12.04.2025 Sammlung von Bewertungen
- Schnellinfo 04/2025 des Flüchtlingsrates NRW: Zukünftige Bundesregierung plant migrationspolitische Verschärfungen
- Tagesschau, 10.04.2025: Analyse Sind die Migrationspläne umsetzbar?
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nd, 10.04.2025 Asylpolitik von Schwarz-Rot: Rechtswidrig und inhuman - Union und SPD schränken die Rechte Schutzsuchender weiter ein und schotten Deutschland ab
- Legal Tribune Online LTO, 10.04.2025 Wechsel der Verfahrensgrundsätze im Asylrecht im Koalitionsvertrag - Der Richter vor dem leeren Blatt Die neue Bundesregierung will in Asylverfahren den Amtsermittlungsgrundsatz durch den Beibringungsgrundsatz ersetzen...
- LTO, 09.04.2025 Was die neue Bundesregierung plant
- ZDF, 09.04.2025 Expertin ordnet ein: Migration: So hat sich Schwarz-Rot geeinigt
Union und SPD haben sich auf ein Bündel von Maßnahmen zur Begrenzung der Migration geeinigt. Das ist geplant – und so bewertet Migrationsexpertin Victoria Rietig die Maßnahmen.
Wer mag, kann hier die Sicht von SPD und CDU nachlesen:
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CDU, 15.04.2025: Koalitionsvertrag 2025: Wir machen Schluss mit illegaler Migration
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Vorwärts, 14.04.2025: Koalitionsvertrag: So viel ist von den Migrationsplänen von Merz übrig
Im Folgenden die Beiträge im Wortlaut:
- Schnellinfo 04/2025 des Flüchtlingsrates NRW: Zukünftige Bundesregierung plant migrationspolitische Verschärfungen
SPD und Union haben am 09.04.2025 ihren gemeinsamen Koalitionsvertrag unter dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ vorgestellt. Auf den Seiten 92 bis 97 finden sich die Vereinbarungen zum Bereich Migration und Integration. Demnach sieht die zukünftige Bundesregierung Verschärfungen im Bereich Migration vor, darunter die Beendigung aller freiwilligen humanitären Aufnahmeprogramme, die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten, sowie in Abstimmung mit den europäischen Nachbarländern Zurückweisungen an den Staatsgrenzen, auch bei Asylgesuchen. Zudem soll die Liste „sicherer Herkunftsstaaten“, beginnend mit Algerien, Indien, Marokko und Tunesien, erweitert werden. Auf europäischer Ebene wollen die Koalitionsparteien das in der Asylverfahrens-Richtlinie der EU (Richtlinie 2013/32/EU) festgelegte Verbindungselement streichen, um Abschiebungen in „sichere Drittstaaten“ ausweiten zu können. Außerdem planen sie eine „Rückkehroffensive“, in deren Rahmen die „freiwillige Rückkehr“ durch eine Stärkung von „Anreizen“ und der Rückkehrberatung gefördert werden soll; wenn Betroffene nicht freiwillig ausreisen, soll die Ausreisepflicht
„staatlich durchgesetzt werden“. Der „verpflichtend beigestellte Rechtsbeistand vor der Durchsetzung der Abschiebung“ soll abgeschafft und die Bundespolizei mit der Kompetenz ausgestattet werden, für ausreisepflichtige Ausländerinnen vorübergehende Haft oder Ausreisegewahrsam zu beantragen, um deren Abschiebung sicherzustellen. Beginnend mit Gefährderinnen sollen künftig Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien durchgeführt werden. Zudem sollen Asylverfahren sowohl beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch bei verwaltungsgerichtlichen Verfahren beschleunigt werden. In diesem Rahmen will die künftige Bundesregierung auch „die Rechtsmittelzüge in den Blick nehmen“ und die Einrichtung von besonderen Verwaltungsgerichten für Asylrechtssachen ermöglichen. Aus dem „Amtsermittlungsgrundsatz“ im Asylrecht soll nach dem Willen der Koalitionsparteien der „Beibringungsgrundsatz“ werden. Des Weiteren ist im Koalitionsvertrag ein Rechtskreiswechsel von Bürgergeld zu Leistungen nach dem AsylbLG für Schutzsuchende aus der Ukraine mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG vorgesehen, die nach dem 01.04.2025 nach Deutschland eingereist sind.
