30.06.2025 Wir zitieren aus Aktuell des Flüchtlingsrates NRW:
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration hat ein Gutachten zur Umsetzung von Migrations- und Integrationsgesetzen der letzten Jahre veröffentlicht, speziell zur Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, zu Maßnahmen zur besseren Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen – konkret: zum sog. Job-Turbo und Möglichkeiten für Geduldete, durch Beschäftigung ihren Aufenthalt zu regularisieren – und zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Im Rahmen des Gutachtens wird insbesondere der Frage nachgegangen, inwieweit vom Gesetzgeber angestrebte Wirkungen der Gesetze zur Entfaltung kommen.
Das vollständige Gutachten finden Sie hier:
Sachverständigenrat für Integration und Migration
Jahresgutachten 2025: Reformen, die wirken?
Die Umsetzung von aktuellen Migrations- und Integrationsgesetzen
Darin: Das Wichtigste in Kürze
Neun Kernbotschaften
Die Politik in Deutschland hat in den vergangenen Jahren viele gesetzliche Reformen vorgenommen, um auf Herausforderungen in den Bereichen Migrationssteuerung und Integrationsförderung zu reagieren. Dabei wurden einerseits Einwanderung und Integration erleichtert, etwa durch die Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Andererseits wurden mit Änderungen im Rückführungsverbesserungsgesetz auch Abschiebungen erleichtert. Zugleich wurden Maßnahmen ergriffen, um
Flüchtlinge besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dazu gehören etwa der sog. Job-Turbo und die Möglichkeiten für Geduldete, durch Beschäftigung ihren Aufenthalt zu regularisieren. Migrationspolitik bewegt sich grundsätzlich in einem Spannungsfeld: Sie muss auf ak-
tuellen Handlungsdruck und unterschiedliche politische Anliegen schnell reagieren, aber zugleich ein stabiles regulatorisches Umfeld garantieren.
Der SVR nimmt die zahlreichen Gesetzgebungsakte in diesem Politikfeld zum Anlass, sich in seinem Jahresgutachten mit der Umsetzung dieser rechtlichen Regelungen und deren praktischer Wirksamkeit auseinanderzusetzen. Denn sowohl im Bereich der Fachkräfteeinwanderung als auch im Bereich der Rückführungspolitik haben Wirtschaft und Gesellschaft hohe Erwartungen und kritisieren heftig die unzureichende Wirksamkeit. Zugleich beeinflussen die genannten Reformen unmittelbar die Zukunftsperspektiven von Zugewanderten, insbesondere ihre Möglichkeiten, einen dauerhaften Aufenthaltsstatus zu erlangen, politisch und gesellschaftlich teilzuhaben
oder zu arbeiten. Und nicht zuletzt hat es auch Auswirkungen auf den Zusammenhalt in der Gesellschaft insgesamt, ob es gelingt, Migration zu steuern und Integration zu fördern.
Anhand der Reformen zu Erwerbsmigration und Einbürgerung sowie von Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten beschreibt das Jahresgutachten, wie die entsprechenden Regelungen umgesetzt wurden und wie sie wirken. Dabei wird auch deutlich, wo die
Umsetzung noch Lücken aufweist oder die Effekte sich erst ansatzweise beurteilen lassen. Die folgenden Kernbotschaften gehen zunächst auf den Prozess der Gesetzgebung ein: Was muss beachtet werden, damit Gesetze und Verordnungen anschließend so umgesetzt werden können, dass sie auch die beabsichtigte Wirkung entfalten (Kernbotschaften 1, 2 und 3)? Im Anschluss werden Elemente erörtert, die die Verwaltungspraxis verbessern könnten. Das reicht von den Zuständigkeiten im Bereich der Integrations- und Migrationspolitik, die zwischen Bund, Ländern und Kommunen verteilt sind (Kernbot-
schaften 4 und 5), bis zur Digitalisierung der Verwaltung (Kernbotschaft 6). Schließlich werden Erkenntnisse zu den konkret untersuchten Umsetzungsfeldern erörtert (Kernbotschaften 7, 8 und 9).
