Rechtsprechung? Bundesverwaltungsgericht empfiehlt Abgeschobenen prekäre Schwarzarbeit in Griechenland

11.07.2025 Der Begriff "Schattenwirtschaft" war mir bisher nicht geläufig. Er meint das System von Schwarzarbeit, z. B. in Griechenland.

Dass in Deutschland das oberste Verwaltungsgericht die Abschiebung nach Griechenland für rechtens hält, weil die Abgeschobenen dort ja Schwarzarbeit leisten können, um ihr Überleben zu sichern, ist kaum vorstellbar, aber wahr:

"... in Griechenlands „Schattenwirtschaft“ nach Beschäftigung zu suchen – das empfahl kürzlich das Bundesverwaltungsgericht ab­geschobenen Flüchtlingen, um über die Runden zu kommen. Der erstaunliche Satz dazu lautet: Ihre „Grundbedürfnisse einschließlich Ernährung können sie durch eigenes Erwerbseinkommen, anfänglich jedenfalls in der sogenannten Schattenwirtschaft, decken“.

Eine Untersuchung der Universität Nottingham sah in Griechenland gar Formen moderner Sklaverei (taz) 

Kein Bett, Brot und Seife?! Es geht um Dublin-Abschiebungen nach Griechenland. Dort gibt es für anerkannte Geflüchtete keine Sicherung eines geringsten Existensminimums, aber das zählt mit dem Hinweis auf die Schattenwirtschaft für „arbeitsfähige, gesunde und alleinstehende junge“ Männer nicht.

05.06.2025  ... Man muss zweimal hinschauen, um es zu glauben: Das höchste deutsche Verwaltungsgericht begründet die Entscheidung, dass in Griechenland und Italien anerkannte Personen grundsätzlich dorthin zurückgeschickt werden dürfen, damit, dass sie sich dort mit illegaler Beschäftigung durchschlagen könnten. (Pro Asyl)

Was das bedeutet, zeigte die taz jetzt mit einem Bericht. Diesen und die Einschätzung von Pro Asyl zu dem Urteil des BVerwG zitieren wir:

 

Flüchtende erwarten in Griechenland prekäre Jobs und Obdachlosigkeit. Aber Deutschland will Abschiebungen dorthin ermöglichen.

Lesbos taz | Vielleicht sucht ja der Wirt der Taverne, der den Touristen in der Straße hinter der Hafenpromenade hervorragenden Oktopus in Rotweinsoße serviert, noch eine Bedienung. Vielleicht braucht der Betreiber des Hotels, von dessen Zimmern aus man über das sichelförmige Hafenbecken Mytilinis, der Inselhauptstadt von Lesbos, bis zu den Bergen auf dem nahen türkischen Festland herüberschauen kann, noch jemanden, der die Betten macht. Oder vielleicht sucht auch ein Bauer auf der Insel noch eine Helferin für die Ernte, schließlich müssen ab Oktober die Oliven von den rund 11 Millionen immergrünen Bäumen auf Lesbos gepflückt werden.

Solche Jobs werden hier oft unter der Hand vergeben – prekär, temporär, schlecht bezahlt. „Schatten­wirtschaft“ heißt das dann. In Griechenlands Hotellerie, der Gastronomie, auf dem Bau oder in der Landwirtschaft ist dies weit verbreitet. Vor allem für Mi­gran­t:in­nen geht dies oft mit Lohnbetrug, Mindestlohnverstößen, extrem langen Arbeitszeiten oder ungeschützter Arbeit in großer Hitze einher.

Doch in Griechenlands „Schattenwirtschaft“ nach Beschäftigung zu suchen – das empfahl kürzlich das Bundesverwaltungsgericht ab­geschobenen Flüchtlingen, um über die Runden zu kommen. Der erstaunliche Satz dazu lautet: Ihre „Grundbedürfnisse einschließlich Ernährung können sie durch eigenes Erwerbseinkommen, anfänglich jedenfalls in der sogenannten Schattenwirtschaft, decken“. Der Satz steht in einer Mitteilung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom 30. April. Das hatte zwei Urteile aus Hessen bestätigt. In den Verfahren ging es um die Frage, ob Deutschland nach rund 15 ­Jahren wieder regulär nach Griechenland abschieben darf.

