Künftig ohne Bundesrat mit störenden Mehrheitsverhältnissen? Gesetzentwurf für Einstufung sicherer Herkunftsstaaten durch Regierungsverordnung

02.06.2025 Ein weiterer Coup der neuen Bundesregierung wird vorbereitet: Ein Gesetzentwurf, der schnellere Abschiebungen bewirken soll. "Sichere Herkunftsstaaten" sollen demnach künftig per Rechtsverordnung benannt werden. 

Grundlage seien EU-Regeln und nicht mehr das Grundgesetz, wodurch der Bundesrat nicht mehr zustimmen müsste. MDR

Ziel ist, den Rechtsakt, durch den die Liste der sicheren Herkunftsländer erweitert wird, der Zustimmung des Bundesrats zu entziehen, weil Landesregierungen unter grüner Beteiligung das Vorhaben sonst blockieren können. LTO 

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnt Asylanträge von Menschen aus als sicher eingestuften Herkunftsstaaten ... in der Regel als offensichtlich unbegründet ab. LTO

Mit der Umgehung des Art. 16a GG wäre die Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten per Rechtsverordnung denkbar. Genau das hat die Koalition offenbar vor. Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) bezeichnete die geplanten Verordnungen gegenüber dem Tagesspiegel als “wichtigen Baustein”, um "Migration zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen". LTO

Wir zitieren die Berichte vom MDR und eine erste juristische Bewertung von LTO (Legal Tribune Online) wenige Stunden später:

Die Bundesregierung will die Herkunftsländer selbst festlegen, aus denen Asylbewerber kommen müssen, damit schnellere Prüfverfahren gelten – und hat dabei etwa Algerien, Marokko und Tunesien im Blick. Grundlage sollen EU-Regeln sein und nicht mehr das Grundgesetz, wodurch der Bundesrat nicht mehr zustimmen müsste. Ziel sind schnellere Abschiebungen.

Die Bundesregierung will künftig selbst die Prüfverfahren für Asylbewerber festlegen. Wie der "Tagesspiegel" berichtet, soll dazu am Mittwoch ein Gesetzentwurf verabschiedet werden. Damit könnte die Regierung künftig selbst festlegen, aus welchen Ländern Asylbewerber kommen müssen, damit für sie ein schnelleres Prüfverfahren gilt. Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) sagte dem Tagesspiegel, die Menschen hätten Anspruch darauf, dass die Regierung bei der Migrationspolitik zügig handle.

Ausweitung der sicheren Herkunftsländer

In den vergangenen Jahren war die Ausweitung der Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten mehrfach im Bundesrat gescheitert. Frei sagte der Zeitung, die Bundesregierung arbeite nun "mit Hochdruck an einem neuen Verfahren, um die Einstufung weiterer sogenannter sicherer Herkunftsländer zu erleichtern". Bereits im Koalitionsvertrag von Union und SPD war davon die Rede, dies "durch Rechtsverordnung der Bundesregierung ermöglichen" zu wollen, unter anderem für die Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien.

Dem Bericht zufolge will die Bundesregierung nun erreichen, dass sich das Verfahren nur noch auf EU-Regeln bezieht und nicht mehr auf das Grundgesetz. Damit bräuchte es keine Zustimmung des Bundesrats mehr, um Herkunftsländer als sicher einzustufen.

"Um in Zukunft die Migration zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen, können diese Verordnungen ein wichtiger Baustein sein", sagte Frei dem "Tagesspiegel". Er erhofft sich auch, bereits in Deutschland befindliche Menschen aus diesen Ländern leichter abschieben zu können. "Rückführungen für Menschen ohne Bleibeperspektive müssen schneller stattfinden", sagte er.

Kritik von den Grünen

Die Grünen, gegen deren Mitwirkung die Regierungspläne zielen, kritisierten diese entsprechend scharf. Diese Maßnahme sei "für die Bewältigung realer Herausforderungen weitgehend wirkungslos, soll aber Härte und Konsequenz signalisieren", sagte Grünen-Chef Felix Banaszak dem "Tagesspiegel".

Er nannte das Vorhaben ein "Schauspiel zur Befriedung der Unionswähler", welches "recht leicht durchschaubar" sei. Kritik äußerte er auch an den Sozialdemokraten: Er frage sich "langsam, ob die SPD eigentlich Teil der Koalition ist".

 

Die Union will die Liste sicherer Herkunftsländer erweitern. Um das Nein der Grünen im Bundesrat zu umgehen, hat sie sich zusammen mit ihrem Koalitionspartner etwas überlegt.