1 Schnelligkeit ist nicht alles: Gute Gesetzgebung muss die Umsetzung mitbedenken
Gerade in dynamischen und kontroversen Bereichen wie der Migrations- und Integrationspolitik wird erwartet, dass die Politik auf die Bedürfnisse von Wirtschaft und Gesellschaft schnell reagiert. Trotz dieses Handlungsdrucks und der Komplexität der rechtlichen Regelungen muss der Gesetzgebungsprozess nicht nur den formalen
Anforderungen an Rechtsetzungsverfahren entsprechen, die entwickelten Gesetze müssen auch praxistauglich und damit wirksam sein. Beides wird behindert durch eine Zwecküberfrachtung von Regelungen, zu komplizierte und damit oft langwierige Verfahren. Das Jahresgutachten zeigt, wie der beschriebene Handlungsdruck in manchen Fällen den Prozess der Gesetzgebung beschleunigt und dazu geführt hat, dass Gesetze in schneller Folge geändert wurden. Dies wiederum stellt hohe Anforderungen an eine Verwaltung, die ohnehin schon stark belastet ist, und führt zu Verzögerungen und enttäuschten Erwartungen bei den Antragstellenden und der Öffentlichkeit.
Der SVR weist darauf hin, dass Bürgerinnen und Bürger die Reaktionsfähigkeit von Politik nicht allein daran bemessen, ob der Bund (schnell) Gesetze erlässt. Wichtig ist auch und vor allem, inwieweit diese von den Behörden in Bund, Ländern und Kommunen umgesetzt werden und damit Wirkung entfalten können. So wird für Betriebe und Unternehmen entscheidend sein, inwieweit die neuen Regelungen für Arbeits- und Fachkräfteeinwanderung ihnen tatsächlich helfen, benötigte Arbeitskräfte unkompliziert und rasch aus dem Ausland zu gewinnen und mit den notwendigen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen auszustatten, oder inwiefern der sog. Job-Turbo den Arbeitsmarkteinstieg für Geflüchtete verbessert. Einbürgerungsinteressierten wird es darum gehen, dass sie über die neuen Möglichkeiten gut informiert werden und die Behörden ihre
etwaigen Anträge in angemessener Zeit entgegennehmen und bearbeiten.
Daher appelliert der SVR an die am Gesetzgebungsprozess Beteiligten, im bestehenden Zielkonflikt zwischen schneller Reaktion und guter Umsetzung von Gesetzen und Maßnahmen nicht einseitig auf Geschwindigkeit zu setzen. Vielmehr sollten sie von vornherein
stärker bedenken, welche Anforderungen eine gute Umsetzung an die Behörden in Bund, Ländern und Kommunen sowie an andere Beteiligte stellt, und dem bei der Gesetzgebung Rechnung tragen (dazu, was das konkret bedeutet, s. Kernbotschaften 2 und 3). Dies kann auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in einen gestaltungsfähigen Staat stärken.
Für weitere Informationen und Handlungsempfehlungen s. Kap. A.1. Für die konkrete Umsetzung der Fachkräfteeinwanderung, des sog. Job-Turbos und des Staatsangehörigkeitsrechts s. Kap. B.1, B.2 und B.3.
2 Praxischecks und Beteiligung führen zu besseren Gesetzen
Zentral für gute Gesetzgebung ist – neben der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht – eine hohe Praxistauglichkeit. Dazu sind möglichst frühzeitig alle relevanten Akteure und Akteurinnen zu beteiligen: die für den Vollzug zuständigen Stellen ebenso wie jene Gruppen, auf die sich das Gesetz richtet. Bei Stellungnahmen in der
etablierten Verbändeanhörung sollten sehr kurze Fristen die absolute Ausnahme sein. Ein weiteres wichtiges Instrument ist der Praxischeck; dieser sollte die etablierten Formen der frühzeitigen Beteiligung relevanter Stellen im Gesetzgebungsprozess grundsätzlich ergänzen. Mit einem Praxischeck kann der Gesetzgeber Erfahrungen aus der Verwaltungspraxis und solche von Betroffenen besser rückkoppeln. Das erhöht die Transparenz und zeigt, dass die Politik bereit ist, die Signale der Beteiligten wahrzunehmen. Damit können frühzeitig alle drei Ebenen einbezogen werden: der Gesetzgeber, die vollziehenden Verwaltungsstellen und die Zielgruppe der Regelung. Der Praxischeck soll prüfen, ob das neue Gesetz verständlich ist, ob sich damit Bürokratie abbauen lässt, ob die nötigen Ressourcen zur Verfügung stehen und wie sich das Gesetz konkret umsetzen und seine Wirkung kontrollieren lässt. Er kann auch bei bestehenden Gesetzen angewendet werden (s. Kernbotschaft 3).