In einem Artikel vom 11.04.2025 nimmt Pro Asyl eine genauere Analyse der im Koalitionsvertrag aufgeführten Vorhaben vor und beleuchtet diese kritisch. So verstößt die geplante Zurückweisung Schutzsuchender an den Grenzen laut Pro Asyl gegen die geltende Dublin-Verordnung, die die unmittelbare Zurückweisung von Schutzsuchenden
in den Nachbarstaat ohne individuelle Prüfung der Zuständigkeit und von Rückführungshindernissen verbiete. Zudem widerspreche eine unbegrenzte Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen dem Schengener Grenzkodex. Die Streichung des Verbindungselements für „sichere Drittstaaten“ könnte Pro Asyl zufolge als Baustein für die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten gewertet werden, auch wenn ein solches Ziel im Koalitionsvertrag nicht ausdrücklich verankert sei. Solche
Pläne seien rechtlich fragwürdig, politisch unverantwortlich und praktisch kaum umsetzbar.
Deutschland stelle sich nach Ansicht von Pro Asyl durch solche Vorhaben in eine Linie mit den europäischen Hardlinern und unterstütze somit einen kollektiven Rückzug aus dem internationalen Flüchtlingsschutz. Bereits mit Pressemitteilung vom 09.04.2025 kritisierte Pro Asyl die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Maßnahmen im Bereich
Migration scharf und warnt vor einem massiven Rückschritt im Flüchtlingsschutz. Die Organisation sieht in den geplanten Verschärfungen eine Abkehr von rechtsstaatlichen Grundsätzen und menschenrechtlichen Standards.
In einer Pressemitteilung vom 09.04.2025 bemängelte Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, dass die künftige Bundesregierung mit dem Koalitionsvertrag menschenfeindliche Politik als neue Realität durchsetze und
Millionen Menschen so zu Bürgerinnen zweiter Klasse erkläre. Besonders gravierend sei die geplante Abschaffung des Amtsermittlungsgrundsatzes im Asylverfahren, da es sich dabei um einen direkten Angriff auf rechtsstaatliche Prinzipien handle.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat am 11.04.2025 ein FAQ veröffentlicht, in dem zentrale Fragen zu flüchtlings- und migrationspolitischen Themen, die sich aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD ergeben würden, beantwortet werden. So betont das Institut beispielsweise, dass auch der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten, der gemäß dem Koalitionsvertag zeitweise ausgesetzt werden soll, wichtig sei, weil dadurch u. a. das Recht auf Familienleben geschützt, die Integration erleichtert und das Kindeswohl gesichert werde. Auch Flüchtlingen mit einem subsidiären Schutz sei eine Rückkehr in ihr Herkunftsland und ein gemeinsames Familienleben dort beispielweise aufgrund einer Bürgerkriegssituation nicht zumutbar.
- SWR aktuell, 15.04.2025 zur Ablehnung der Jungsozialisten: ... Auch die vereinbarten Maßnahmen bei der Migrationspolitik stoßen auf Widerstand bei der SPD-Jugendorganisation. Die Ablehnung von Geflüchteten an der Grenze und das Ende humanitärer Aufnahmeprogramme stünden im Widerspruch zu einem menschenrechtsbasierten Ansatz. "Begriffe wie 'irreguläre Migration' suggerieren, Migration sei ein Problem - dabei liegt das eigentliche Problem in der gezielten Instrumentalisierung geflüchteter Menschen für rechte Hetze", so der Landesvorstand. Gleichzeitig weise der Koalitionsvertrag keine Strategie zur Bekämpfung des Rechtsextremismus aus. ...
- Tagesschau, 10.04.2025: Analyse Sind die Migrationspläne umsetzbar?
Migration war das bestimmende Thema im Bundestagswahlkampf - und lange ein Streitpunkt zwischen Union und SPD. Was jetzt geplant ist und wo das Recht Grenzen setzt.
Am ersten Tag seiner Amtszeit als Bundeskanzler, so hatte es Friedrich Merz im Bundestagswahlkampf angekündigt, werde er von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und das Bundesinnenministerium anweisen, die deutschen Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und auch Asylsuchende zurückzuweisen.
Nach der Wahl wurde wohl auch Merz klar, dass vor dem Tag seiner ersten Amtszeit die Koalitionsverhandlungen anstehen. Und so wurde in den vergangenen Wochen auch beim Thema Migration gerungen um Veränderungen und konkrete Formulierungen. Schon in der Einleitung zum Unterpunkt Migration und Integration finden sich im Koalitionsvertrag nun wichtige SPD-Sätze: "Das Grundrecht auf Asyl bleibt unangetastet. Wir wollen Integration ermöglichen", heißt es da zum Beispiel. Doch auch die Union hat ihre Punkte untergebracht: "Wir werden Migration ordnen und steuern und die irreguläre Migration wirksam zurückdrängen."
