"From the sea to the city": Internationale Allianz der Städte Sicherer Häfen gegründet

28.06.2021 Während in Brüssel die Regierungsspitzen der EU zusammensaßen und neuerlich Beschlüsse fassten für ein weitgehendes Fernhalten Schutzsuchender von der Festung Europa, gab es in der sizilianischen Stadt Palermo ein internationales Treffen grundlegend anderer Werte und Absichten. Zum Teil online, zum Teil auch leibhaftig kamen die Stadtspitzen von 33 europäischen Städten - unter ihnen Bonn - zur Gründung einer "Internationale Allianz der Städte Sicherer Häfen" zusammen, dem ersten Schritt im Prozess der Gründung eines europäischen Netzwerks von Städten und Gemeinden, die sich für ein gastfreundliches Europa einsetzen. Quelle: Stadt Potsdam

Bürgermeister: Wir bekennen uns bedingungslos zu den humanitären Werten, den universellen Menschenrechten und dem Recht auf Asyl, auch in schwierigen Zeiten (aus der Präambel der Erklärung)

Internationale Allianz der Städte Sicherer Häfen gegründet

Die Stadt Palermo auf Sizilien und die Stadt Potsdam waren Initiatoren der Internationalen Konferenz „From the Sea to the City – eine Konferenz der Städte für ein gastfreundliches Europa“ am Freitag und Samstag in Palermo. An der zweitägigen Veranstaltung nahmen Städte teil, die sich für eine aktive Rolle der Städte in der europäischen Migrationspolitik einsetzen. Die Konferenz, an der unter anderem die BürgermeisterInnen aus Marseille, Amsterdam, Athen, Bologna, Heidelberg, Mannheim, Flensburg und München teilnahmen, soll der erste Schritt im Prozess der Gründung eines europäischen Netzwerks von Städten und Gemeinden sein, die sich für ein gastfreundliches Europa einsetzen. Im Ergebnis wurde die Internationale Allianz der Städte Sicherer Häfen gegründet, zudem hat Potsdams Oberbürgermeister im Auftrag der Stadtverordnetenversammlung die Patenschaft mit dem Verein Sea Eye übernommen und die Sea Eye 4 besucht.

Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung

Gefordert werden die Wahrung des Rechts auf Asyl in jedem europäischen Staat, Aufnahmekontingente für die freiwillige Aufnahme von Geflüchteten in den Kommunen, eine direkte Finanzierung der Aufnahme in den Städten durch die Europäische Union an die Kommunen, legale Einwanderungswege für eine pragmatische Einwanderungspolitik sowie eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Staaten der EU.

Die Erklärung umfasst fünf konkrete Forderungen an die nationalen Regierungen europäischer Staaten und wurde unter anderem von den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aus Barcelona, Amsterdam, Villeurbanne, Palermo, Bergamo, München, Leipzig, Greifswald, Flensburg und Potsdam unterschrieben. Mit der vierseitigen Erklärung wurde das Netzwerk „International Alliance of Safe Harbours“ mit aktuell 33 europäischen Städten ins Leben gerufen. „Es geht darum, humanitäre Beweggründe mit dem Machbaren vor Ort zu kombinieren. Städten, die bereit sind mehr Menschen aufzunehmen, soll die freiwillige Aufnahme ermöglicht werden", so Oberbürgermeister Mike Schubert.

Die Erklärung der Bürgermeister

Die Erklärung umfasst vier Seiten, hat eine Päambel und fünf konkrete Forderungen. Dazu zählen die Wahrung des Rechts auf Asyl in jedem europäischen Staat, Aufnahmekontingente für die freiwillige Aufnahme von Geflüchteten in den Kommunen, eine direkte Finanzierung der Aufnahme in den Städten durch die Europäische Union an die Kommunen, legale Einwanderungswege für eine pragmatische Einwanderungspolitik sowie eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Staaten der EU. Die vollständige Erklärung finden Sie hier. bzw. unten. Diese Basiserklärung wurde von folgenden 33 europäischen Städten mitgetragen: Palermo, Potsdam, Amsterdam, Athen, Barcelona, Marseille, Villeurbanne, Trier, Kiel, München, Heidelberg, Gütersloh, Bergamo, Lampedusa, Pozzallo, Reggio Calabria, Rottenburg, Flensburg, Göttingen, Braunschweig, Greifswald, Mannheim, Leipzig, Northeim, Dormagen, Münster, Jülich, Bonn, Marburg, Dortmund, Darmstadt, Würzburg, Tirana.