Ein solches System mag auf den ersten Blick aufwendig erscheinen. Angesichts eines bisweilen kurzatmigen politischen Betriebs kann es aber ein notwendiges Gegengewicht bilden, um bei der Rechtsetzung grundsätzlich stärker auch die praktische Umsetzung mitzudenken
(s. Kernbotschaft 1). Nach Ansicht des SVR sollte zukünftig auch bei Vorhaben im Bereich der Migrations- und Integrationspolitik ein solcher Praxischeck im Gesetzgebungsverfahren angewendet werden. Dies könnte auch in § 44 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bun-
desministerien (GGO) festgeschrieben werden, um die Anwendung verbindlich zu machen.
Für weitere Informationen und Handlungsempfehlungen s. Kap. A.1.
3 Ein lernendes System etablieren: Gesetze evaluieren und Ergebnisse rückkoppeln
Die Qualität von Gesetzen hängt nicht nur davon ab, inwieweit bei ihrer Entwicklung die Umsetzung bereits mitgedacht wurde (s. Kernbotschaft 2). Um ihre Wirkung im Nachhinein zu untersuchen, sind Evaluierungen und Rückkopplungsschleifen über eine Ex-ante- und eine Ex-post-Folgenabschätzung zentral. Bislang gibt es jedoch keine einheitlichen übergeordneten Vorgaben, um bundesrechtliche Vorschriften systematisch rückblickend zu evaluieren. Es gibt auch keine spezielle Instanz, die dafür zuständig wäre, und es bleibt offen, wie ein umfassendes Ex-post-Evaluierungssystem in der Bundesverwaltung langfristig aussehen könnte.
Bei der Gesetzesfolgenabschätzung vorab (ex ante) ist es entscheidend, den Ausgangszustand festzuhalten und von vornherein klare Ziele wie auch die erwartete Wirkung der Regelung zu formulieren. Nur so kann rückblickend (ex post) überprüft werden, ob die gesetzten Ziele tatsächlich erreicht wurden und die beabsichtigten Wirkungen eingetreten sind. Der SVR regt an, verbindliche Standards und methodische Leitlinien sowohl für die Ex-ante-Gesetzesfolgenabschätzung als auch für Ex-post-Evaluationen zu entwickeln. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass die Evaluierungsergebnisse in zukünftige politische Entscheidungen einfließen. Neben einer vorausgehenden Gesetzesfolgenabschätzung und der Beteiligung sachkundiger Stellen im Prozess (s. Kernbotschaft 2) sind daher Mechanismen der Rückkopplung nötig. Ein mögliches Instrument dafür ist der Praxischeck. Evaluation und Rückkopplung
sind zentrale Bausteine für ein lernendes System, mit dem Gesetze und Maßnahmen evidenzbasiert weiterentwickelt werden können, um bestmöglich zu wirken. Aus der Sicht des SVR ist es sinnvoll, ein solches lernendes System systematisch zu entwickeln und zu verankern.
Stärker berücksichtigt werden sollten im Gesetzgebungsverfahren auch Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Migrations- und Integrationsforschung, die allgemeiner die Wirkung von Migrations- und Integrationspolitik untersucht.