So lange ist es her, dass Gerichte verboten hatten, Menschen aus Deutschland in den EU-Staat Griechenland zurückzuschicken. „Erniedrigende Haft- und Lebensbedingungen“ drohten dort, ­entschied bereits 2009 unter anderem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

"Laut Verwaltungsgericht Hamburg sind verbotene Tagelöhnertätigkeiten für Abgeschobene „zumutbar“

Griechenland gewährt Asylsuchenden heute zwar minimale Leistungen. Wer aber als Geflüchtete anerkannt wird, der bekommt gar nichts mehr. Das bloße Existenz­minimum – zuletzt unter dem Schlagwort „Bett, Brot, Seife“ in der Diskussion – ist nicht gesichert. Trotzdem sehen deutsche Gerichte es erstmals wieder so, dass es „keine unmenschliche oder erniedrigende Aufnahmesituation“ gebe. „Arbeitsfähige, gesunde und alleinstehende junge“ Männer dürften also abgeschoben werden.

Vier deutsche Innenminister – Wolfgang Schäuble (CDU), Thomas de Maizière (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Nancy Faeser (SPD) – hatten lange auf diesen Sinneswandel hingearbeitet. Mit Geld und guten Worten, aber auch mit Druck auf die griechische Regierung. Die Ampel hatte vor allem seit Anfang 2024 ihre entsprechenden Bemühungen dazu intensiviert. Das zeigen interne Dokumente aus dem Bundesinnenministerium, die die Informationsfreiheits-Plattform FragDenStaat zugänglich gemacht hat. Aus ihnen geht hervor, dass die Ministerialbeamten über den Umweg von Interventionen bei der griechischen Regierung gezielt versuchten, die „Rechtsprechungsänderungen der Obergerichte weiterhin vorantreiben“, wie die Beamten notierten.

Dabei hatten sie offenkundig Erfolg. In Griechenland seien zwar der „Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen“ mit „sehr großen Schwierigkeiten verbunden“ und Sozialleistungen praktisch nicht zu erlangen, befand 2024 der Verwaltungsgerichtshof Kassel. Die „größten Chancen, eine Arbeit zu finden“, gäbe es angesichts der „entspannten wirtschaftlichen Lage“ im „Sektor der Schattenwirtschaft“. Dies verwehre den dort Beschäftigten zwar „den Zugang zur sozialen Sicherheit und setzt sie anhaltender Unsicherheit aus“, so das Gericht.

Trotzdem sei es „nicht unzumutbar“, anerkannte Schutzberechtigte nach einer Abschiebung vorübergehend auf „Arbeit im Bereich der Schattenwirtschaft zu verweisen“. Ende Juni entschied auch das Verwaltungsgericht Hamburg, dass verbotene „Tagelöhnertätigkeiten“ für Abgeschobene in Griechenland „zumutbar“ seien. Dabei beklagte die Europäische Grundrechteagentur FRA schon vor Jahren „schwere Formen der Arbeitsausbeutung“ bei Mi­gran­t:in­nen in Griechen­lands Schattenwirtschaft. Eine Untersuchung der Universität Nottingham sah gar Formen „moderner Sklaverei“, etwa auf griechischen Erdbeer­plantagen.

Die Iranerin Setareh E.* sucht seit Monaten auf Lesbos nach Arbeit. Reihenweise bewarb sie sich bei Restaurants und Hotels auf der Insel – ohne Erfolg. „Keiner hat auf meine Bewerbungen auch nur geantwortet“, sagt sie. „None of Your business“ hat E. auf dem Unterarm tätowiert, die Augen­partie ist geschminkt, die Haare zusammengebunden, so kommt sie zum Gespräch in das Büro einer Hilfsorganisation in der Nähe des Fähranlegers von Mytilini. Wer sie nach ihrer Geschichte fragt, dem erzählt Setareh E. von ihrer Odysee, die damit ­endet, dass sie 2022 von Teheran bis nach Zürich geflohen war und dann wieder nach Griechenland abgeschoben wurde. Seit dem Frühjahr sitzt E. auf der Insel fest.

Am Abend, da wird das Licht weich über der Ägäis, das Blau des Meeres kriegt einen rosa­farbenen Schimmer und der Wind weht sanft aus der Türkei herüber. Seit dem vergangenen Jahr können Tür­k:in­nen für sieben Tage visafrei auf einigen griechischen Inseln Urlaub machen, und so ist jetzt, an einem Abend Anfang Juli, die Innenstadt von Mytilini gut besucht. Neue Restaurants und Hotels haben eröffnet, neue Flug- und Fährverbindungen bringen Touristen auf die Insel. „Aber die Jobs gehen alle an Griechen“, sagt Setareh E. Und so weiß sie nicht, wie sie über­leben würde, wäre sie nicht in einem Haus untergekommen, das eine NGO für queere Geflüchtete an­gemietet hat. „Ich will eine eigene Wohnung, will für mich selber kochen können, meine Ruhe haben, Besuch empfangen“, sagt E. Doch wie es aussieht, liegen diese Dinge für sie noch in weiter Ferne.

