Kriminell, weil Ausländer? Ein Vorurteil wird zerlegt

20.08.2025 Das Handelsblatt brachte am 15.08.2025 einen Beitrag mit dieser Überschrift, den wir zitieren:

Ein Zusammenhang von Gewalttätigkeit und Migration wird oft unterstellt, ist wissenschaftlich aber nicht nachzuweisen. Warum Forscher trotzdem streiten.

Wenige Fragen sind in Deutschland und anderen europäischen Ländern so umstritten wie das Verhältnis von Zuwanderung und Kriminalität. Die einen sehen kulturelle Prägungen von Ausländern als Ursache übermäßiger Kriminalität. Die anderen halten das für Unsinn. „Migration nach Deutschland führt nicht zu einer höheren Kriminalitätsrate an den Zuzugsorten“, urteilt das Ifo-Institut.

 

Laut Lagebild des Bundeskriminalamts (BKA) vom Juli 2025 gab es bei 10,8 Prozent aller aufgeklärten Straftaten mindestens einen tatverdächtigen Zuwanderer. Deren Anteil an der Gesamtbevölkerung erreicht allerdings nur 3,4 Prozent. Bei Gewaltdelikten sind laut BKA 4,1-mal so viele Nichtdeutsche tatverdächtig wie Deutsche.

Migranten sind überrepräsentiert, aber sind sie es wegen ihrer Ethnie? Darum dreht sich der Streit. Das BKA sagt klipp und klar: „Die Herkunft kann die höhere Kriminalitätsbelastung bestimmter nichtdeutscher Gruppen nicht erklären.“

An der „richtigen“ Auswertung der Statistik scheiden sich die Geister. Von Häufung kann man nicht auf Kausalität schließen. Beispiel: 0,5 bis 1 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung missbrauchen Minderjährige sexuell. Unter katholischen Priestern waren es dagegen laut einer Studie der Bischofskonferenz 4,4 Prozent. Weil sie katholisch oder Priester sind, begehen bestimmte Deutsche viermal so häufig sexuellen Missbrauch? Der Schluss wäre absurd.

Wohnort und sozialer Status spielen eine Rolle

Ähnlich ist es bei anderen Formen der Kriminalität. Niemand wird kriminell, weil er Syrer oder Algerier ist. „Studien zeigen, dass das Vorhandensein gewaltlegitimierender Männlichkeitsnormen ein wesentlicher Erklärungsfaktor für die Begehung von Gewaltdelikten ist“, erläutert das BKA.

Dieser Einfluss bestehe aber unabhängig von der Herkunft. Einige Studien legten allerdings nahe, dass diese Normen in einzelnen migrantischen Bevölkerungsgruppen überdurchschnittlich häufig anzutreffen sind. Jedoch müssten „viele weitere Faktoren berücksichtigt werden“.

„Junge Nordafrikaner, die in den vergangenen 15 Jahren neu nach Europa gekommen sind, stellen keine repräsentative Gruppe aus diesen Ländern dar“, sagt der Kriminologe Christian Walburg von der Uni Münster. Zugewandert seien jene, „die wenig zu verlieren hatten und aus ungünstigen Verhältnissen kamen“.

 

Ein weiterer Faktor ist das Geschlecht: Junge Männer werden wesentlich häufiger gewalttätig als Frauen. Auch die soziale Lage in der neuen Heimat spielt eine Rolle. Eine weitere Ursache ist der Wohnort, darauf verweist das Ifo-Institut: „Migranten ziehen häufiger in Ballungsräume.“ Da sei das Risiko, kriminell zu werden, höher – auch für Einheimische.

Das BKA nennt auch noch psychische Belastungen und eigene Gewalterfahrungen durch die Herkunft aus Kriegs- und Krisenregionen oder während der Flucht. Beides erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass Gewalttaten begangen werden.

Der deutsch-schweizerische Psychiater Frank Urbaniok dagegen meint, dass die kulturellen Prägungen und religiösen Vorurteile in bestimmten muslimischen Herkunftsländern wie Syrien, Algerien und Tunesien ausschlaggebend seien für höhere Kriminalitätsraten. Seine Folgerung: „Bei der Steuerung von Migration muss es eine Rolle spielen, ob jemand aus einem kriminell hoch belasteten Land kommt. Das muss zum Beispiel Einfluss auf die Prüfung von Asylanträgen haben.“

Kriminologe Walburg hält dagegen: „Die höheren Kriminalitätsanteile auf die Kultur der Herkunftsgesellschaften zu reduzieren, ist verfehlt.“ Wie er versucht auch Migrationsforscher Ruud Koopmans von der Humboldt Universität Berlin, den Einfluss von Gesetzen und Kultur genau zu bestimmen: „Sozialer Status, Geschlecht und Alter erklären einen Teil der Überrepräsentation migrantischer Täter.“

Einen gewissen Einfluss schreibt er auch den Sitten und Gesetzen des Herkunftslandes zu. „Aber das hängt von der Art der Straftat ab: Teils, etwa bei Vermögensdelikten wie Diebstahl, ist dieser Faktor sehr gering, teils, etwa bei schweren Sexualdelikten, kann er die Hälfte oder mehr zur Erklärung betragen.“

Koopmans hält allerdings nichts davon, Ethnien und Kulturen feste Attribute wie Frauenfeindlichkeit zuzuweisen: „Kultur und gerade auch islamische Kultur ist keine Konstante.“ In Malaysia und Indonesien gebe es viel weniger Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, die Erwerbsbeteiligung der Frauen sei sehr viel höher als in arabischen Ländern.

Der Soziologe betont politische Ziele: „Seit den 70er-Jahren hat ein äußerst konservativer Islam von Saudi-Arabien und den Golfstaaten ausgehend Länder wie Algerien erreicht“ und durch Geldströme und den Bau von Moscheen „die dortige Kultur verändert“.

Wer aus einem muslimischen Land kommt, in dem Homophobie quasi Staatsreligion ist, mag eher zur Homophobie neigen. In Deutschland leben aber auch viele homosexuelle Syrer und Syrerinnen – zu ihrem Glück.

Die höchsten Mordraten gibt es übrigens in den christlichen Staaten Südamerikas. Auch das zeigt: Es gibt keinen ethnischen Determinismus. Oder, wie das BKA sagt: „Kriminalität ist in der Regel nicht allein auf einen Faktor wie ‚kulturelle Prägung‘ zurückzuführen, sondern stellt ein multikausales Geschehen dar.“

Das Thema Migration und Kriminalität verlangt nach Differenzierung. Doch das bedeutet nicht, unsere Gesetze zu relativieren: Frauen sind gleichberechtigt, Konflikte werden gewaltfrei ausgetragen, queere Menschen nicht diskriminiert.

Diese Regeln gelten für alle, für rechtsradikale Deutsche wie für fundamentalistische Migranten. Je früher und entschiedener wir das klarmachen, desto sicherer wird das Land.