Für weitere Informationen s. Kap. A.1
4 Prozesse vereinfachen und Zuständigkeiten bündeln
Die Migrations- und Integrationsverwaltung in Deutschland ist eng verflochten, die Zuständigkeiten in diesem Bereich sind sehr komplex. Inhaltlich zusammenhängende Aufgaben werden von unterschiedlichen Verwaltungsstellen auf den verschiedenen föderalen Ebenen erfüllt. Das zeigt sich beispielsweise im Bereich der Flüchtlingsaufnahme und -integration. Hier ist das Handeln der Behörden oft abhängig von Entscheidungen, die andere Verwaltungsstellen treffen. So müssen sich die Länder bei der Erstaufnahme von Geflüchteten mit der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abstimmen, die für das Asylverfahren zuständig ist. Die Ausländerbehörden wiederum müssen bei Fragen der Arbeitserlaubnis die Bundesagentur für Arbeit (BA) zurate ziehen und sich bei der Ausstellung von Aufenthaltstiteln nach den Entscheidungen des BAMF richten. Vom Asylbescheid des BAMF hängt zudem ab, ob die betreffende Person Anspruch darauf hat, einen Integrationskurs zu besuchen. All dies erfordert somit eine Abstimmung und den Austausch von Informationen und Daten, sowohl über die föderalen Ebenen hinweg als auch zwischen verschiedenen Verwaltungsträgern. In den Kommunen bieten zudem oft mehrere Behörden und Stellen – etwa das Jobcenter oder Migrationsberatungsstellen – für verschiedene Bereiche persönliche
Beratung über ein sog. Fallmanagement an. Oft fehlt aber eine übergeordnete Koordinierung. Das vorliegende Jahresgutachten zeigt, dass in der Migrations- und Integrationsverwaltung mitunter Schnittstellen- und Koordinationsprobleme sowie Parallelstrukturen und
Doppelbearbeitungen bestehen: Zuständigkeiten und Prozesse sind intransparent, die Kommunikation ist defizitär, sodass Informationen verloren gehen oder sich ihr Austausch verzögert. Sind die Kompetenzen zwischen den Ebenen und den Verwaltungsträgern nicht klar geregelt, kann das zudem eine Verantwortungsverschiebung
begünstigen. Denn dann fühlt sich niemand so richtig zuständig, und keine Stelle ist für den Gesamtprozess verantwortlich.
Zudem erhöhen unübersichtliche Strukturen und Zuständigkeiten den Beratungsbedarf bei Trägern und Unternehmen. Diese wünschen sich im Idealfall eine feste Ansprechperson, die sie etwa bei der Rekrutierung von Arbeits- und Fachkräften aus dem Ausland durch den
Prozess navigiert, ohne dass sie die dahinterliegende komplexe Zuständigkeits- und Behördenstruktur durchschauen müssen. Um die Zahl der Schnittstellen zu reduzieren, sollte nach Ansicht des SVR geprüft werden, ob und wo Zuständigkeiten stärker zentralisiert werden
können.
Insbesondere seit 2015 haben immer mehr Kommunen integrierte Verwaltungseinheiten gebildet, in denen Migrations- und Integrationsaufgaben gebündelt sind. Der SVR spricht sich dafür aus, dass die Kommunen diesen Weg fortsetzen und Prozesse der Migrations- und Integrationsverwaltung bündeln und damit vereinfachen. Zudem sollten nach Ansicht des SVR die Kommunen stärker in die Verantwortung genommen und zugleich befähigt werden, ein integriertes Fallmanagement aufzubauen bzw. dieses in Abstimmung mit den anderen beteiligten Stellen wie den Trägern der Migrationsberatung und den Jobcentern weiterzuentwickeln (s. zum Verhältnis von Ländern und Kommunen Kernbotschaft 5). Auch bezo-
gen auf die Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern empfiehlt sich eine Konsolidierung und zum Teil eine Verlagerung der Zuständigkeiten (s. Kernbotschaft 7).
Für weitere Informationen und Handlungsempfehlungen s. Kap. A.2.
5 Die Länder sollten Integrationsstrukturen dauerhaft stärken und die Finanzierung der Kommunen sichern
Bezogen auf die Verteilung von Zuständigkeiten im Bereich Migration und Integration wird regelmäßig darüber diskutiert, dass die Länder den Kommunen Integration als Pflichtaufgabe zuweisen sollten, die von den Ländern zu finanzieren ist. Damit verbindet sich insbesondere die
Erwartung, dass dadurch die Integrationsarbeit vor Ort nachhaltiger gesichert wird und diesbezügliche Aufgaben und Zuständigkeiten klarer verteilt werden. Zugleich würde es deutlich machen, dass Integration eine Daueraufgabe ist – das wäre ein wichtiges Signal. Wenn die Kommunen verpflichtet werden, Integrationsmaßnahmen zu planen und zu koordinieren, könnte das auch bewirken, dass sie dafür Verantwortung übernehmen und eine nachhaltige Integrationsinfrastruktur aufbauen (können) – unabhängig von den politischen Verhältnissen vor Ort. Eine Pflichtaufgabe allein garantiert aber noch keine funktionierende Integrationsarbeit vor Ort. Außerdem gibt es bei dieser Form der Verantwortungszuweisung rechtliche Hürden.