Als Ergebnis der ersten Bürgermeisterkonferenz "From the Sea to the City" (in Palermo, 25/6/2021) entstand folgende Ergänzung zu der Erklärung: "Die in Palermo anwesenden Bürgermeister betonen bei der Verabschiedung des Grundlagendokuments die Notwendigkeit, dass die Migration auf legalen Wegen stattfinden kann. Die Bürgermeister betonen auch, wie notwendig es ist, dass sich die Europäische Union zuallererst um das Recht auf Leben der Schiffbrüchigen im Mittelmeer kümmert. Sie halten es daher für notwendig, diese Themen bei zukünftigen Treffen ausführlicher zu diskutieren." Die Landeshauptstadt Potsdam wird das erste Arbeitstreffen der Allianz koordinieren.

Folgende Städte, die am 25.6.2021 in Palermo persönlich anwesend waren, haben sich einstimmig auf diese Ergänzung geeinigt, die bei dem zukünftigen ersten Arbeitstreffen der Allianz behandelt werden soll: Palermo, Potsdam, Bergamo, Marseille, Villeurbanne, Athens, Munich, Lampedusa, Pozzallo, Reggio Calabria, Flensburg.

"Palermo ist die Hauptstadt der Menschenrechte im Sinne von Brüderlichkeit und einem Mosaik von Kulturen, deren Rahmen der Respekt für die menschliche Dimension ist. Dieser Respekt beginnt damit, den Wert des Lebens zu verteidigen, diesem hohen Gut, welches mit Füßen getreten wird, wenn Menschen auf See sterben müssen – durch die Gleichgültigkeit eines Europas, das davor nicht mehr die Augen verschließen darf", befindet Leoluca Orlando, Bürgermeister der gastgebenden Stadt Palermo.

 

Erklärung der Bürgermeister

Präambel

Menschlichkeit, Solidarität, Freiwilligkeit

Die Europäischen Migrationspolitik steckt seit Jahren in einer Sackgasse. Gefangen zwischen der rückwärtsgewandten, von nationalstaatlichen Interessen geprägten Diskussion über Verteilquoten und der idealistischen Zukunftsvision eines Europas ohne Grenzen, verheddert im Streit zwischen maximal Wünschenswertem und kleinstem gemeinsamen Nenner. In der europäischen Asyl- und Migrationspolitik ist es deshalb heute wichtiger denn je, statt eines zwischen(national)staatlichen einen gesamteuropäisch gesellschaftlichen Konsens zu finden.

Deshalb setzen wir dieser scheinbar ausweglosen Situation, in dem das Schicksal von Menschen auf der Flucht und indem unsere Werte zum Spielball zu werden drohen, unseren moralischen Pragmatismus entgegen. Wir sind Städte, die sich gemeinsam zu einer demokratisch durch ihre Stadtgesellschaften legitimierten und damit verbindlichen und geregelten Form der Aufnahme von Menschen auf der Flucht bekennen, und ihnen damit die Chance für eine Integration in unser gemeinsames Europa bieten. Die Integration in unsere Stadtgesellschaften erfordert dabei einen Pragmatismus, der das Machbare in den Mittelpunkt des Handelns rückt. Wir setzen deshalb auf die Idee eines Netzwerkes von Städten in Europa. Statt der Konzentration der Last durch Hotspots und Lager, die sich auf wenige Städte entlang des Mittelmeers kapriziert, setzen wir auf eine breite Verteilung auf viele Städte, die die Belastung für die einzelne Stadt durch die Kraft eines breit getragenen Bündnisses verteilt. Den geltenden Verteilungsschlüssel als alleinige Grundlage in Europa wollen wir durch ein breites Netz von vielen freiwilligen kommunalen Aufnahmekontingenten ergänzen.

Das bestehende System würde damit durch den Blick des in den Kommunen Leistbaren ergänzt und nicht allein an Bevölkerungszahlen festgemacht, wie dies die aktuellen Verteilungsschlüssel für die Flüchtlingsaufnahme tun. Im Sinne eines moralischen Pragmatismus, der humanitäre Beweggründe mit dem Machbaren vor Ort kombiniert, soll ein Modell entstehen, welches es denen, die einmalig oder dauerhaft bereit sind mehr Menschen aufzunehmen, ermöglicht, mehr Verantwortung zu übernehmen.