2022 ging E. in Teheran auf die Straße, es war die Zeit der Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini. Die junge Frau war wegen „unislamischer Kleidung“ von der Sittenpolizei festgenommen worden. „Sie haben sie ermordet“, sagt E. über das Schicksal Aminis, der sie sich verbunden fühlt. E. ist ausgebildete Fitnesstrainerin, das war ihr Beruf im Iran. „Ich ging in meinem Sportoutfit auch auf die Straße“, sagt sie, sie trug das Kopftuch mit Absicht, so locker es eben ging. So geriet auch E. mit den Sittenwächtern aneinander.

Je länger die weltweit beachteten Proteste der iranischen Frauen im Herbst 2022 dauerten, desto brutaler wurde die Polizei. Mindestens 100 Menschen wurden bei den Protesten getötet, weit mehr verhaftet. E.s Angst wurde zu groß, sagt sie. Sie floh aus dem Iran, über die Türkei versuchte sie nach Griechenland zu gelangen. Drei Mal schob die ­Polizei sie Anfang 2023 über die Landgrenze am Evros-Fluss zurück. Dann bestieg E. ein Boot und erreichte Lesbos. Ende 2023 wurde ihr Asylantrag positiv beschieden. Sie musste das Flüchtlings­lager verlassen und saß auf der Straße.

So geht es jedes Jahr zehntausenden Geflüchteten in Griechenland. Das Land erkennt Schutz­suchende aus einer Reihe von Ländern vergleichsweise schnell an. Danach aber überlässt sie sie praktisch vollständig sich selbst – wohl auch in der Hoffnung, dass viele dann in andere EU-­Staaten weiterziehen.

Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) kamen seit 2020 nahezu 100.000 Ausländer:innen, die in Griechenland bereits Schutz erhalten hatten, nach Deutschland und beantragten hier erneut Asyl. Das sei zwar unzulässig, eine Abschiebung innerhalb ­Europas aber sei bei drohender „Verelendung“ im Zielstaat nicht rechtens, so das Bamf. Doch dass Menschen wie Setareh E. in Griechenland Verelendung drohe – „diese Sichtweise wurde nun durch das aktuelle Urteil revidiert“, so das Bamf.

Dessen Präsident Hans-Eckhard Sommer begrüßte das Urteil und sah seine „Rechtsauffassung bestätigt“. Das Urteil werde seine Behörde „sofort umsetzen und Asylanträge dieses Personenkreises konsequent als unzulässig ablehnen“. Und um „deutlich zu machen, dass sich die Weiterwanderung nach Deutschland nicht lohnt, muss es nun schnell zu Abschiebungen nach Griechenland kommen“.

Deutschland hatte lange darauf hingewirkt, dass es für Geflüchtete zumindest auf dem Papier „Bett, Brot, Seife“ gibt. Denn das Innenministerium will nicht nur die bereits in Griechenland Anerkannten zurückschicken. Geht es nach Kanzler Merz und Innenminister Dobrindt, sollen auch all jene Asylsuchenden direkt dorthin zurückgewiesen werden, die künftig an den deutschen Grenzen aufschlagen, aber bereits in Griechenland behördlich erfasst wurden.

Die Dokumente des Bundesinnenministeriums, die die Plattform FragDenStaat veröffentlicht hat, zeigen, dass die Ampel versucht hat, Griechenland zur Ausweitung eines EU-finanzierten Hilfsprogramms für Geflüchtete namens „Helios+“ zu bewegen. Dessen Vorläufer – „Helios“ – war Ende 2024 ausgelaufen. Leistungen daraus erhalten hatten in der vierjährigen Laufzeit seit 2020 insgesamt nur rund 4.200 Menschen. Das sind etwa 3 Prozent der in Griechenland lebenden Schutzberechtigten. Nur ein Bruchteil also – und kaum genug, um alle vor „Verelendung“ zu bewahren. Eine Ausweitung des Nachfolgeprogramms Helios+ aber würde die Lage für Geflüchtete in Griechenland verbessern, heißt es in einem Vermerk des Bundesinnenministeriums von 2024. „Hierdurch können wir dann auch weitere Personengruppen als lediglich junge, gesunde und erwerbsfähige anerkannt Schutzberechtigte zurückführen.“