Kontrollen an Grenzen sollen fortgesetzt werden
Konkret will die künftige Koalition zum Beispiel die Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen fortsetzen, bis es einen funktionierenden Außengrenzschutz der EU gibt.
Nichts wirklich Neues also, rechtlich aber durchaus problematisch. Denn Deutschland hat vor vielen Jahren den Schengener Grenzkodex unterzeichnet. Danach gilt die klare Grundregel: Es gibt keine dauerhaften, zeitlich unbegrenzten Grenzkontrollen zwischen den Staaten im Schengen-Raum. Ausnahmen von dem Verbot lässt der Schengener Grenzkodex nur zu, wenn die Kontrollen in besonderen Gefahrensituationen zwingend erforderlich sind. Und auch dann nur für begrenzte Zeiträume. Dem widersprechen schon die jetzigen Grenzkontrollen.
So hat ganz aktuell der Bayerische Verwaltungsgerichtshof am 17. März 2025 entschieden, dass die Kontrolle eines österreichischen Staatsbürgers 2022 rechtswidrig war, weil die Grenzkontrollen nach dem Schengener Grenzkodex nicht gerechtfertigt waren. Die jetzt angekündigte Fortsetzung verschärft das Problem.
Auch Asylsuchende sollen zurückgewiesen werden
Der entscheidende Satz zum wohl umstrittensten Migrationsthema im Koalitionsvertrag lautet: "Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen." Genau so stand er auch schon im Sondierungspapier von Union und SPD, doch schon kurz nach deren Veröffentlichung wurde öffentlich zwischen den künftigen Koalitionären gestritten, was dieses "in Abstimmung" eigentlich bedeutet.
Zudem dauerte es nicht lange, bis das Innenministerium in Wien mitteilte, man werde solche zurückgewiesenen Personen in Österreich nicht annehmen. Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags antwortete Merz auf eine Frage dazu: "Abstimmung bedeutet Abstimmung mit den europäischen Partnern", und er fügte hinzu: "Wir sind in engem Dialog und werden das Problem gemeinsam lösen."
Zurückweisungen sind rechtlich riskant
Rechtlich ist die Zurückweisung von Asylsuchenden hoch riskant, da sind sich die meisten Experten einig. Und das selbst dann, wenn die Nachbarn zustimmen würden. Zwar steht in Artikel 16a Absatz 2 des Grundgesetzes (GG), dass Flüchtlinge, die aus einem sichereren Drittstaat nach Deutschland kommen, kein Recht auf Asyl haben. Aber: Artikel 16a GG endet nicht mit Absatz 2. Er endet mit Absatz 5, und darin steht sinngemäß: EU-Recht und anderes Völkerrecht gehen den deutschen Regeln vor.
Entscheidend bei der Frage, ob Zurückweisungen zulässig sind, bleibt deshalb das EU-Recht. In erster Linie die sogenannte Dublin-III-Verordnung. Auch nach dieser EU-Verordnung ist Deutschland in den meisten Fällen nicht zuständig für die Asylverfahren, sondern das Land, in dem Flüchtende zum ersten Mal europäischen Boden betreten haben. Aber: Deutschland muss nach den Regeln von Dublin-III zunächst einmal prüfen, welches EU-Land zuständig ist. Dorthin darf der Flüchtling dann überstellt, also quasi "abgeschoben" werden.
Direkte Zurückweisungen an den deutschen Grenzen lässt das EU-Recht für Asylsuchende hingegen nicht zu. Denn auch das Nachbarland ist in den meisten Fällen nicht zuständig für das Asylverfahren.
Umstritten ist die Frage, ob Deutschland eine Notlage erklären könnte, um dieses EU-Recht nicht mehr anwenden zu müssen. Ob in der aktuellen Situation so eine Notlage vorliegt, ist nicht abschließend geklärt. Zweifeln könnte man mit Blick auf die aktuell stark zurückgegangene Zahl der Asylanträge in Deutschland. Zudem sind alle Länder der EU, die bisher versucht haben, sich auf die Notlage zu stützen, damit vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gescheitert.
Sichere Herkunftsstaaten sollen ausgeweitet werden
Ein weiterer Punkt im Koalitionsvertrag: Die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten. Für Menschen aus solchen Ländern gilt ein verkürztes Asylverfahren. Denn es gilt der Grundsatz: In sicheren Herkunftsstaaten droht grundsätzlich keine Verfolgung, ein Asylgrund liegt also meistens nicht vor. Asylbewerber, die aus diesen Ländern kommen, müssen dann selbst nachweisen, dass es in ihrem konkreten Einzelfall anders ist. Für die Behörden macht es das deutlich leichter, Anträge abzulehnen.