Eine Alternative sind konkrete Fördermaßnahmen, mit denen die Länder die Kommunen beim Aufbau von Integrationsstrukturen stärker unterstützen. Mehrere Länder tun dies bereits. Besonders hervorzuheben ist Nordrhein-Westfalen: Hier ist die Förderung der Kommunalen Integrationszentren und des kommunalen Integrationsmanagements im Teilhabe- und Integrationsgesetz
verankert. Damit ist auch eine jährliche Mindestfördersumme festgeschrieben, die eine verbindliche Finanzierung sichert. Der SVR spricht sich deshalb erneut dafür aus, solche Landesfördermaßnahmen auch in anderen Ländern aufzubauen und beispielsweise im Rahmen von Integrations- und Teilhabegesetzen zu verstetigen. Angesichts der hohen Hürden, die mit der Einführung einer kommunalen Pflichtaufgabe Integration verbunden sind, erscheint dieser Weg gangbarer und leichter umsetzbar.
Unabhängig davon, ob und in welcher Form die Länder Integration als Aufgabe der Kommunen stärken, sollte die Diskussion darüber nach Ansicht des SVR auch genutzt werden, um das finanzielle Zusammenwirken von Bund und Ländern im Bereich Integration und Teilhabe weiterzuentwickeln.
Für weitere Informationen und Handlungsempfehlungen s. Kap. A.2.
6 Digitalisierung vorantreiben und Kernprozesse zentralisieren
Digitalisierung durchzieht als Querschnittsaufgabe nahezu alle Bereiche staatlicher Leistungen. Mit dem 2017 in Kraft getretenen Onlinezugangsgesetz (OZG) und seiner Novellierung im Jahr 2024 (OZG 2.0) wurde eine Grundlage geschaffen, um Verwaltungsprozesse zu beschleunigen und den Service für Bürgerinnen und Bürger zu
verbessern. Die Umsetzung läuft jedoch schleppend. Zwar wurde in einzelnen Bereichen schon einiges erreicht; dennoch sieht der SVR bei der Digitalisierung der Migrationsverwaltung insgesamt noch viel Aufholbedarf.
Ein zentrales Problem ist hier die fragmentierte Landschaft kommunaler IT-Unternehmen. Die Behörden arbeiten mit unterschiedlichen Softwarelösungen, die nicht immer kompatibel sind. Für eine grundlegende Umstellung der IT-Systeme gibt es angesichts angespannter Haushaltslagen keine Ressourcen. Häufig fehlt in den zuständigen Ausländerbehörden oder Kommunen auch die nötige Fachkompetenz, um sicherzustellen, dass IT-Unternehmen Produkte entwickeln, die alle erforderlichen Komponenten und Funktionen beinhalten und die Schnittstellenkompatibilität zwischen Behörden gewährleisten. Datenschutzanforderungen wie das Zweckbindungsprinzip der Datenschutz-Grundverordnung widersprechen dem once only-Prinzip, nach dem alle Daten nur einmal erhoben werden sollen.
Positiv entwickelt sich die Digitalisierung von Visaverfahren. Über das Auslandsportal des Auswärtigen Amts können seit 2025 weltweit Anträge digital eingereicht werden. Auch wenn derzeit von vielen Ländern aus noch nicht alle Arten von Anträgen digital gestellt werden können, hat sich die Zahl der Online-Anträge zuletzt deutlich erhöht. Problematisch bleibt hingegen das Ausländerzentralregister (AZR). Als bundesweite personenbezogene Datenquelle bietet es eine Informationsdrehscheibe im Ausländer- und Asylrecht. Genutzt werden kann es von jenen Behörden, die mit ausländer- und asylrechtlichen Angelegenheiten befasst sind. Die Datenqualität des AZR hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert; dennoch haben viele Behördenmitarbeitende mehr Vertrauen in ihre lokalen Datenbestände. Ein Grund dafür ist, dass sie über die Möglichkeiten des AZR oft nur unzureichend informiert sind. Zudem erhöhen Schnittstellenprobleme den Arbeitsaufwand.
