakistan zurückgekehrte Afghan*innen zu Opfern der Taliban werden. So wurde ein Mann, den die Menschenrechtsorganisation interviewt hat, nach der Abschiebung von den Taliban verhaftet und zwei Monate lang festgehalten, weil er für die Sicherheitskräfte der früheren Regierung gearbeitet hatte.
PRO ASYL: Stopp von Abschiebungen nach Afghanistan!
Abschiebungen in Länder, in denen Folter, Misshandlungen und weitere Menschenrechtsverletzungen drohen, sind mit dem Rechtsstaat und dem Völkerrecht unvereinbar und dürfen nicht stattfinden. Das gilt auch für Menschen, die Straftaten begangen haben. PRO ASYL fordert deswegen gemeinsam mit den Flüchtlingsräten der Länder einen Abschiebungsstopp für Afghanistan. Außerdem sollten aufgrund der gravierenden Menschenrechtsverletzungen durch ihre Herrschaft keinerlei diplomatische Beziehungen zu den Taliban aufgenommen werden.
Zur Vorbereitung weiterer Abschiebeflüge hat die Bundesregierung der Entsendung von zwei afghanischen Konsularbeamten nach Deutschland zugestimmt. Es sei verabredet worden, zwei Vertreter der afghanischen Konsularverwaltung "hier einzugliedern, um die weiteren geplanten Rückführungsflüge zu unterstützen", sagte Regierungssprecher Stefan Kornelius am Montag in Berlin. Der Austausch sei mit dem am vergangenen Freitag erfolgten Abschiebeflug einhergegangen.
Die Bundesregierung erkennt die Regierung der seit 2021 herrschenden radikalislamischen Taliban in Afghanistan nicht völkerrechtlich an. Es gibt damit keine direkten diplomatischen Beziehungen.
Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, die beiden Konsularbeamten seien am Wochenende eingereist und durchliefen nun "den üblichen Anmeldungsprozess, bevor sie ihren Dienst antreten werden". Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hatte vergangene Woche berichtet, die beiden zusätzlichen Beamten sollten an der afghanischen Botschaft in Berlin und dem Generalkonsulat in Bonn tätig sein.
Deutschland hatte am Freitag zum zweiten Mal seit der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abgeschoben. Laut Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) handelte es sich bei den 81 Menschen um "schwere und schwerste Straftäter". Einen ersten Flug hatte es im August 2024 gegeben.
Kornelius bezeichnete die am Freitag erfolgte Abschiebung als "erfolgreich". Das Emirat Katar sei dabei "hilfreich bei der Vermittlung auf technischer Ebene" gewesen. Die Bundesregierung habe "auf dieser technischen Ebene regelmäßig Kontakt mit der De-facto-Regierung in Afghanistan".
Mit Blick auf die afghanischen Vertretungen in Deutschland hieß es aus dem Auswärtigen Amt, diese seien weiterhin arbeitsfähig und könnten beispielsweise Reisepässe ausstellen. Sie würden allerdings von Vertretern geleitet, die bereits vor der Machtübernahme durch die Taliban akkreditiert worden seien. Die Personaldecke sei dünn. Auch deshalb habe die Bundesregierung zugestimmt, zwei neue Mitarbeiter für den Konsularbereich zu akkreditieren.