Der Staatssekretär Bernd Krösser schickte dazu im April 2024 einen Brief an den damaligen griechischen Migrationsminister Dimitris Kairidis. Er „unterstütze ausdrücklich“, dass künftig auch jene Geflüchteten Hilfe aus dem Helios+-Programm bekommen können, die zwischendurch Griechenland verlassen hatten, so Krösser. So sollten nach dem Willen des Bundesinnenministeriums auch jene, die nach einem Aufenthalt in Deutschland abgeschoben werden, Leistungen beantragen können.

Die Rechnung ging auf: Im Urteil des VGH Kassel etwa werden – neben den Verdienstmöglichkeiten in der „Schattenwirtschaft“ – die Leistungen aus dem Helios+-Programm als Faktor genannt, der der Verelendung vorbeugen soll. Genau das aber ist höchst fraglich.

Im Juli 2024 notierten Beamte aus dem Bundesinnenministerium (BMI), dass Griechenland „Vorbehalte“ gegen die deutschen Vorstellungen zu dem Helios+-Programm habe. Eine Antragstellung noch vor einer Rückkehr aus Deutschland wollte Athen nicht gestatten. Eine Unterbringungen Abgeschobener „unmittelbar nach Rückführung“ mochte Griechenland nicht garantieren, die völlig unzureichende Wohnbeihilfe wollte es nicht erhöhen. „Gefahr der Obdachlosigkeit“, schrieben die BMI-Beamten dazu in einem internen Vermerk. Dies wäre nicht ausreichend, um die Voraussetzungen der „Bett-Brot-Seife“-Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichte zu erfüllen.

Gleichwohl tat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seither so, als sei bei dem Existenzminimum für nach Griechenland Abgeschobene alles geritzt. Im ersten Halbjahr 2024 hatte die Behörde nur 3,6 Prozent der Anträge von Asylsuchenden mit Flüchtlingsanerkennung aus Griechenland abgelehnt. Zwischen Juli und Oktober 2024 kehrte sich dies nach einer Auswertung von Pro Asyl um: Plötzlich wurden 87,1 Prozent der Antragsteller abgelehnt. Die Schutzsuchenden mit laufendem Verfahren bekamen einen Brief, um sie zur freiwilligen Rückkehr nach Griechenland zu bewegen. Von einem Abholservice vom Flughafen, vier Monaten kostenloser Unterkunft mit „Vollverpflegung“, Beratungsgesprächen für einen „erfolgreichen Neuanfang“ und einem Griechischkurs ist in diesem Brief die Rede.

Auf Anfrage der taz gibt sich das Innenministerium zugeknöpft. Bei Helios+ handele sich um ein „rein nationales Integrationsprogramm des griechischen Staates, an dem Deutschland nicht beteiligt ist“. Das Bamf verweist auf ein ergänzendes, ominöses „Überbrückungsprogramm“, das „Obdachlosigkeit entgegenwirken“ soll.

Als Setareh E. nach ihrer Abschiebung am Flughafen in Athen landete, „hatten die Polizisten nicht einmal meine Taschen als Gespäck aufgegeben“, sagt sie. „Ich hatte gar nichts, nicht mal eine Haarbürste. Wie kann man einer Frau so etwas antun?“, fragt sie. „Ich fühlte mich verlassen, ging zur Polizei, aber die sagten nur, „raus aus dem Flughafen', es gab keinerlei Hilfe.“ In Athen kannte sie niemand. Also rief sie eine Aktivistin an, die sie im Vorjahr auf Lesbos kennengelernt hatte. „Die schickte mir Geld für das Fährticket und holte mich am Hafen ab.“

Im Mai 2025 beantragte sie Unterstützungsleistungen aus dem Programm. „Bis jetzt habe ich nichts von ihnen gehört“, sagt sie. Ob sie etwas bekommt, ist fraglich: Voraussetzung sind ein Mietvertrag und ein Bankkonto in Griechenland.

"Eine Untersuchung der Universität Nottingham sah in Griechenland gar Formen moderner Sklaverei"

Mitarbeiter von unabhängigen Beratungsstellen auf Lesbos berichten, dass die für die Umsetzung des Programms zuständige IOM, die Internationale Organisation für Migration, noch dabei ist, Personal zu suchen. Helios+-Anträge könnten zwar gestellt werden, würden aber noch nicht bearbeitet.