Der SVR empfiehlt, den bereits eingeschlagenen Weg fortzusetzen und das AZR zu einer zentralen Plattform für das Ausländerwesen weiterzuentwickeln. Die zugriffsberechtigten Behörden sollten das AZR so nutzen können, dass Dokumente nur einmal vorzulegen sind und zentral abgespeichert werden, sodass alle Berechtigten Zugriff darauf haben. Es würde die Ausländerbehörden entlasten, wenn nicht immer wieder dieselben Daten erhoben und dieselben Dokumente vorgelegt werden müssten; zudem entfiele der zeitaufwendige postalische Versand von Dokumenten zwischen Arbeitnehmenden, Unternehmen und Behörden. Zusätzlich sollte eine zweite zentrale IT-Plattform entwickelt werden, um Visaverfahren und aufenthaltsrechtliche Anliegen zu bündeln. Dies würde die Ausländerbehörden weiter entlasten und die
ebenfalls vom SVR empfohlene Zusammenarbeit zwischen Bundesbehörden (s. Kernbotschaft 7) ergänzen.
Um einzelne Schritte im Verwaltungsprozess tatsächlich zu automatisieren, braucht es auch ein digitaltaugliches Recht, das festlegt, welche Daten, Dokumente und Sachverhalte wann als verbindlich geprüft gelten und nicht mehr erneut erhoben werden müssen. Und nicht zuletzt müssen digitale Angebote für Mitarbeitende wie Antragstellende benutzerfreundlich gestaltet sein, damit sie effektiv genutzt werden können.
Für weitere Informationen und Handlungsempfehlungen s. Kap. A.3.
7 Behörden entlasten und Zuständigkeiten bündeln, um Fachkräfteeinwanderung zu erleichtern
Das im Sommer 2023 verabschiedete Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll bewirken, dass ausländische Arbeits- und Fachkräfte schneller und unbürokratischer in Deutschland arbeiten können. Bei der praktischen
Umsetzung bestehen allerdings Herausforderungen, z. B. bezüglich der Anerkennung ausländischer Berufserfahrung, die neuerdings ein zentrales Kriterium ist. Der SVR empfiehlt, in diesem Punkt die staatlichen Stellen zu entlasten und die Verantwortung der Unternehmen zu stärken. Unternehmen, die entweder ein bestimmtes Zulassungsverfahren durchlaufen oder sich in der Vergangenheit als seriöse Arbeitgebende erwiesen haben, könnten die Berufserfahrung eigenständig beurteilen. Das würde die staatliche Prüfung des Jobangebots erleichtern. Staatliche Beratung zur Gewinnung
ausländischer Fachkräfte sollte sich auf kleine und mittlere Unternehmen konzentrieren, die weder eigene Personalabteilungen besitzen noch über Mittel für externe Dienstleistungen verfügen. Anders verhält es sich mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die aus dem Ausland kommen wollen, um in Deutschland zu arbeiten: Für diese Zielgruppe sind nach Ansicht des SVR staatlich finanzierte Beratungsleistungen notwendig – die teilweise auch schon seit Langem bestehen.
Wie das Beantragen eines Aufenthaltstitels erleichtert werden kann, zeigt der entsprechende OZG-Service des Landes Brandenburg: Hier können nach Maßgabe des Onlinezugangsgesetzes (OZG) Drittstaatsangehörige einen Aufenthaltstitel zu Erwerbszwecken digital beantragen. Das entlastet die Ausländerbehörden vor Ort, die derzeit für die Bearbeitung solcher Anträge zuständig sind. Der Online-Dienst ist in drei Pilotkommunen bereits seit 2020 verfügbar. Dort können neben dem Aufenthaltstitel zu Erwerbszwecken inzwischen auch Aufenthaltstitel für eine Ausbildung, den Familiennachzug und für Geflüchtete aus der Ukraine sowie eine Niederlassungserlaubnis online beantragt werden. Dabei kann nicht nur der Antrag online gestellt werden, die Antragstellenden können sich auch digital authentifizieren und die Nachweise digital einreichen. Darüber hinaus unterstützt der SVR auch den Ansatz, den Prozess der Fachkräftezuwanderung stärker auf der Bundesebene zu zentralisieren, wie es das Beratungsunternehmen Partnerschaft Deutschland (PD) in einer
Machbarkeitsstudie vorgeschlagen hat. Nach diesem Modell werden Visa und Aufenthaltstitel zentral im Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten (BfAA) bearbeitet und die Arbeitsmarktzulassung von der Bundesagentur für Arbeit (BA). Rechtlich sieht der SVR hier keine Hürden, schließlich ist der Bund für Fragen der Erwerbsmigration zuständig. Außerdem spricht für dieses Modell, dass es die Ausländerbehörden entlasten würde, die bereits an anderer Stelle stark beansprucht sind. Diese teilweise Verlagerung und Bündelung von Zuständigkeiten kann und sollte durch eine weitere Digitalisierung (s. Kernbotschaft 6) flankiert werden.