Auf der Liste stehen bislang alle EU-Mitgliedsstaaten und zehn weitere Staaten, darunter Georgien, Ghana und der Kosovo. Die Koalition möchte die Liste verlängern. Zuerst sollen Algerien, Indien, Marokko und Tunesien dazukommen. Bislang muss der Bundestag für jede Erweiterung das Asylgesetz ändern. Union und SPD haben nun vereinbart, dass sie das künftig mit einer Rechtsverordnung machen möchten. Dann könnte die Regierung die Liste selbst erweitern, ohne dass der Bundestag ein aufwendiges Gesetzgebungsverfahren durchführen muss.
EuGH könnte Strich durch die Rechnung machen
Momentan beschäftigt sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit den Anforderungen an sichere Herkunftsstaaten. In einem Fall aus Italien prüft das Gericht etwa, ob ein Staat "sicher" sein kann, wenn dort zwar dem Großteil der Bevölkerung keine Gefahr droht, Minderheiten aber schon.
In den sogenannten Schlussanträgen gab es dazu ganz aktuell eine wichtige, wenn auch nicht bindende Einschätzung. Nach dieser kann ein Herkunftsstaat zwar "sicher" sein, obwohl Minderheiten bedroht sind. Das gehe aber nur in demokratischen Regimen, die der Bevölkerung einen nachhaltigen Schutz gewähren. Das dürfte in Tunesien, Marokko und Algerien, wo zum Beispiel LGBTQI-Handlungen als verboten gelten, nicht zutreffen. Diese Länder sind keine vollwertigen Demokratien. Der EuGH wird in einigen Monaten urteilen und könnte dann die Koalitionspläne vor Probleme stellen.
- nd, 10.04.2025 Asylpolitik von Schwarz-Rot: Rechtswidrig und inhuman - Union und SPD schränken die Rechte Schutzsuchender weiter ein und schotten Deutschland ab
Vollkommen zu Recht hat CDU-Chef Friedrich Merz bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags seiner Partei mit CSU und SPD darauf hingewiesen: Im Kapitel »Migration und Integration« sind Maßnahmen vereinbart, die weit über das hinausgehen, was seine Unionsfraktion Ende Januar mit den Stimmen der AfD durchs Parlament gebracht hat. Tatsächlich bilden die asylpolitischen Festlegungen im Vertrag eins zu eins ab, was die Union in ihrem Entschließungsantrag zur »sofortigen Beendigung der illegalen Migration« gefordert hatte. Dieser war am 29. Januar mit knapper Mehrheit von Union, FDP und AfD beschlossen worden. Kanzler Olaf Scholz hatte insbesondere die verlangten pauschalen Zurückweisungen auch von um Asyl Bittenden als rechtswidrig abgelehnt.
Das von der Union eingebrachte »Zustrombegrenzungsgesetz«, das am 31. Januar eine Mehrheit im Bundestag knapp verfehlte, sollte wiederum dafür sorgen, dass das Ziel der Begrenzung der Migration wieder ins Aufenthaltsgesetz aufgenommen wird und dass der Familiennachzug für Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus ausgesetzt wird. Auch das wird jetzt umgesetzt.
Zurückweisen und kontrollieren
Menschenrechtsorganisationen und die Partei Die Linke haben all das und insbesondere die Zurückweisungen Asylsuchender an den deutschen Grenzen »in Abstimmung« mit den europäischen Partnern als Rechtsbruch kritisiert. Ebenso die bereits von SPD-Innenministerin Nancy Faeser mehrfach verlängerten Kontrollen an allen deutschen Grenzen. Diese Grenzkontrollen sollen nun zur Minimierung »irregulärer« Einreisen »bis zu einem funktionierenden Außengrenzschutz« der gesamten EU und der »Erfüllung« aller innereuropäischen Regeln zur Verteilung Geflüchteter, also der sogenannten Dublin-Verordnungen, und zur Umsetzung der Regelungen des vor einem Jahr verschärften Gemeinsamen Asylsystems (Geas) des Staatenbündnisses fortgesetzt werden. Das bedeutet nichts anderes, als die laut Schengen-Abkommen nur noch für Notfälle vorgesehenen Kontrollen an EU-Binnengrenzen auf Dauer zu stellen.
Faktisch dürften Zurückweisungen Schutzsuchender längst in größerem Umfang stattfinden, denn die Zahl der Zurückweisungen hat sich bereits drastisch erhöht. Nach Angaben von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gab es im vergangenen Jahr 44 500. 2022 waren es nur 25 500, im Jahr davor sogar nur 13 200 Zurückweisungen.