Die für die Region zuständige IOM-Vertreterin Marina Liakis hat ein Büro in dem Lager Kara Tepe, etwas außerhalb von Mytilini. Es ist ein staubiges, umzäuntes Provisorium aus Containern und Zelten für 3.000 Menschen. Wer das Lager besucht, wird von Konstantin Scarellis, dem stellvertretenden Leiter, in einem klimatisierten Bürocontainer empfangen. Er zeigt eine Präsentation. Unter anderem ist darin ein Foto zu sehen, das eine Vertreterin der EU-Kommission zeigt. Sie besucht eine der „Jobmessen“ im Flüchtlingslager von Lesbos. Geflüchtete sollen so für die Zeit nach ihrer Anerkennung mit Arbeitgebern in Kontakt kommen, berichtet Scarellis. Für die Anerkannten gebe es also sehr wohl Wege in den Arbeitsmarkt, will Scarellis damit sagen. Allerdings: Gerade einmal 55 Menschen wurden so im ersten Halbjahr vermittelt, bei wie vielen dieser Jobs es sich nicht nur um Tagelöhnerei handelt, ist offen.

Ein Gespräch mit der IOM-Vertreterin Marina Liakis zum Thema Helios+ sei „gar kein Problem“, sagt dann einer von Scarellis Mitarbeitern. Dann heißt es, Liakis sei gerade beschäftigt und zu den IOM-Containern hätten Besucher keinen Zugang. Dann steckt der Mitarbeiter sein Handy aus. „Das ist ihre Nummer“, sagt er, man könne sich „draußen vor dem Tor“ mit Frau Liakis zum Gespräch verabreden, gar kein Problem. Doch die IOM-Frau Liakis verweist dann am Telefon auf die IOM-Zentrale in Athen, die auf wiederholte Anfragen nicht reagiert. Nach einer Woche schickt Liakis dann eine Nachricht, in der steht, dass sie „mehr Zeit“ brauche, bevor sie Fragen beantworten könne.

„Das Helios+-Programm ist nichts als heiße Luft, leere Versprechungen und eine Gefahr für Geflüchtete“, sagt die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger. Was es verspreche, gebe es in der Realität nicht: Integrationsangebote und besonders eine sichere Unterkunft. „Die Realität ist, dass Geflüchtete immer noch in der Obdachlosigkeit landen, wenn sie in Griechenland anerkannt werden oder wenn sie im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Griechenland abgeschoben werden.“

246 Personen schob Deutschland 2024 nach Griechenland ab, im ersten Quartal 2025 waren es dann schon 176 Personen. Ginge es nach der Bundesregierung, würde die Zahl schnell weiter steigen. Eine taz-Anfrage, wie viele Menschen das BMI nach Griechenland abzuschieben gedenke, beantwortete das Ministerium nicht – das sei Ländersache.

Im Mai besuchte der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis Bundeskanzler Merz in Berlin. Man fühle sich „gemeinsam dem Problem der Migration nach Europa verpflichtet“, hieß es in der Mitteilung des Kanzleramtes. „Die Sekundärmigration von Griechenland aus nach Deutschland muss sinken. Die Rückübernahmen müssen steigen“, sagte Merz.

Doch in Athen sieht man die Sache etwas anders. Seit jeher ist Griechenland der Meinung, überproportional durch die Flüchtlingsankünfte belastet zu sein. Die Zurückweisungen an den deutschen Grenzen hatte Mitsotakis’ Regierung sehr kritisch gesehen. Nach den Gerichtsurteilen, die den Weg für Abschiebungen nach Griechenland frei machten, sagte der – mittlerweile wegen eines Agrar-Korruptionsskandals zurückgetretene – rechtsextreme Migrationsminister Makis Voridis, dass eine Rücknahme aus Deutschland unter den derzeitigen Umständen nicht infrage komme, da Griechenland nach Zypern bereits die höchste Anzahl von Flüchtlingen pro Kopf in der EU beherberge.

„Solange es keine gerechte Lastenverteilung innerhalb der Europäischen Union gibt, wird Griechenland keine Rückführungen akzeptieren“, sagte Voridis. Anfragen zu Rücknahmen aus Deutschland werde man „nicht sehr freundlich gegenüberstehen.“

* Name geändert.