Abgelehnte Asylbewerber aus Staaten, die als sicher gelten, können schneller abgeschoben werden. Zuletzt scheiterte die Erweiterung der Liste sicherer Staaten oft an den Grünen im Bundesrat. Schwarz-Rot hat nun einen anderen Weg gefunden. 

Die Bundesregierung bereitet einen Gesetzentwurf vor, der die Einstufung von Staaten als sogenannte sichere Herkunftsländer vereinfachen soll. Wie der Tagesspiegel berichtet, wird eine Verabschiedung im Kabinett an diesem Mittwoch angestrebt. Konkret geht es darum, dass die Bundesregierung Herkunftsländer von Asylbewerbern künftig per Rechtsverordnung entsprechend einstufen können soll. Ziel ist, den Rechtsakt, durch den die Liste der sicheren Herkunftsländer erweitert wird, der Zustimmung des Bundesrats zu entziehen, weil Landesregierungen unter grüner Beteiligung das Vorhaben sonst blockieren können. 

Die Einstufung eines Herkunftsstaates als sicher hat erhebliche Auswirkungen auf die Erfolgschancen eines Asylantrags. Ist die antragstellende Person Angehörige eines als sicher eingestuften Herkunftsstaats, gilt die Regelvermutung, dass die Person dort keine Verfolgung befürchten muss. Dies ist nach § 3 Asylgesetz (AsylG) jedoch Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnt Asylanträge von Menschen aus als sicher eingestuften Herkunftsstaaten daher in der Regel als offensichtlich unbegründet ab. 

Das schließt die Anerkennung eines Schutzstatus im Einzelfall zwar nicht aus, die antragstellende Person muss aber belegen, dass ihr "abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht", § 29a AsylG. Zudem können abgelehnte Antragsteller aus sicheren Staaten leichter und schneller abgeschoben werden: Die Regelausreisefrist ist ebenso auf eine Woche verkürzt wie die Frist zur Erhebung einer Klage (§ 36 Abs. 1, 3 AsylG). Zudem ist die Abschiebung regelmäßig sofort vollziehbar, sodass es auf den Eilrechtsschutz ankommt. 

Erweiterung der Liste scheiterte zuletzt an den Grünen

Nicht zu verwechseln ist die Kategorie sicherer Herkunftsstaat mit der des sicheren Drittstaates, welche den Einreiseweg betrifft.

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heißt es, zuerst sollten Algerien, Indien, Marokko und Tunesien in einer ersten Runde als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. Dann sollen Länder folgen, deren "Anerkennungsquote seit mindestens fünf Jahren unter fünf Prozent liegt".

Entsprechende Initiativen waren in den vergangenen Jahren im Bundesrat am Widerstand von Ländern mit Regierungsbeteiligung der Grünen und der Linken gescheitert. Konkret scheiterte etwa 2019 eine vom Bundestag beschlossene Einstufung der drei Maghrebstaaten Tunesien, Algerien und Marokko am Nein der Grünen im Bundesrat. In den vergangenen Jahren gelang es nur im Fall von Moldau und Georgien, die Liste zu erweitern. Auf dieser stehen aktuell außerdem die Mitgliedstaaten der EU sowie Albanien, Bosnien-Herzegowina, Ghana, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien.

Bundesrat und Grundgesetz umgehen

Die Zustimmungspflicht des Bundesrats will die schwarz-rote Bundesregierung künftig umgehen. Laut Tagesspiegel plant das Kabinett, die Kategorisierung sicherer Herkunftsstaaten künftig allein auf EU-Recht zu stützen statt, wie bisher, auch auf das Grundgesetz (GG). Dessen Art. 16a Abs. 3 GG schreibt dafür nämlich ein "Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf", vor. Allerdings regelt Art. 16a GG das Grundrecht politisch Verfolgter auf Asyl. In der Praxis ist die große Mehrheit der positiven Asylantragsentscheidungen nicht auf Art. 16a GG, sondern auf die EU-Asylverfahrensrichtlinie gestützt, die das AsylG umsetzt. 

Mit der Umgehung des Art. 16a GG wäre die Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten per Rechtsverordnung denkbar. Genau das hat die Koalition offenbar vor. Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) bezeichnete die geplanten Verordnungen gegenüber dem Tagesspiegel als “wichtigen Baustein”, um "Migration zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen".

mk/dpa/LTO-Redaktion