Sammelabschiebungen: Öffentlichkeit über Personenkreis getäuscht?

24.07.2025 Getäuscht, vielleicht sogar belogen wird die Öffentlichkeit über die Personen, die in die Sammelabschiebungen der letzten Tage nach Afghanistan und in den Irak verbracht wurden. 

Von wegen "schwere und schwerste Straftäter": ein junger Mann mit einer Bewährungsstrafe wegen des Betäubungsmittelgesetzes!

Von wegen nur "junge alleinstehende Männer": eine ganze Familie mit vier Kindern!

"Es geht ja dabei um schwere und schwerste Straftäter, die abgeschoben werden", sagte Dobrindt zum Abschiebeflug nach Afghanistan. Zum Abschiebeflug in den Irak hieß es, es handle sich ausschließlich "um alleinstehende Männer, von denen einzelne in der Vergangenheit strafrechtlich in Erscheinung getreten sind". Da steht immerhin noch einschränkend, einzelne und nicht alle seien strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Wenn der Flieger schon unterwegs ist, stellt sich heraus: 

  • Nach Afghanistan wurde zumindestens ein junger Mann abgeschoben, der lediglich eine auf Bewährung ausgesetzte Strafe wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz erhalten hatte. 
  • In den Irak wurde auch eine jesidische Familie mit vier Kindern angeschoben, deren Klage gegen die Ablehnung ihres Asylantrags noch lief und gerade erfolgreich beschieden wurde, als der Flieger schon gestartet war. Die vier Kinder im Alter von 5, 12, 15 und 17 Jahren gingen in Lychen in die Kita und zur Schule. Und kein Mitglied dieser Familie war in Deutschland straffällig geworden.

Aktualisierung 26.07.2025 Innenminister Wilke will jesidische Familie nach Brandenburg zurückholen rbb

Mit solchen falschen Begründungen, Beschwichtigungen sollen die Abschiebungen in der Öffentlichkeit besser vertretbar erscheinen. Sie sind es nicht.

Neben innenpolitischen Signalen will sich Innenminister Dobrindt mit den Abschiebeflügen offenbar bei seinen Auftritten auch im internationalen Kreis hervorheben und demonstrativ Handlungsfähigkeit zeigen. Deutschlands Rückführungen nach Afghanistan seien "für viele weitere Länder sehr interessant" und "sie überlegen, wie man sich anschließen kann", freute sich Dobrindt beim EU-Innenminister-Treffen in Kopenhagen. (Tagesschau)

Den Preis dafür zahlen in erster Linie die betroffenen Menschen. Aber er kostet auch Glaubwürdigkeit. 

 

Im Folgenden zwei Berichte über die Fälle:

Deutschland hat gestern 43 Menschen in den Irak abgeschoben. Wie Brandenburgs Innenministerium nun dem rbb bestätigte, befand sich an Bord des Flugzeugs auch eine jesidische Familie mit vier Kindern. Sie hatte zwar erfolgreich gegen die Ablehnung ihres Asylbescheids geklagt. Doch als die Entscheidung kam, war der Abschiebeflug schon gestartet.

Die jesidische Familie wohnte laut rbb seit 2022 mit vier minderjährigen Kindern in Lychen in der Uckermark. Sie hatte 2014 im Irak die Gräueltaten der Terrormiliz IS überlebt, die Deutschland später offiziell als Völkermord an den Jesiden anerkannte. Wie viele andere Angehörige der ethnisch-religiösen Minderheit fand die Familie Aufnahme in der Bundesrepublik. Ihr Asylantrag wurde jedoch Anfang 2023 abgelehnt. Der rbb zitiert aus dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, wonach die Familie „aus asylfremden Motiven, zwecks besserer Zukunftschancen“ nach Deutschland gekommen sein soll.

Gericht äußert Zweifel an der BAMF-Entscheidung – zu spät

Zwei Jahre lang bemühten sich die Eltern um ein weiteres Bleiberecht in Deutschland. Am Dienstag hatten sie Erfolg: Das Verwaltungsgericht Potsdam äußerte laut rbb in einem Beschluss ernstliche Zweifel daran, dass die Ablehnung des Asylantrags durch das BAMF rechtmäßig war. Als der Beschluss einging, befand sich der Abschiebeflug jedoch schon auf dem Weg von Leipzig/Halle nach Bagdad.

Ob die jesidische Familie nun nach Deutschland zurückgeholt wird, ist unklar. Das Innenministerium in Potsdam erklärte auf Anfrage des Senders, es sei Aufgabe des BAMF, „den Gerichtsbeschluss einzuordnen und ggf. weitere Schritte zu veranlassen“.

Angeblich nur alleinstehende Männer abgeschoben

Die thüringische Justizministerin Meißner hatte gestern erklärt, bei den aus verschiedenen Bundesländern abgeschobenen Irakern habe es sich um ausreisepflichtige und alleinstehende Männer gehandelt, von denen einige strafrechtlich in Erscheinung getreten seien.

Nach Angaben des rbb war von der jesidischen Familie kein Mitglied in Deutschland straffällig geworden. Die vier Kinder im Alter von 5, 12, 15 und 17 Jahren gingen in Lychen in die Kita und zur Schule.

 

Deutschland hat wieder Menschen nach Afghanistan abgeschoben. Offiziell alles schwere Straftäter. Eine zurückgebliebene Verlobte und ihre Mutter widersprechen dieser Darstellung.

... Innenminister Dobrindt hatte gesagt: "Es geht ja dabei um schwere und schwerste Straftäter, die abgeschoben werden." 

Für ihren Verlobten gelte das nicht, sagt eine junge Deutsche, die in der Bundesrepublik zurückgeblieben ist. Aus Angst, ihre Aussage könnte dem jungen Mann schaden, will sie anonym bleiben. Die Taliban lebten ja nicht hinter dem Mond. Sie lässt ihre Mutter sprechen: Der Verlobte ein schwerer Straftäter? "Nein, also definitiv nicht. Er hatte eine Bewährungsstrafe wegen des Betäubungsmittelgesetzes. Er ist kein Sexualstraftäter und er ist auch kein Mörder."

Verhaftet beim Routinetermin

Der Betroffene sei als Minderjähriger nach Deutschland gekommen, habe die Schule und eine Lehre abgeschlossen, gearbeitet und Sozialabgaben gezahlt. Beim wöchentlichen Vorsprechtermin zur Verlängerung der Duldung sei er in der Ausländerbehörde verhaftet worden.

Die Frauen sind "sehr traurig, fassungslos". Verlassen von der Regierung und den Behörden, obwohl Anträge gestellt worden sind, die eigentlich hätten bearbeitet werden müssen, sagen sie - und wünschen sich einen differenzierten Umgang mit den Betroffenen. Ihr Verlobter habe inzwischen Deutschland als seine Heimat angesehen, sagt die junge Frau. Pro Asyl schätzt den Fall aufgrund der eingereichten Unterlagen als glaubwürdig ein...