 

05.06.2025 Das Bundesverwaltungsgericht hat in zwei Fällen entschieden, dass in anderen EU-Mitgliedstaaten als schutzberechtigt anerkannte und nicht vulnerable Personen dorthin zurückgeschickt werden dürfen – mit dem unionsrechtlich fragwürdigen Argument, dass die Betroffenen ihre existenziellen Bedürfnisse in der dortigen Schattenwirtschaft sichern könnten.

Man muss zweimal hinschauen, um es zu glauben: Das höchste deutsche Verwaltungsgericht begründet die Entscheidung, dass in Griechenland und Italien anerkannte Personen grundsätzlich dorthin zurückgeschickt werden dürfen, damit, dass sie sich dort mit illegaler Beschäftigung durchschlagen könnten. In der entsprechenden Pressemitteilung zu dem Urteil vom 16. April heißt es: »Ihre weiteren Grundbedürfnisse einschließlich Ernährung können sie durch eigenes Erwerbseinkommen, anfänglich jedenfalls in der sogenannten Schattenwirtschaft, decken, zu dem gegebenenfalls Unterstützungsleistungen der genannten Stellen hinzutreten.«

Vorgeschichte: Schattenwirtschaft als Argument für Gerichte und Behörden

Ganz neu ist der Verweis auf die Schattenwirtschaft – also illegale Beschäftigung am Fiskus vorbei – nicht. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) nutzte dieses Argument bisher im Hinblick auf eine sogenannte interne Fluchtalternative im Herkunftsstaat (BVerwG, B. v. 09.01.1998, 9 B 1130/97, juris). Das bedeutet, wenn das Gericht für eine schutzsuchende Person ein Gebiet innerhalb eines Herkunftsstaates als sicher erachtet und dort für diese die Möglichkeit besteht, durch irreguläre Beschäftigung ihre Existenz zu bestreiten, darf sie nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes dorthin zurückgeschickt werden.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) versucht seit langem, diese Grundsätze auch auf die Sekundärmigration innerhalb Europas anzuwenden. So hat das Bundesamt bereits vor einigen Jahren den Standpunkt vertreten, dass in Italien international anerkannte Geflüchtete dorthin abgeschoben und auf die dortige Schattenwirtschaft verwiesen werden können, um ihre existenziellsten Bedürfnisse zu befriedigen. Damals hatte das Bundesverwaltungsgericht diese Frage nicht entscheiden müssen, weil aus seiner Sicht in dem konkreten Fall nicht ausreichend dargelegt wurde, dass Betroffene überhaupt ein Einkommen in der dortigen Schattenwirtschaft erzielen könnten, welches die Finanzierung einer menschenwürdigen Unterkunft ermöglichen würde (BVerwG, B. v. 27.01.2022, 1 B 10/22). Gleichwohl hatte das Gericht hier bereits anklingen lassen, dass der Verweis auf eine Tätigkeit in der Schattenwirtschaft für den Fall, dass sie ein ausreichendes Einkommen ermöglicht, denkbar ist, wenn die illegale Tätigkeit »nicht effektiv oder in Bezug auf die dort Tätigen verfolgt wird und in dem Sinne »landesüblich« ist, als sie einen mehr als unwesentlichen Teil der Ökonomie dieses Staates bildet« (a.a.O. Rn. 25 m. w. N.)

In zwei Urteilen zu Italien und Griechenland meint das Bundesverwaltungsgericht nun, diese Voraussetzungen als erfüllt ansehen zu können:

Der erste Fall betrifft eine alleinstehende 57-jährige Syrerin, der in Italien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden war. Nachdem das BAMF hiervon erfuhr, lehnte es den in Deutschland gestellten Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. In den anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren berief sich die Klägerin unter anderem darauf, dass sie kein Italienisch spreche und die Aufnahme einer regulären Beschäftigung in Italien völlig unrealistisch sei: Der dortige Arbeitsmarkt sei angespannt und es sei ein dramatischer Anstieg von irregulärer Arbeit und Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte zu verzeichnen. Auf eine irreguläre Tätigkeit dürfe sie wegen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung nicht verwiesen werden.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die Revision Ende 2024 zurück und entschied, dass »nicht vulnerable« Personen, die in Italien internationalen Schutz erhalten haben, zur Sicherung ihrer elementaren Bedürfnisse auf eine Tätigkeit in der Schattenwirtschaft in Italien verwiesen werden können. Auch die Klägerin zähle zu diesem Personenkreis (Urt. v. 21.11.2024, 1 C 24.23).

