18.08.2025 Dem AugustNewsletter des Flüchtlingsrates NRW entnommen:
In einem Bericht vom 24.07.2025 legt die Bundesregierung die Unterbringungs- und Versorgungssituation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (UMF) dar. Zum 30.06.2025 zählte die Bundesregierung 22.004 UMF, dabei handelt es sich um Schutzsuchende unter 18 Jahren, die
ohne Eltern oder Erziehungsberechtigte aus dem Ausland nach Deutschland kommen. Sie fallen unter das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) und haben Anspruch auf besondere Betreuung und Schutz durch Jugendämter. Zudem wurden 19.713 junge Volljährige erfasst, die ebenfalls unter das KJHG fielen. Dies ist bei 18-26 Jährigen, die entsprechenden Bedarf an Jugendhilfeleistungen haben, möglich. Im Berichtszeitraum (01.09.2022 bis 31.08.2023) befanden sich nach Angaben des Bundesverwaltungsamtes insgesamt 25.547 unbegleitete Minderjährige und 8.835 junge Volljährige in der Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe. Die häufigsten Herkunftsländer waren Syrien, Afghanistan und die Türkei. Die Autorinnen des Berichts betonen, dass aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit unbegleiteter Minderjähriger qualitativ hochwertige Schutzmaßnahmen essenziell seien. Basierend auf Befragungen von Jugendämtern sowie zuständigen Landes- und Kommunalbehörden zeichnen die Autorinnen des Berichts zentrale Herausforderungen in der Betreuung von UMF nach, die sich negativ auf ihr Alltagsleben, Wohlergehen sowie ihre Entwicklungsmöglichkeiten und die Integrationschancen auswirken würden.
Ein zentrales Problem im Berichtszeitraum seien für 89 % von 277 befragten Jugendämtern fehlende Unterbringungsmöglichkeiten gewesen. Die Kapazitätsgrenzen hätten sich nicht zuletzt durch die Fluchtbewegung aus der Ukraine verschärft. 56 % der befragten Jugendämter hätten angegeben, dass Qualitätsstandards abgesenkt worden und Mehrfachbelegungen von Zimmern oder eine Unterbringung in Hotels, Hostels oder Jugendherbergen notwendig gewesen seien. Aufgrund von Fachkräftemangel sei für die Betreuung verstärkt fachfremdes Personal oder Ehrenamtliche eingesetzt worden. Dieser Qualitätsverlust in der Kinder- und Jugendhilfe gefährdet laut den Autorinnen zunehmend das Recht junger Schutzsuchender auf eine angemessene Unterbringung. Zudem könne beispielsweise das Stress- und Konfliktpotenzial in überbelegten Einrichtungen aufgrund mangelnder Privatsphäre wachsen.
Auch die medizinische Versorgung werde vielerorts als unzureichend beschrieben: 38 % der
Jugendämter hätten die gesundheitliche Versorgung im Vergleich zum Vorjahr als „eher ver-
schlechtert“ oder „stark verschlechtert“ eingestuft. Knapp 54 % der UMF hätten nach Ein-
schätzung der Jugendämter einen psychotherapeutischen Bedarf, dem jedoch vielerorts kein
ausreichendes Angebot gegenüberstehe.
Schließlich verweisen die Autorinnen auf eine deutliche Verschlechterung der schulischen und
beruflichen Integration von UMF. 79 % der Jugendämter hätten lange Wartezeiten auf Schulangebote und Sprachkurse gemeldet, was den Bildungszugang der jungen Geflüchteten erheblich beeinträchtige. Diese Einschätzung werde auch durch die Rückmeldungen der Länder
und Fachverbände gestützt, die diesen Zustand als besonders problematisch bewerten würden, da Bildung und Spracherwerb als grundlegende Voraussetzungen für Integration und gesellschaftliche Teilhabe gelten.
In Nordrhein-Westfalen zeigt sich aktuell deutlich ein mangelnder Zugang zu Schul- und Kitaplätzen auch für schutzsuchende Kinder, die mit ihren Eltern hier sind. Wie der WDR in einem
Artikel vom 15.07.2025 berichtet, hätten in Dortmund zuletzt 478, in Duisburg 184 und in Essen 46 zugewanderte Kinder und Jugendliche trotz Schulpflicht ohne Schulplatz dagestanden. Laut Schulministerium hätten im Juli 2025 landesweit etwa 1.800 schulpflichtige schutzsuchende Kinder keinen Schulplatz gehabt. Dem bestehenden Schulplatzmangel würden die Kommunen in Kooperation mit Verbänden mit alternativen Angeboten begegnen, so der WDR. Diese könnten das reguläre Bildungssystem jedoch nicht ersetzen.
Wenn schutzsuchende Kinder einen Schulplatz erhalten, werden sie vor dem Besuch regulärer Klassen zudem häufig sogenannten Willkommensklassen zugeteilt, speziellen Schulklassen, die sie auf den regulären Schulbesuch vorbereiten und ihre Deutschkenntnisse verbessern sollen. In einer am 26.06.2025 veröffentlichten Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg fanden Forscherinnen heraus, dass Willkommensklassen negative Auswirkungen auf den Spracherwerb haben können. Basierend auf einer Befragung von 1.097 Jugendlichen im Alter von 14 und 16 Jahren stellten die Autorinnen fest, dass mangelnder Kontakt zu gleichaltrigen, nicht geflüchteten Mitschülerinnen den Spracherwerb hemmen könne. Willkommensklassen würden somit nur eingeschränkt zur Integration beitragen. Um die sprachliche und soziale Integration von Beginn an zu fördern, empfehlen die Studienautorinnen, schutzsuchende Kinder und Jugendliche möglichst schnell in reguläre Klassen einzubinden und auf Willkommensklassen zu verzichten.
Die (wenigen) Rückmeldungen, die wir als Flüchtlingsrat NRW auf eine entsprechende Umfrage Anfang August 2025 bei haupt- und ehrenamtlichen Akteurinnen der Flüchtlingssolidaritätsarbeit erhalten haben, zeigen in einigen Kommunen ebenfalls Wartezeiten von mehreren Wochen oder Monaten auf Schulplätze, anderswo erfolge auch eine Beschulung ohne Wartezeit. Gerade ältere Kinder werden den Rückmeldungen zufolge in den meisten dieser Kommunen zunächst in „Willkommensklassen“ unterrichtet. In einer Rückmeldung wurde explizit auf die mangelnden Deutschkenntnisse nach Besuch entsprechender Vorbereitungsklassen hingewiesen.
Im genannten Artikel thematisiert der WDR auch den frühkindlichen Bildungsbereich, in welchem ebenso große Versorgungslücken bestünden. Beispielsweise biete in Duisburg das Deutsche Rote Kreuz in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt rund 550 Plätze im Programm „FlüKids“ an, einem Ersatzangebot für reguläre Kita-Plätze. Die hohe Zahl mache deutlich, wie groß der Mangel sei.