»Rückführungsoffensive«
Abschieben, das wissen Union und SPD, ist in der Praxis oft nicht so einfach wie behauptet. Auch die angekündigte Abschaffung des »verpflichtend beigestellten Rechtsbeistands vor der Durchsetzung der Abschiebung« wird die »Zahlen« – von Menschen wird hier bewusst nie geredet – nicht nach oben treiben. Schon das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz der Ampel von Anfang 2024 sorgte zwar für eine deutliche, aber eben nicht enorme Erhöhung der Zahl der Abschiebefälle.
Mehr als 240 000 in Deutschland lebende Menschen gelten als ausreisepflichtig. Die meisten von ihnen, nämlich rund 200 000, verfügen jedoch über eine Duldung, sind also nicht »vollziehbar« ausreisepflichtig. Die Gründe dafür, dass sie nicht abgeschoben werden können, sind vielfältig. Viele von ihnen leben schon viele Jahre hier, haben Arbeit, sind integriert.
Schwarz-Rot will weitere »Ausreisezentren« schaffen, von denen bereits einige in Betrieb genommen worden sind, und die Kapazitäten von Abschiebehaftplätzen stetig erweitern. Bislang gibt es nur wenige in insgesamt 14 Einrichtungen bundesweit. Im gesamten Jahr 2022 waren rund 5000 Personen zeitweilig in Abschiebehaft, die bislang eigentlich maximal für sechs Wochen zulässig ist. Künftig sollen auch Bundespolizisten für Ausreisepflichtige »vorübergehend Haft oder Ausreisegewahrsam beantragen« dürfen.
Auch die im Koalitionsvertrag angekündigten weiteren Migrations- und Rückführungsabkommen dürften die Zahl der Abschiebungen nicht entscheidend erhöhen. Schwarz-Rot will solche Vereinbarungen künftig gleichwohl mit mehr wirtschaftlichem Druck durchsetzen, inklusive der Streichung von Geldern aus der Entwicklungszusammenarbeit.
»Dauerhafter Ausreisearrest« soll laut Koalitionsvertrag künftig für »Gefährder und Täter schwerer Straftaten nach Haftverbüßung« zulässig sein. Der Begriff »Gefährder« ist nach wie vor ebenso dehnbar wie der Tatbestand der »Volksverhetzung«. Künftig soll laut Koalitionsvertrag die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe generell zur »Regelausweisung« führen. Dies soll neben Volksverhetzung auch bei »antisemitisch motivierten Straftaten« gelten, darüber hinaus bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.
Stopp humanitärer Programme
Besonders gravierend dürften die Folgen des Beschlusses der Koalitionäre sein, alle freiwilligen Bundesaufnahmeprogramme »soweit wie möglich« zu beenden und keine neuen aufzulegen. Dies betrifft insbesondere Zusagen an ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr in Afghanistan und ihre Angehörigen, aber auch Programme der Vereinten Nationen wie das UN-Umsiedlungsprogramm, das bereits vor einigen Tagen ausgesetzt wurde.
»Wer reguläre Wege versperrt, zwingt Menschen auf lebensgefährliche Fluchtrouten. Dies betrifft auch stark gefährdete Frauen und Mädchen aus Afghanistan.« Karl Kopp Pro Asyl
Darüber hinaus wird das ohnehin seit Langem auf kleine Kontingente beschränkte Recht auf das Nachholen von engen Angehörigen nach Deutschland durch Menschen mit subsidiärem Schutzstatus, also der sogenannte Familiennachzug, vollständig ausgesetzt.
Beide Maßnahmen kritisieren Menschenrechtsorganisation wie Pro Asyl scharf. »Der Koalitionsvertrag kappt zentrale lebensrettende Maßnahmen«, moniert Pro-Asyl-Geschäftsführer Karl Kopp. »Wer reguläre Wege versperrt, zwingt Menschen auf lebensgefährliche Fluchtrouten. Dies betrifft auch Frauen und Mädchen aus Afghanistan, die dort laut europäischer Rechtsprechung massiv gefährdet sind«, so Kopp. Mit Blick auf die Aussetzung des Familiennachzugs für mindestens zwei Jahre betont er, sie verletze »das Menschenrecht auf Familie«, und behindere Integration. »Auch hier bleiben insbesondere Frauen und Kinder auf der Strecke – gerade jene, die am dringendsten Schutz benötigen«, sagt Kopp.
Ukrainer »herabgestuft«
Flüchtlinge, die nach der EU-Massenzustromrichtlinie nach Deutschland kommen, was Menschen aus der Ukraine betrifft, sollen ab sofort nicht mehr automatisch das Bürgergeld bekommen, sondern die niedrigeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Zudem soll künftig ihre Bedürftigkeit geprüft werden. Konkret bedeutet das, dass Alleinstehende monatlich 122 Euro weniger erhalten.
