Präsentation des dritten Reports Globale Flucht: „Die deutsche Flüchtlingspolitik wird den globalen Herausforderungen nicht gerecht“

20.05.2025 Die Vorstellung der dritten Ausgabe des Reports Globale Flucht nutzten die Autor*innen, Fachleute auf dem Gebiet Migrationsforschung, zu deutlichen Worten der Kritik und Appellen an die neue Bundesregierung. Diese wurden auch in die Berichterstattung aufgenommen.

Wir zitieren unten die Deutsche Welle Flucht und Migration: Heftige Kritik an Deutschland und die FR  Migrationsproblem verschärft sich und Regierung „steht Lösungen im Weg“ .

Report Globale Flucht 2025 Die forschungsbasierte Perspektive auf das Thema Flucht  (Verlagshinweis FFischerVerlag)

Flucht ist eine globale Herausforderung, über die oft nur verkürzt berichtet wird. Der »Report Globale Flucht« bietet ein Gegengewicht: Über 30 Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen schreiben hier über Hintergründe, Entwicklungen und Diskurse rund um das Thema Flucht. Der Band stellt damit forschungsbasiertes Wissen bereit und beleuchtet ein Thema, das oft nur punktuell, einseitig und populistisch beleuchtet wird.

Schwerpunkt des diesjährigen Reports ist das Thema Lager. In diesem Band schreiben unter anderem Albert Scherr über Flüchtlingslager und -politik in Jordanien, Vera Rogova über die armenischen Geflüchteten aus Bergkarabach und Jochen Oltmer über den Umgang mit Flüchtlingen in der Weimarer Republik.

Der »Report Globale Flucht« erscheint im Auftrag des Projekts »Flucht- und Flüchtlingsforschung: Vernetzung und Transfer« (FFVT) und wird herausgegeben von Jochen Oltmer, Marcel Berlinghoff, Franck Düvell, Benjamin Etzold, Christine Lang und Andreas Pott.

 

Der globale Flucht-Report ist ein Appell an die neue Bundesregierung, auf nationale Alleingänge zu verzichten. Stattdessen solle Deutschland in Europa eine Vorreiterrolle spielen.

"Die deutsche Flüchtlingspolitik wird den globalen Herausforderungen nicht gerecht", sagt Benjamin Etzold ohne Umschweife. Anlass ist die Präsentation des dritten Reports Globale Flucht in Berlin. Der Wissenschaftler vom Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC) erinnert an den Bundestagswahlkampf. Der war wesentlich geprägt vom Thema Flucht und Migration.

Die Debatten seien zumeist auf Deutschland konzentriert und "aufgeheizt" gewesen, sagt der Fluchtforscher. Aus seiner Sicht geht das unter der neuen Bundesregierung so weiter. An Fakten und wissenschaftlichen Ergebnissen orientiere sich das aber nicht, bemängelt Etzold. Die globale Dimension von Flucht und Vertreibung werde weitgehend ignoriert.

Grenzkontrollen als Instrument der Abschreckung?

Deutlich kritisiert der Migrationsexperte auch die verschärften Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Flüchtlingen: Sie dienten der Abschreckung und ihre Wirksamkeit werde überschätzt, sagt Etzold. Sein Kollege Franck Düvell von der Universität Osnabrück sieht das genauso: "Wenn jemand zurückgewiesen wird, versucht er es nochmal und nochmal und nochmal – bis man dann im Lande ist."

Das gelte für Binnengrenzen der Europäischen Union (EU) genauso wie für die Außengrenzen. "Wenn eine Route geschlossen wird, dann gibt es daneben eine andere Route. Die ist mitunter gefährlicher, die wird dann aber stärker frequentiert", erläutert Düvell den von ihm und anderen Fachleuten schon oft analysierten Effekt. Der wiederum rufe Kriminelle auf den Plan: Menschenschmuggler.