Wende bei Rechtsprechung und Asylentscheidungen zu Griechenland

Seit 2020 sind etwa Hunderttausend in Griechenland als international schutzberechtigt anerkannte Menschen nach Deutschland weitergewandert, im vergangenen Jahr waren es 25.112 Personen. Die meisten haben hier mit dem Argument, dass ihnen in Griechenland die Befriedigung elementarster Bedürfnisse versagt sei und ihnen Verelendung drohe, erneut einen Asylantrag gestellt.

Jahrelang vertrat das BAMF die Auffassung, dass man diese Personen nicht nach Griechenland zurückführen kann, denn ihre dort drohende Verelendung würde gegen Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen und sei infolgedessen unzulässig. Es stützt sich dabei auf diverse Länderberichte (wie die Stellungnahme zur Situation Anerkannte in Griechenland von PRO ASYL/RSA) – sowie auf die Argumentation in zwei entsprechenden Urteilen des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Nordrhein-Westfalen vom 26.01.2021 und des OVG Niedersachsen vom 19.04.2021. Daher sah sich das Bundesamt in den meisten Fällen für die Asylanträge zuständig und übernahm die Verfahren in Deutschland.

Die Wende brachten zwei Urteile des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 02. September 2024, in denen dieser den Standpunkt einnahm, dass zumindest junge, gesunde und alleinstehende Männer darauf verwiesen werden könnten und dürften, ihre elementaren Bedürfnisse durch Tätigkeiten in der griechischen Schattenwirtschaft zu sichern. Das BAMF griff diese Argumentation sofort auf. Hatte es im ersten Halbjahr 2024 noch in 96,4 Prozent der Fälle entschieden, dass eine Abschiebung nach Griechenland unzulässig ist, änderte sich diese Entscheidungspraxis nach den genannten Urteilen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes radikal: Im zweiten Halbjahr 2024 lehnte das BAMF 85 Prozent der Asylanträgen von zuvor in Griechenland Anerkannten ab und ordnete die Abschiebung nach Griechenland an (BT-Drucksache 20/15133, Aw. auf Frage 8a).

Aktuelles Urteil zu Griechenland: Alleinstehende Männer werden auf Schattenwirtschaft verwiesen

In der Folge legten zwei von den Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes betroffenen jungen Männer Tatsachenrevision beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ein. Es handelt sich um einen in Nord-Gaza geborenen 34-jähriger Mann und um einen 32-jährigen somalischen Staatsangehörigen, der sich mit Hilfe des PRO ASYL-Rechtshilfefonds wehrte. Am 16. April 2025 wies das Gericht die Revisionen der Kläger zurück und bestätigte damit die Urteile des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes.

Wie sich aus der Pressemitteilung (das schriftliche Urteil liegt noch nicht vor) ergibt, hat das Bundesverwaltungsgericht dabei zunächst anerkannt, dass viele Schutzberechtigte »wegen bürokratischer Hürden und Wartezeiten bis zum Erhalt erforderlicher Dokumente unmittelbar nach der Ankunft keinen Zugang zu staatlichen Unterstützungsleistungen, insbesondere aus dem aktuellen Überbrückungsprogramm, dem Integrationsprogramm Helios+ oder dem staatlichen Grundeinkommen« haben. Sie könnten »aber voraussichtlich zumindest in temporären Unterkünften oder Notschlafstellen mit grundlegenden sanitären Einrichtungen unterkommen, die unter anderem auf kommunaler Ebene und durch nichtstaatliche Hilfsorganisationen betrieben werden«. Der hier entscheidende Satz aus der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts lautet schließlich: »Ihre weiteren Grundbedürfnisse einschließlich Ernährung können sie durch eigenes Erwerbseinkommen, anfänglich jedenfalls in der sogenannten Schattenwirtschaft, decken, zu dem gegebenenfalls Unterstützungsleistungen der genannten Stellen hinzutreten«.

Erste Entscheidungen im Rahmen der Tatsachenrevision

Die zwei Verfahren waren die ersten im Rechtszug der Tatsachenrevision entschiedenen Fälle. Die Tatsachenrevision wurde durch die vergangene Ampelregierung in das Asylprozessrecht eingefügt. Damit wurde das Bundesverwaltungsgericht, das bis dato in der Revision ausschließlich rechtliche Fragen klären durfte und an die Tatsachenfeststellung in der Vorinstanz gebunden war, zur einer der gesamten Verwaltungsgerichtsbarkeit übergeordneten Tatsacheninstanz. Von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfen nun also unterinstanzliche Gerichte nicht mehr abweichen. Der Sinn und Zweck der Tatsachenrevision liegt in der Vorstellung, dass mit ihr im Falle divergierender Tatsachenfeststellungen in den unteren Instanzen bundesweit eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung hergestellt werden könne.