Mit vielen weiteren Maßnahmen werden künftig die Rechte von Menschen im Asylverfahren eingeschränkt. Andererseits will Schwarz-Rot künftige Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU vorantreiben, auch in solchen, zu denen die Betroffenen keine persönlichen familiären oder sonstigen Verbindungen haben. Dies verbirgt sich hinter der unscheinbaren Aussage, die künftige Koalition wolle »mit Blick auf Debatten um das Konzept der sicheren Drittstaaten eine Initiative zur Streichung des Verbindungselements« vorantreiben, um »Rückführungen und Verbringungen zu ermöglichen«.
- LTO, 10.04.2025 Wechsel der Verfahrensgrundsätze im Asylrecht im Koalitionsvertrag - Der Richter vor dem leeren Blatt
Die neue Bundesregierung will in Asylverfahren den Amtsermittlungsgrundsatz durch den Beibringungsgrundsatz ersetzen. Viele Richter blieben gelassen, es biete sich ein breites Spektrum an Ausgestaltungen. Andere sind alarmierter.
Es ist nur ein kurzer Satz im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung: Aus dem "Amtsermittlungsgrundsatz" muss im Asylrecht der "Beibringungsgrundsatz" werden. Damit bleibt ein Vorhaben, das bereits im Sondierungspapier angekündigt war, erst einmal bestehen. Vorstellen kann sich das in der Praxis niemand – weder Anwält:innen, noch Richter:innen. Ihre Reaktionen gehen von Aussagen von "rechtswidrig" bis zu "mal abwarten".
Es geht bei dem Vorhaben formal um eine grundlegende Änderung des Verfahrensrechts. Bisher gilt im Asylrecht der Amtsermittlungsgrundsatz. Danach müssen von Amts wegen hier durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im verwaltungsrechtlichen Verfahren oder die Vewaltungsrichter:innen im gerichtlichen Verfahren alle Informationen berücksichtigen, die für das Verfahren relevant sind und müssen entsprechende Ermittlungen anstellen. "Die Amtsermittlung ist ein Schlüsselinstrument zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit des Verwaltungshandelns", beschreibt Professor Wilfried Kluth auf dem Verfassungsblog. Beim Beibringungsgrundsatz hingegen, der bisher nur im Zivilrecht gilt, entscheiden die Parteien durch ihren Vortrag über den Gegenstand des Verfahrens.
Folge für die Gerichte könnten enorm sein. Dort, wenn man seinen Job ernst nimmt, sammeln die Richter:innen ein immenses Wissen über die Lagen in den jeweiligen Ländern an. Die ziehen Lageberichte des Auswärtigen Amtes, der NGOs wie Amnesty International oder dem UNHCR bei, um zu ermitteln, ob ein Mensch in seinem Herkunftsland gefährdet ist. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW in Münster hat für die Sammlung dieser Informationen eigens eine Informations- und Dokumentationsstelle eingerichtet. An den Verwaltungsgerichten werden Kammern nach Ländern gebildet, damit das Wissen der Richter:innen über die Länder möglichst effizient eingesetzt werden kann, inzwischen haben in vielen Bundesländern zudem einzelne Gerichte die Zuständigkeit für bestimmte Länder. All dies würde womöglich obsolet – zumindest bei den Gerichten.
Schon jetzt bestehen Mitwirkungspflichten
Denn nach dem Vorhaben der CDU und SPD-Regierung sollen die Asylbewerber:innen die Informationen künftig selbst beibringen. Das ist nur teilweise neu: Ihre individuelle Situation, die den Grund für ein Schutzrecht mit sich bringt, müssen die Menschen heute schon selbst in das Verfahren einbringen. "Der Asylkläger hat schon jetzt umfassende Mitwirkungspflichten", sagt ein Richter aus NRW, der namentlich nicht genannt werden möchte. "Insbesondere das individuelle Verfolgungsschicksal liegt in seiner Sphäre und ist darzulegen". Das ist den Fällen immanent: Zwar können die allgemeinen Länderberichte etwa zu Folter etwas darlegen, nicht aber die individuellen Vorkommnisse bei dem Schutzsuchenden.
