Mehr Flüchtende aus Afghanistan und Syrien kommen in Deutschland an

28.09.2022 Alarm wurde von den Innenministern Sachsens und Bayerns geschlagen. Und auch Bundesinnenministerin Faeser äußert Besorgnis darüber, dass in den letzten Wochen neben den Ukraine-Flüchtlingen vermehrt Flüchtende vor allem aus Syrien und Afghanistan in Deutschland angekommen sind. In den meisten Fällen kamen sie über Serbien und Österreich oder Tschechien nach Deutschland. "Wir steuern auf eine Lage zu, wie wir sie 2016/17 schon einmal hatten", äußerte sich der sächsische Innenminister Schuster gegenüber der FAZ über den "Zustrom".

Das Thema wurde bisher vor allem in konservativen und rechten Medien angesprochen. Es könnte aber - so fürchte ich - vor dem Hintergrund dramatisch fehlenden Wohnraums und steigender Preise nicht nur für Energie schon bald auch auf die Straße gelangen, mit fremdenfeindlichen Untertönen und zunehmender Aggression.

In diese Richtung preschte gerade auch CDU-Vorsitzender Merz vor, als er den Ukraine-Geflüchteten pauschal "Sozialtorismus" vorwarf. Kein Ausrutscher, wie der Tagesthemenkommentator einschätzt  "Flüchtlinge aus der Ukraine als "Sozialtouristen"? Nicht zum ersten Mal rutscht der CDU-Vorsitzende Merz in den Populismus ab. Das ist kein Versehen." (ganzer Text in Tagesthemen 27.09.2022  Meinung "Friedrich Merz weiß, was er sagt")

Gerade angesichts der Wahlergebnisse in Schweden und Italien sollten wir noch wachsamer sein und all solche populistischen oder sogar faschistischen Sprüche entschieden zurückweisen.

Sehen wir außer auf die Zahl auch auf die Fluchtursachen, so ist die erneute Fluchtbewegung äußerst verständlich. Genau wie bei den Ukraine-Geflüchteten handelt es sich nicht um Tourismus. Flüchtende brauchen Solidarität und Unterstützung und sichere Aufnahme, auch und gerade in unserem Land. -sr-

 

Update: Soeben nahm auch die Tagesschau das Thema auf: Mehr Migration auf der Balkanroute Erst nach Serbien und dann in die EU

Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland ist im ersten Halbjahr 2022 deutlich gestiegen - die meisten Menschen kamen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak über die sogenannte Balkanroute. Woran liegt das?

Von Srdjan Govedarica und Borhan Akid, WDR

Schwerte schlägt Alarm. Immer mehr Flüchtende kommen in der Ruhrgebietsstadt an, Unterkünfte gibt es aber keine mehr, weder städtische noch private. Nun sollen die Menschen im Rathaus untergebracht werden, im Bürgersaal, wo sonst Seminare und Tagungen stattfinden.

Auch Bochum gehen die Unterkünfte aus. Dort sind in den vergangenen Wochen ungewöhnlich viele unbegleitete Minderjährige angekommen, vor allem aus Syrien und Afghanistan. Sie werden nun in Turnhallen untergebracht. Ähnliche Notlagen werden auch aus Kommunen in Sachsen und Bayern gemeldet...

Visafrei von Serbien bis nach Luxemburg

Viele der Menschen kommen über die sogenannte "Balkanroute", und aktuell steigt die Zahl der Migranten, die versuchen, auf diesem Weg in die EU zu gelangen. Das hat mehrere Ursachen: Zum einen macht sich wie jedes Jahr im Spätsommer ein gewisser Anstieg der Migration bemerkbar. Die Menschen ziehen los, bevor das kalte Winterwetter den Weg zu Fuß oder über das ohnehin gefährliche Mittelmeer schwer bis unmöglich macht.