Wie Schleuserbanden mit Menschen Geld verdienen

Damit spielt der Fluchtforscher auf die irreguläre, mitunter illegale und oft lebensgefährliche Migration an: "Das können falsche Papiere sein, das können Verstecke in Lastkraftwagen sein, das können diese seeuntüchtigen Boote sein", skizziert Düvell die seit vielen Jahren zu beobachtenden Methoden von Schleuserbanden überall auf der Welt. "Das ist der unerwünschte Nebeneffekt, den wir immer wieder bei solchen Maßnahmen sehen."

Vor diesem Hintergrund appellieren die Flucht- und Migrationsfachleute an die neue deutsche Regierung und die internationale Gemeinschaft, wieder an einem Strang zu ziehen: "Es ist dringend erforderlich, dass die multilaterale Flüchtlingspolitik wiederbelebt wird, auch ohne die Teilnahme der USA", sagt Benjamin Etzold vom Bonn International Centre for Conflict Studies. Den Namen von US-Präsident Donald Trump, der auf Abschottung setzt, lässt er unerwähnt. "Deutschland kann und sollte hier eine europäische und globale Vorreiterposition übernehmen, anstatt nationale Alleingänge zu verfolgen."

Die Lebensperspektiven vor Ort verbessern

Immer mehr Schutzsuchende setze man dauerhaft in Lagern fest, versorge und und verwalte sie dort, kritisiert der Experte mit deutlichen Worten. Aufgrund von Perspektivlosigkeit in den Lagern zögen immer mehr Flüchtlinge weiter, viele davon nach Deutschland. Um das zu ändern, hält Etzold lediglich einen Weg für gangbar: "Letztendlich können nur rechtliche Sicherheit und verbesserte Lebensperspektiven vor Ort den Druck zu weiterer Migration verringern und einer irregulären Migration nach Deutschland vorbeugen."

Die Ankündigung der neuen Bundesregierung, legale Zugangswege nach Deutschland über humanitäre Aufnahmeprogramme oder den Familiennachzug weitgehend beenden zu wollen, hält Etzold für kontraproduktiv. Das könne sogar irregulärer Migration Vorschub leisten, die man doch bekämpfen wolle, meint er.

"Dann öffnet man der Willkür Tür und Tor"

Seine Kollegin Petra Bendel von der Universität Erlangen-Nürnberg befürchtet sogar, dass Deutschland mit den Grenzzurückweisungen Rechtsbruch begehen könnte. Sie verweist auf das in der Verfassung, dem Grundgesetz, verbriefte individuelle Asylrecht und auf das Europarecht. "Wenn man der Politik den Vorrang vor diesem Recht gibt, dann öffnet man der Willkür Tür und Tor."    

 

Im Migrationsreport wird die Asyl- und Migrationslage analysiert. Fachleute werfen der Bundesregierung und Merz vor, Fakten nicht zu beachten.

Berlin – Friedrich Merz will die deutsche Asyl- und Migrationspolitik grundlegend verändern – das kündigte der neue Bundeskanzler im Wahlkampf bei nahezu jeder Gelegenheit an. Schärfere Grenzkontrollen, schnellere Abschiebungen, insgesamt weniger Migration in die Bundesrepublik – und das ab Tag eins, wie die Union mehrfach klarmachte. Die Ankündigungen stoßen bei vielen Deutschen auf offene Ohren – jedoch gehen sie an einer realistischen Asyl- und Migrationspolitik vorbei. Diesen scharfen Vorwurf formulierten am Montag Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Vorstellung des „Report Globale Flucht 2025“ in Berlin. Statt erfolgversprechende Maßnahmen zu stärken, könnte Schwarz-Rot genau dort das Geld streichen.

Forscher: Deutsche Migrationspolitik wird den Herausforderungen nicht gerecht

„Auf Deutschland konzentrierte Debatten waren und sind häufig aufgeheizt, orientieren sich aber wenig an Fakten und wissenschaftlichen Ergebnissen“, sagte Benjamin Etzold vom Bonn Internationsal Centre for Conflict Studies, bei der Vorstellung des Migrationsreports als Teil der Autorinnen und Autoren des über 300 Seiten langen Berichts. „Die deutsche Flüchtlingspolitik wird den globalen Herausforderungen nicht gerecht“, führte Etzold weiter aus. Dass die wissenschaftliche Arbeit vom Bildungs- und Forschungsministerium gefördert wurde, hielt die Fachleute nicht von Kritik an der Bundesregierung ab.