Zu diesem Vortrag wird der Kläger bisher gerichtlich je nach Fall sehr umfassend befragt. Wie weitgehend es dabei umfassend bleiben kann, ist aber unklar. "Wenn es ähnlich wie im Zivilrecht wäre, bestünden dabei Grenzen", meint der NRW-Richter. Gegebenenfalls würden Rechte einer Partei verletzt, wenn man zu weitgehend fragt. Dazu – und das ist oft zu hören an diesem Donnerstag – müsste man jedoch die genaue Ausformulierung des Vorhabens abwarten, "es bietet sich ein breites Spektrum der Möglichkeiten". Im Grundsatz aber dürfte künftig gelten: Was nicht vorgetragen ist, muss unberücksichtigt bleiben.
Das dürfte auch für bereits vorhandenes Wissen der Richter:innen gelten. "In völliger Reinform betrachtet sitzt das Gericht vor einem leeren Blatt". Auch das vorher schon vorhandene Wissen des Gerichts wäre nicht Gegenstand des Verfahrens, sondern müsste eingeführt werden. "Ein versierter Rechtsanwalt führt die Berichte selbst in das Verfahren ein", meint der Richter, es obliegt dann denen, die Informationen zu beschaffen. Viele der Berichte sind jedoch öffentlich zugänglich.
Für Matthias Lehnert, Anwalt im Migrationsrecht und Mitglied beim Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) stellen sich dabei ganz praktische Fragen: "Wenn zwei Tage nach einer Verhandlung eine erneute Afghanistan-Sache bei derselben Kammer terminiert ist – sind die Informationen dann erneut einzubringen?" Denn: Wenn alle Anlagen jedes Mal übermittelt werden müssen und die Richter:innen alle Dokumente jedes einzelne Mal durchgehen, würde das zu einer erheblichen Mehrbelastung bei den Gerichten führen.
„Wer als Schutzsuchende:r nicht anwaltlich vertreten ist, dem wäre das unmöglich", sagt Lehnert, und für die Anwält:innen wäre es ein "riesiger bürokratischer Aufwand". Für den RAV habe "der Staat die Pflicht, Menschen zu schützen. Damit muss einher gehen, dass der Staat selbst die Asylgründe prüft und sich die Quellen zugänglich macht, das kann nicht dem Einzelnen überantwortet werden", so der Anwalt. Für ihn würde mit der Änderung das bestehende Asylrecht auf den Kopf gestellt.
Beweiserhebung im Herkunftsland?
Die Vorträge der Parteien müssen zudem gewürdigt werden. Bisher stellen die Richter:innen etwa selbst bei Bedarf Anfragen ans Auswärtige Amt, recherchieren zu Behandlungsmöglichkeiten oder Medikamentenversorgung im Herkunftsland. "Das würde zwar wegfallen, bis ein entsprechender Vortrag ins Verfahren eingeführt wird", so der Richter. "Der Richter muss den Vortrag aber verifizieren, zu einer Zeitersparnis würde man dabei nicht kommen".
Eine weitere Richterin ist überzeugt, dass dies "an der täglichen Arbeit alles ändern wird". Und auch sie hat Fragen: "Wenn der Kläger etwas substantiiert vorträgt, die Beklagte (Anm., das BAMF) bestreitet das – dann müsste man Beweis erheben. Aber wer würde die tatsächlichen Informationen beschaffen? Machen wir dann Beweiserhebung vor Ort?". Auch sie kommt allerdings mit dem Zweizeiler im Koalitionsvertrag nicht weiter und wird schauen, was die Koalition genau formuliert. Auch der NRW-Richter sagt: "Wir reagieren erst auf Gesetzesänderungen".
Dann könnte es zumindest vorübergehend an vielen Verwaltungsgerichten zum Erliegen der Rechtsprechung kommen, weil der Europäische Gerichtshof angerufen wird. Denn: "Der EuGH sagt klar, dass man sicherstellen muss, dass die Person keinen Schutz braucht, das folgt aus Art. 4 Qualifikationsrichtlinie und aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes", so führte es der Migrationsexperte Prof. Constantin Hruschka bereits gegenüber LTO aus. Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urt. v. 04.07.2019, Az. 1 C 31.18) mal entschieden, dass kein Flüchtlingsschutz erteilt werden muss, wenn man nicht sicher ist, dass die Person Schutz braucht – das sieht der EuGH allerdings anders. Ein Gericht, das gar nicht selbst ermitteln darf, kann aber die fehlende Schutzbedürftigkeit auch nicht sicherstellen.
Mit Blick auf die Richtlinie könnte die Abschaffung des Amtsermittlungsgrundsatzes also unionsrechtswidrig sein – und damit wird vermutlich sehr schnell ein:e Verwaltungsrichter:in das Verfahren, das nach dem Beibringungsgrundsatz geführt werden soll, dem Europäischen Gerichtshof vorlegen, lässt ein weiterer Richter anklingen. Sagen will das an diesem Tag aber niemand laut.