Für weitere Informationen und Handlungsempfeh-
lungen s. Kap. B.1
8 Geflüchteten schnelleren Arbeitseinstieg ermöglichen, an sprachlicher und fachlicher Qualifizierung festhalten
Das Programm „Job-Turbo“ wurde im Oktober 2023 gestartet, um Integrationsverläufe zu beschleunigen und insbesondere Geflüchtete aus der Ukraine schneller in Arbeit zu bringen. Seit Anfang 2024 ist die Arbeitslosenquote bei den ukrainischen Staatsangehörigen dann auch deutlich gesunken. Allerdings lässt sich daraus nicht schließen, dass die Effekte unmittelbar auf das Programm zurückzuführen sind. Um die Wirkung des Job-Turbos nachzuweisen, sollte das Programm umfassend evaluiert werden, ebenso wie andere Programme der Arbeitsmarktförderung (s. Kernbotschaft 3).
Gleichwohl begrüßt der SVR, dass die Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten flexibler gestaltet wurden und jetzt einen früheren Einstieg in Beschäftigung ermöglichen. Das Programm soll die Geflüchteten zunächst in unqualifizierte Helfertätigkeiten vermitteln, ohne allerdings die vorgelagerte bzw. parallel erfolgende Sprachbildung aufzugeben. Die weitere Qualifizierung für höherwertige Tätigkeiten soll dann in der dritten Phase erfolgen. Damit entfernt sich das Programm ein Stück weit von dem bisher überwiegenden „Sprache zuerst“-Ansatz, bei dem die sprachliche und fachliche Qualifizierung Vorrang hat. Dabei ist es nach
Ansicht des SVR entscheidend, Geflüchtete auch weiterhin sprachlich und fachlich zu qualifizieren, um perspektivisch eine nachhaltige Teilhabe am Arbeitsmarkt und eine qualitativ höherwertige Beschäftigung zu ermöglichen. Der SVR warnt deshalb davor, den bewährten Ansatz vollständig aufzugeben. Um eine Erwerbstätigkeit parallel zum Integrationskurs zu ermöglichen, sollten Kursangebote in Teilzeit ausgebaut werden. In der zweiten Phase sollte der Zugang zu Berufssprachkursen und Qualifizierungsmaßnahmen standardmäßig gewährleistet sein. Nach Ansicht des SVR müssen darüber hinaus die Anerkennungsverfahren für berufliche Qualifikationen vereinfacht und beschleunigt werden, ohne die Qualitätsstandards zu senken.
Um eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration zu gewährleisten, sollten die Geflüchteten möglichst auch von Anfang an Tätigkeiten übernehmen, die im Berufsfeld ihrer ursprünglichen Qualifikation liegen. Der SVR empfiehlt daher im nächsten Schritt, Programme zu entwickeln, die Geflüchtete systematisch von temporär angelegten Assistenztätigkeiten über berufsbegleitende Nachqualifizierung an Tätigkeiten auf Experten- bzw. Spezialistenniveau heranführen.
Auch wenn es derzeit noch verfrüht ist, hinsichtlich der Wirksamkeit des Bundesprogramms „Job-Turbo“ endgültige Schlussfolgerungen zu ziehen, bieten die bisherigen Entwicklungen und Ansätze für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten vielversprechende Perspektiven. Um die tatsächliche Umsetzung auf lokaler Ebene, die langfristigen Effekte und die Übertragbarkeit auf andere Zuwanderungsgruppen oder andere Zielgruppen im SGB II-Bezug fundiert einzuschätzen, bedarf es allerdings einer differenzierten Evaluation.