In diesem Jahr kommt ein weiteres Phänomen dazu. Beispiel Österreich: Dort werden zur Zeit auffällig viele Asylanträge von Menschen aus Indien und Tunesien registriert. Indien ist seit Juli 2022 sogar die antragsstärkste Nation. Das ist unter anderem damit zu erklären, dass Staatsbürger dieser Länder ohne Visum nach Serbien einreisen dürfen. Viele schlagen sich von dort dann weiter durch in den Westen - sogar bis nach Luxemburg.

Dort kämen gerade auffällig viele Menschen ohne Pässe an, berichtet Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, der auch für Migration verantwortlich ist. Es sei nicht nur Serbien, so Asselborn - auch Albanien und Bosnien und Herzegowina seien für Menschen aus Drittstaaten visafrei zu erreichen, etwa für Migranten aus der Türkei. Es könne nicht sein, dass diese Länder - allesamt EU-Aspiranten - mit ihren Visaregimen die gemeinsame Linie der EU  verlassen, so Asselborn gegenüber dem WDR.

Reaktion auf Arbeitskräftemangel in Europa

Die Wiener Migrationsforscherin Judith Kohlenberger spricht von einer "gemischten Migration", die dieses Jahr eine größere Rolle spiele. Das heißt, unter den Ankommenden seien viele Menschen, die auf den steigenden Arbeitskräftemangel in Westeuropa reagieren, analysiert Kohlenberger.

Da es keine legalen Einreisemöglichkeiten für diese Menschen gebe, würden sie Asyl beantragen, um nicht sofort abgeschoben zu werden, wenn sie bei Grenzkontrollen aufgegriffen werden:

Nicht zuletzt spielen in diese Gemengelage auch die ökonomischen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hinein, wodurch die wirtschaftliche Not in Ländern des Globalen Südens steigt. Flucht- und Migrationsgründe, also freiwillige und unfreiwillige Ausreise, gehen da oft ineinander über.

Türkei - Serbien für 2500 Euro

Derweil sind Schlepper entlang der Balkanroute wieder aktiver. Nach Recherchen des ARD-Studios Wien gehen sie gewohnt rücksichtslos vor. Mit den Schleppern Kontakt aufzunehmen, ist nicht besonders schwer. In einer Telegramgruppe, deren Name nach einem Reisebüro klingt, gibt ein vermeintlicher Menschenschmuggler bereitwillig Auskunft über Routen und Tarife. Die Fahrt Türkei-Serbien koste 2500 Euro, inklusive Übernachtung in der bulgarischen Hauptstadt Sofia, schreibt der Mann.

Die Reise dauere drei bis fünf Tage, etwa 20 bis 30 Kilometer müsse man zu Fuß gehen, die restliche Zeit werde man gefahren. Eine Erfolgsgarantie könne er nicht abgeben, schreibt er: "Das ist Schmuggel! Wir hoffen, dass Gott es einfach für uns macht."

Politik des Durchwinkens?

Doch wie kommen die Geflüchteten aus den Ländern Südosteuropas weiter in den Westen? Migrationsforscherin Kohlenberger möchte nicht von einer Politik des "Durchwinkens" wie im Jahr 2015 sprechen. Es sei aber ein "offenes Geheimnis", dass die Grenzen nach Osten stärker bewacht würden, als jene nach Westen, über die Geflüchtete das eigene Staatsgebiet wieder verlassen.

Mehr Grenzpersonal führe zu mehr Aufgriffen von Migranten und das schlage sich auch in den Asylzahlen nieder. Denn nur, so Kohlenberger, wenn die Aufgegriffenen einen Asylantrag stellten, könnten sie eine sofortige Abschiebung verhindern. "Viele von ihnen warten aber den Ausgang des Asylverfahrens nicht ab, sondern wandern nach wenigen Tagen weiter. Davon abhalten tut sie natürlich niemand."

So gilt zum Beispiel in Österreich seit Anfang August ein Erlass des Innenministeriums, der eigentlich die Behörden im Osten des Landes entlasten soll. Erstaufnahmegespräche mit Geflüchteten können demnach nicht nur an der ungarischen Grenze, sondern auch in anderen Bundesländern geführt werden. Dafür bekommen einige der Flüchtenden ein Zugticket.