Unionsrechtliche Bedenken gegen den Verweis auf die Schattenwirtschaft innerhalb der EU

Es gibt gewichtige unionsrechtliche Bedenken, weitergereiste international Schutzberechtigten auf eine irreguläre Beschäftigung in jenem Staat zu verweisen, der ihnen die Anerkennung zugesprochen hat. Unterinstanzliche Gerichte haben diese Bedenken bereits lange vor der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts berücksichtigt und sind unter anderem deshalb sowohl in Bezug auf Italien als auch zu Griechenland zu dem Ergebnis gekommen, dass die Weitergereisten nicht dorthin zurückverbracht werden dürfen.

Hintergrund ist, dass sowohl beide Mitgliedstaaten nationalstaatliche Bemühungen unternehmen, irreguläre Beschäftigung zu unterbinden, als auch die Europäische Union die dortige Schattenwirtschaft bekämpft: ...

Auf der Ebene der Europäischen Union haben das Europäische Parlament und der Rat durch Beschluss 2016/344/EU vom 9. März 2016 eine »Europäische Plattform zur Stärkung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit« eingerichtet, die den Ländern der Europäischen Union helfen soll, wirksamer den verschiedenen Formen der Schwarzarbeit zu begegnen. Wenn aber sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Europäische Union irreguläre Beschäftigung bekämpfen: Kann dann ein deutsches Gericht diese Bemühungen konterkarieren, indem es Geflüchtete auf eine Tätigkeit in eben dieser Schattenwirtschaft verweist?

In Artikel 4 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) sind die Prinzipien der loyalen Zusammenarbeit und der Effektivität normiert. Das Loyalitätsprinzip besagt, dass sich die Union und die Mitgliedstaaten auch untereinander bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben, zu unterstützen haben. Der Effektivitätsgrundsatz verbietet Maßnahmen der Mitgliedstaaten, die im Widerspruch zu unionsrechtlichen Maßnahmen stehen. Da sich sowohl die Europäische Union, gestützt auf Artikel 153 EUV, als auch die Mitgliedstaaten Italien und Griechenland die Bekämpfung der Schattenwirtschaft auf die Fahnen geschrieben hat, ist es anderen Mitgliedstaaten untersagt, diese Bemühungen zu hintertreiben. Eben dies geschieht aber, wenn Gerichte in einem EU-Staat zu Tätigkeiten in der Schattenwirtschaft eines anderen Mitgliedstaates geradezu anhalten.

Neben dem Verstoß gegen das Prinzip der loyalen Zusammenarbeit liegt zudem auch ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip vor. So postuliert beispielsweise das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zutreffend, ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip dränge sich auf, wenn ein Mitgliedstaat eine Person darauf verweise, in einem anderen Mitgliedsstaat das dort geltende Recht zu brechen – »sei dieser Rechtsbruch auch faktisch kaum geahndet«.

Den genannten Verstößen lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass es bei den aus Italien und Griechenland weitergewanderten international Schutzberechtigten um eine überschaubare Zahl handelte, wie dies in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Italien anklingt (»Verhalten von Einzelpersonen«). Zum einen kommt es bei der Frage des Vorliegens eines Rechtsbruchs nicht auf dessen Intensität an. Und zum anderen sind die Zahlen keineswegs so niedrig, wie es das Bundesverwaltungsgericht suggeriert. Im Falle von Italien geht es vermutlich um mehrere tausend Personen, statistisch wird dies jedoch nicht erfasst.

Auch in Bezug auf Griechenland würde es sich wie oben ausgeführt um mehrere Tausend Menschen handeln, würden alle Personen mit Anerkennung in Griechenland, denen das BAMF die Abschiebung androht, tatsächlich nach Griechenland abgeschoben werden.

 

Vorlage an den Europäischen Gerichtshof unerlässlich

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht auf nationaler Ebene in letzter Instanz entschieden hat, verbleibt den unterinstanzlichen Gerichten die Möglichkeit, den Europäischen Gerichtshof im Wege eines Vorlageverfahrens um eine letztverbindliche Auslegung des Unionsrechts zu ersuchen. Aufgrund der dargestellten Verstöße gegen Unionsrecht und der großen Anzahl der betroffenen Personen ist eine solche Vorlage aus Sicht von PRO ASYL unerlässlich.