Gleichzeitig sollte die Aufnahme für die Bevölkerung der Aufnahmekommune honoriert werden. Ein Anreizsystem soll gezielt die Aufnahmebereitschaft fördern und eine breitere Verteilung der Lasten in Europa ermöglichen. Ergänzende Freiwilligkeit statt starrer Vorgaben könnte den Weg in ein von Befürwortern und Skeptikern akzeptierteres System der Aufnahme Geflüchteter sein.

Erklärung

Als europäische Städte und Gemeinden, die fest an die Verteidigung der Menschenrechte glauben, bieten wir Geflüchteten und Migranten seit Jahrzehnten eine neue Heimat. Wir bekennen uns bedingungslos zu den humanitären Werten, den universellen Menschenrechten und dem Recht auf Asyl, auch in schwierigen Zeiten. Heute erleben wir in unseren Städten und Regionen eine Welle der Solidarität mit Geflüchteten. Und dennoch: das Migrationsmanagement ist ineffizient und unausgeglichen, denn es entsteht eine besonders starke Belastung für die europäischen Grenzstaaten. Ein pragmatischer Ansatz ist daher gefragt, um den Geflüchteten zu helfen und die Städte in den Grenzstaaten zu entlasten.

Vor diesem Hintergrund verfolgen wir die Pläne der EU-Kommission und der EU-Staaten für einen neuen „Migrationspakt“ mit großer Sorge. Eine Gesetzgebung, die keine defacto Solidarität und gerechte Lastverteilung erzielt, ist nicht vereinbar mit den humanitären Werten Europas. Genauso wenig sind es die geschlossenen Lager, wo die Menschen lange ohne Perspektive verharren müssen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden ein „weiteres Moria“ nicht verhindern. Im Gegenteil, sie würden den Hotspot-Ansatz entlang der EU-Außengrenzen sogar verschärfen, auf den griechischen Inseln, in Lampedusa oder in Pozzallo, ohne eine gerechte Verteilung der Geflüchteten und Asylsuchenden unter allen europäischen Staaten zu erreichen. Und denjenigen, die es doch nach Europa schaffen, drohen Schnellverfahren in geschlossenen Lagern an den Außengrenzen statt einer solidarischen Umsiedlung und Unterbringung in lokalen Gemeinden. Das ist nicht das Europa, das wir uns für die Zukunft vorstellen.

In den letzten Jahren haben sich hunderte von Kommunen in ganz Europa bereit erklärt, Geflüchtete aufzunehmen. Angesichts der anhaltenden humanitären Notsituation in den EU-Grenzregionen können wir nicht länger tatenlos zusehen. Obwohl der größte Teil der europäischen Bevölkerung in Städten und Gemeinden lebt, wird unsere Stimme in den europäischen Verhandlungen nicht gehört. Wir als Städte möchten hilfreiche politische Maßnahmen unterstützen und passende rechtliche Instrumente finden, aber wir haben keinen Sitz am Verhandlungstisch.

Was wir bieten, ist die Erfahrung, das Engagement, die Kompetenz in Fragen der Integration, Inklusion und Partizipation und die gesetzliche Verpflichtung, die grundlegenden Menschenrechte zu schützen. Deshalb muss die Stimme der solidarischen Städte gehört werden. Wir bekräftigen hiermit unser Angebot der Hilfe. Im Rahmen ihrer Kapazitäten sollen die Kommunen daher freiwillig die Möglichkeit haben, Geflüchtete aufzunehmen und ihnen Unterkunft, Schutz und Sicherheit zu bieten, um ihre Rechte und ihre Würde zu wahren.