Nebeneffekt: Wer ohnehin nicht in Österreich bleiben will, kann dann weiter in andere Länder. Und wer auf das Erstaufnahmegespräch und damit auch auf ein Asylverfahren in Österreich verzichtet, hat bessere Chancen, woanders anerkannt zu werden. Denn das "Dublin-Verfahren" sieht vor, dass Asylanträge nur von dem ersten EU-Staat geprüft werden sollen, wo der Geflüchtete registriert worden ist.

 

n-tv berichtete am 20.09.2022  Drehscheibe Serbien? Flüchtlingsansturm über Balkan besorgt Faeser

Im Schatten des Ukraine-Kriegs erreichen Deutschland immer mehr Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan über die Balkan-Route. Sachsen und Bayern schlagen bereits Alarm. Innenministerin Faeser stellt fest, dass die serbische Hauptstadt Belgrad dabei eine Rolle spiele.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist besorgt angesichts der deutlich steigenden Zahl der Flüchtlinge, die über den Balkan nach Deutschland kommen. Offenbar reisten viele der Migranten über die serbische Hauptstadt Belgrad ein, auch über den dortigen Flughafen, und machten sich dann auf den Weg nach Deutschland, sagte Faeser dem TV-Sender Welt. Die SPD-Politikerin kündigte Gespräche mit Serbien darüber an, "warum die Migration auf einmal so zugenommen hat".

"Wir sehen verstärkte Migration über Tschechien, über Österreich - auch nach Deutschland", sagte die Ministerin. "Ich habe mit meinen beiden Kolleginnen und Kollegen darüber schon gesprochen, was wir gemeinsam auch tun können."

Faeser zeigte Verständnis für die Appelle von Sachsens Innenminister Armin Schuster, der von stark steigenden Flüchtlingszahlen gesprochen hatte. "Das ist richtig, was Sachsen beobachtet", sagte Faeser. "Wir beobachten das jetzt auch schon seit zwei Wochen und sind schon am Handeln, um dort die Bewegung auch umzulenken." Bei der Unterbringung helfe der Bund mit bundeseigenen Immobilien, sagte die Innenministerin. "Wir haben bislang noch ausreichend Kapazitäten, aber es ist sehr knapp." Deswegen habe sie auch die kommunalen Spitzenverbände in ihr Ministerium eingeladen, um über das weitere Vorgehen zu sprechen.

Zusätzlich zu Ukrainern: 200.000 Flüchtlinge in diesem Jahr?

Der sächsische Innenminister Schuster hatte Mitte September von einem enormen Zustrom über die Balkan-Route gesprochen. Schon im Juni sei die Zahl der Flüchtlinge vor allem aus Syrien allein in Sachsen auf 1000, im Juli auf 1500 und im August auf 2000 Menschen im Monat gestiegen. Seit September seien es nun täglich bereits rund 100 illegale Einreisen, vorrangig mit der Bahn. "Wir sind enorm unter Druck", sagte Schuster am vergangenen Donnerstag laut einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", zumal die Flüchtlingszahlen Prognosen zufolge weiter stiegen. "Wir steuern auf eine Lage zu, wie wir sie 2016/17 schon einmal hatten." Es könne sein, dass in diesem Jahr bundesweit bis zu 200.000 Flüchtlinge ankämen - zusätzlich zu den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine.

Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann schlug laut dem Bericht Alarm. Die Zahl der Flüchtlinge, die überwiegend in Süd- und Ostbayern über die Straße und vermehrt auch über die Schiene ankommen, habe sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verfünffacht. In den Monaten Mai, Juni und Juli seien im Monat im Schnitt 5600 Personen nach Bayern gekommen. Das habe auch mit dem Krieg in der Ukraine zu tun, aber eben auch mit den Flüchtlingsbewegungen aus Syrien oder Afghanistan, sagte der CSU-Politiker.