Für weitere Informationen und Handlungsempfehlungen s. Kap. B.2.1.
9 Mit digitalen Angeboten, mehr Zentralisierung und Lotsen Einbürgerungspotenzial besser ausschöpfen
Die Einbürgerungszahlen in Deutschland sind in den letzten Jahren gestiegen. Das geht maßgeblich zurück auf einzelne Herkunftsgruppen, insbesondere Personen aus Syrien. Bei anderen Gruppen stagnieren die Einbürgerungszahlen aber auf einem niedrigen Niveau. Und im
europäischen Vergleich liegen die Zahlen für Deutschland nach wie vor im unteren Bereich. 2024 hat der Bund das Staatsangehörigkeitsrecht umfassend reformiert. Die für eine Einbürgerung erforderlichen Aufenthaltsfristen wurden verkürzt und Mehrstaatigkeit wird nun grund-
sätzlich akzeptiert. Die geänderte Rechtslage soll Ausländerinnen und Ausländern, die dauerhaft in Deutschland leben und entscheidende Integrationsschritte erfolgreich gemeistert haben, eine umfassende gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen. Zudem soll sie Anreize für Integration schaffen.
Im Sinne einer bürgernahen Verwaltung müssen die Einbürgerungsbehörden für Antragstellende leicht erreichbar sein. Will man dabei zugleich Ressourcen einsparen, könnten anstatt verpflichtender individueller Beratungstermine regelmäßig freiwillige kollektive Informationsveranstaltungen angeboten werden. Abgesehen von der Beratung in den zuständigen Behörden gibt es in einigen Bundesländern auch Einbürgerungslotsenprojekte auf ehrenamtlicher Basis. Dabei begleiten Personen – die sich zum Teil selbst haben einbürgern lassen – Einbürgerungsinteressierte durch den Prozess. Der
SVR spricht sich dafür aus, entsprechende Angebote auch in anderen Ländern einzurichten und dabei möglichst auch lokal aktive Migrantenorganisationen einzubinden.
Lotsenprojekte sind aber nur ein Baustein, um der strukturellen Überlastung in den Einbürgerungsbehörden entgegenzuwirken. Andere Maßnahmen sind ebenso wichtig. So müssen die Behörden mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet sein: Sie benötigen mehr Personal, das auch entsprechend fortgebildet ist. Hier sind die Länder gefordert, die Kommunen zu unterstützen. Angesichts des Fachkräftemangels gilt auch hier: Die Stellen müssen attraktiver werden, etwa durch bessere Entlohnung und ein konstantes Schulungsangebot zur Auslegungs- und Entscheidungspraxis. Ergänzend können Ressourcen frei werden, indem die Ausländerbehörden – die häufig auch für Einbürgerung zuständig sind – von anderen Tätigkeiten entlastet werden. Ein Beispiel wäre die Erteilung von Aufenthaltstiteln zur Erwerbsmigration: Hier plädiert der SVR für eine Verlagerung auf Bundesebene, konkret auf das BfAA (s. Kernbotschaft 7).
Um Unsicherheiten bezüglich der Auslegung der gesetzlichen Regelungen zu verringern und eine möglichst einheitliche Umsetzung zu gewährleisten, sollten Bund und Länder den Einbürgerungsbehörden Vorgaben zur Anwendung machen. Diese sollten im Sinne der Transparenz grundsätzlich veröffentlicht werden. Anhand der Erfahrungen mit der praktischen Umsetzung sollte überprüft werden, ob die Vorgaben angepasst werden müssen. Darüber hinaus schlägt der SVR vor, eine stärkere Zentralisierung von Einbürgerungen innerhalb der Länder zu prüfen, um die Verfahren effizienter zu gestalten. Dabei sollte sichergestellt sein, dass eine Einbürgerung für Interessierte niedrigschwellig zugänglich ist. Auch die dringend nötige Digitalisierung sollte vorangebracht werden. Der SVR befürwortet, dass die Behörden
bestehende Ansätze der digitalen Antragstellung und -bearbeitung übernehmen, die andere Behörden schon erprobt haben – anstatt jeweils eigene Softwarelösungen zu entwickeln.
Für weitere Informationen und Handlungsempfehlungen s. Kap. B.3.