Das zukünftige Migrationssystem der EU muss vielmehr den Städten in Europa neue Wege eröffnen, um sich ohne weitere Verzögerung aktiv in die Unterbringung der Geflüchteten und deren Integration einbringen zu können. Wir fordern daher von den europäischen Institutionen und den europäischen nationalen Regierungen:

1. Ein Recht auf Asyl und keine Transitzonen an den Außengrenzen

Jede Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems muss sicherstellen, dass das individuelle Recht auf Asyl gewahrt wird und Schutzsuchende effektiven Zugang zu schnellen Asylverfahren haben. Auch in Zukunft müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um Lager Situationen wie Moria oder Lipa zu verhindern. Dazu müssen diejenigen, die an den europäischen Küsten ankommen, so schnell wie möglich direkt in die Städte, Regionen und Länder, die bereit sind, sie aufzunehmen

2. Direkte kommunale Aufnahme ermöglichen

Die Bereitschaft der Zivilgesellschaft und unserer Kommunen, Geflüchtete zu unterstützen ist enorm. Wir sind überzeugt, dass eine Aufnahme von Geflüchteten in unseren Kommunen die Krise an den Grenzen Europas lindern würde. Kommunen sollten die Möglichkeit haben, Aufnahmekontingente anzubieten, um an die Migrationspolitikbeteiligt zu werden. Dies würde es willigen Kommunen ermöglichen, zusätzliche Aufnahmekapazitäten direkt den in den Grenzlagern gestrandeten Flüchtlingen anzubieten.

3. Direkte EU Finanzierung für Aufnahmekommunen

Die europäischen Institutionen sollten den hilfsbereiten Kommunen Zugang zu direkter finanzieller Unterstützung bieten, damit sie ihren humanitären Verpflichtungen nachkommen können. Zu 4 diesem Zweck brauchen Europas Städte einen verlässlichen und umfassenden Finanzrahmen, der über die reinen Unterbringungs- und Lebensunterhaltskosten hinausgeht und als Querschnittsaufgabe verstanden wird, die viele Bereiche wie Bildung, Beschäftigung, Wohnen und Gesundheit umfasst.

4. Solidarität stärken

Die in verschiedensten Formen stattfindende Verurteilung von Solidarität lenkt die Öffentlichkeit von den wahren Problemen der EU-Migrations und -Asylpolitik ab. Als europäische Städte schlagen wir Empfehlungen vor, um zu gewährleisten, dass Solidarität nicht nur ausnahmsweise oder auf Freiwilligkeitsbasis gewährleistet wird. Wir fordern daher die Europäische Union auf, einen verpflichtenden Mechanismus zu etablieren, der für eine gerechte Lastenverteilung und Aufnahme von Geflüchteten in den EU Mitgliedstaaten sorgt; Um diese Ziele zu erreichen, wollen wir als Städte und Gemeinden auf europäischer und nationaler Ebene künftig Hand in Hand arbeiten.

5. Legale Einwanderungswege für eine pragmatische Einwanderungspolitik

Europa wird in den kommenden Jahren mit einem wachsenden Bevölkerungs- und Arbeitskräftemangel konfrontiert sein. Die Auswirkung auf die jeweiligen Staaten wird zwar unterschiedlich sein, sie wird jedoch zu einer gemeinsamen Herausforderung. Somit streben wir eine legale Einwanderungspolitik an, die geregelte Asylverfahren und effektive Integrationsmaßnahmen voraussetzt. So soll die Lücke geschlossen und den Ländern ein entsprechendes Agieren ermöglicht werden.

Das heute aus dieser Konferenz hervorgehende Netzwerk „International Alliance of Safe Harbours“ soll helfen, ein europäisches Haus mit einer globalen Strategie der Solidarität zu konstruieren, mit einer grundsätzlichen Prämisse: das Leben eines jeden, zur Flucht gezwungenen Mensch en sei es zu Wasser oder auf dem Landweg zu schützen und ihm die gleiche Chance auf ein geordnetes, rechtsstaatliches Verfahren nach gemeinsamen europäische n Regeln und auf der Basis unseres gemeinsamen europäischen Wertekanons zu geben. Unwürdige Lebensverhältnisse und der Tod von zu vielen dürfen nicht auf dem Gewissen unseres solidarischen Europas lasten. Unterzeichnet von:Palermo, Potsdam, Amsterdam, Athen, Barcelona, Marseille, Villeurbanne, Trier, Kiel, München, Heidelberg, Gütersloh, Bergamo, Lampedusa, Pozzallo, Reggio Calabria, Rottenburg, Flensburg, Göttingen, Braunschweig, Greifswald, Mannheim, Leipzig, Northeim, Dormagen, Münster, Jülich, Bonn, Marburg, Dortmund, Darmstadt, Würzburg, Tirana