Der konkrete Vorwurf: Deutschland setzt in der Flüchtlingspolitik zu sehr auf nationale Alleingänge, statt sich nüchtern mit den weltweiten Herausforderungen und daraus resultierender Lösungswege auseinanderzusetzen. Laut Etzold wird die „globale Dimension von Flucht und Vertreibung weitestgehend ignoriert“. „Diese nationale Engführung der Diskussion steht wirklichen Lösungen im Weg.“

Deutsche Politik solle aus ihrem „immer wieder erklärten Krisen- und Notfallmodus heraustreten“, so die klare Forderung. Die Debatte um Flucht und Migration müsse versachlicht und auf die tatsächlichen Herausforderungen konzentriert werden. „Einfache und symbolpolitische Maßnahmen, die auf Deutschland und seine Grenzen beschränkt sind, sind hierzu jedoch nicht geeignet“, so Etzolds klare Kritik.

SPD-Ministerin will Entwicklungszusammenarbeit stärken – während das Geld dafür gekürzt wird

Statt nationaler Alleingänge müsste die internationale Zusammenarbeit wieder mehr in den Fokus gerückt und besonders der Fokus auf die Fluchtursachenbekämpfung gelegt werden. Konkret: Es geht darum, die Lebensumstände der Menschen vor Ort zu verbessern, um Gründe für die Flucht präventiv zu verhindern. Nur so könne Deutschland irregulärer Migration vorbeugen. Auch der langjährige Entwicklungsminister unter Angela Merkel – Gerd Müller (CSU) – forderte vor Kurzem einen größeren Fokus und mehr Mittel für internationale Zusammenarbeit als Ursachenbekämpfung von Fluchtbewegungen.

Das Ziel besserer Zusammenarbeit formulierte auch die neue Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD) bei ihrer Antrittsrede im Deutschen Bundestag vor wenigen Tagen. „Entwicklungszusammenarbeit war noch nie so wichtig wie heute“, so die Ministerin, die klarmachte, dass Deutschland weltweit stabile Gesellschaften und Frieden brauche. „Nur gemeinsam können wir Strukturen verändern, die zu Hunger und Armut und damit zu Konflikten führen. Ihnen vorzubeugen und sie zu bewältigen, das sorgt für weltweite Sicherheit.“ Den Willensbekundungen der Entwicklungsministerin steht der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD gegenüber, der offen Mittelkürzungen der Gelder für Entwicklungsleistungen ankündigt.

Experte: Kanzler Merz sollte auf seine Fachleute hören

Für die Forscher klarer Grund zur Kritik am migrationspolitischen Weg von Schwarz-Rot: „Wir sehen, dass im aktuellen Koalitionsvertrag Evidenz fehlt.“ Auch Ex-Entwicklungsminister Müller machte klar, die angekündigte Mittelkürzung sei ein Fehler: „Dann verliert Deutschland Fähigkeiten, neue Allianzen für kritischen Mineralien oder zur Eindämmung illegale Migration aufzubauen. Jeder Euro, den wir heute in wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung investieren, rentiert sich in Zukunft um ein Vielfaches“, so Müller im Interview.

Die Forscher wollen die Entwicklungsministerin Alabali Radovan nun beim Wort nehmen, die Fluchtursachenbekämpfung als einen der zentralen Punkte in der künftigen Entwicklungszusammenarbeit zu bestimmen. Entsprechend baute Etzold öffentlich Druck wegen der angekündigten Streichung von Geldern auf: „Also gehe ich stark davon aus, dass in diesem Bereich der Fluchtursachenbekämpfung nicht gekürzt wird.“

Er lobte, dass im Entwicklungsministerium und im Auswärtigen Amt genügend Fachleute die Probleme richtig benennen würden. Kanzler Friedrich Merz sei deshalb „letztlich nur anzuraten, auf die sehr kompetenten Stimmen innerhalb seiner Regierung zu hören“, so Etzold.