- ZDF, 09.04.2025 Expertin ordnet ein: Migration: So hat sich Schwarz-Rot geeinigt
Union und SPD haben sich auf ein Bündel von Maßnahmen zur Begrenzung der Migration geeinigt. Das ist geplant – und so bewertet Migrationsexpertin Victoria Rietig die Maßnahmen
Die Koalition aus CDU, SPD und CSU will nach eigener Formulierung "Migration ordnen und steuern und irreguläre Migration wirksam zurückdrängen". Besondere Betonung legt sie auf das Wort "Begrenzung", das als Ziel wieder ausdrücklich ins Aufenthaltsgesetz geschrieben werden soll.
Angekündigt wird ein "anderer, konsequenterer Kurs", wobei gleichzeitig auch dieser Satz festgeschrieben wurde: "Das Grundrecht auf Asyl bleibt unangetastet." Das wurde konkret vereinbart:
Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze
Es ist seit Jahren ein Streitfall, nun will es die schwarz-rote Koalition machen: Auch Asylsuchende sollen künftig an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden. Bislang wird das nur für Menschen praktiziert, die kein gültiges Visum oder eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis haben, nicht für Schutzsuchende.
Die Zurückweisungen sollen "in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn" erfolgen. Man sei bereits "in engem Dialog", sagte CDU-Chef Friedrich Merz bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Rechtlich sind die Zurückweisungen Schutzsuchender umstritten, weil etwa nach dem Europarecht jeder Mitgliedstaat verpflichtet ist, ein Asylbegehren zumindest auf die Frage hin zu prüfen, welches Land zuständig ist.
Migrationsexpertin: Zurückweisung "nicht so einfach"
Auch Victoria Rietig, Leiterin des Zentrums für Migration bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), äußert Zweifel: Zurückweisungen an der Grenze seien nicht so leicht umzusetzen. Zwar könne die Bundespolizei grundsätzlich auch unilateral zurückweisen - das sei in den vergangenen Jahren auch geschehen. Entscheidend sei jedoch nicht nur, ob Nachbarländer bereit seien, die Zurückgewiesenen wieder aufzunehmen.
"Es ist am Ende auch eine Kapazitätsfrage in Deutschland." Victoria Rietig, Leiterin des Zentrums für Migration bei der DGAP
Es stelle sich die Frage, ob überhaupt genügend Bundespolizisten zur Verfügung stünden, um flächendeckende Grenzkontrollen umzusetzen. Trotz zusätzlicher finanzieller und personeller Mittel höre man immer wieder, dass die vorhandenen Kapazitäten dafür nicht ausreichten.
Stopp von Aufnahmeprogrammen
Humanitäre Aufnahmeprogramme wie etwa das für Ortskräfte und Menschenrechtler in Afghanistan eingerichtete Kontingent sollen "soweit wie möglich" beendet werden. Neue Programme, mit denen besonders Schutzbedürftige direkt ausgeflogen werden, wollen Union und SPD laut Koalitionsvertrag nicht auflegen. Zum UN-Resettlement-Programm, über das besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus Camps in sichere Länder gebracht werden, findet sich nichts. Deutschland beteiligt sich seit vielen Jahren daran.
Familiennachzug aussetzen
Der Familiennachzug für Menschen mit subsidiärem Schutzstatus soll für zwei Jahre ausgesetzt werden. Seit 2018 können enge Angehörige dieser Flüchtlingsgruppe über ein Kontingent aufgenommen werden, das 1.000 Plätze pro Monat umfasst. Zuletzt kamen nach Angaben des Auswärtigen Amts mehrheitlich Minderjährige darüber nach Deutschland.
Subsidiären Schutz erhalten Menschen, die nicht direkt individuell verfolgt werden, in der Heimat aber etwa wegen eines Konflikts an Leib und Leben bedroht sind. In Deutschland geht es dabei vor allem um Syrerinnen und Syrer.
Familiennachzug aussetzen
Der Familiennachzug für Menschen mit subsidiärem Schutzstatus soll für zwei Jahre ausgesetzt werden. Seit 2018 können enge Angehörige dieser Flüchtlingsgruppe über ein Kontingent aufgenommen werden, das 1.000 Plätze pro Monat umfasst. Zuletzt kamen nach Angaben des Auswärtigen Amts mehrheitlich Minderjährige darüber nach Deutschland.
Subsidiären Schutz erhalten Menschen, die nicht direkt individuell verfolgt werden, in der Heimat aber etwa wegen eines Konflikts an Leib und Leben bedroht sind. In Deutschland geht es dabei vor allem um Syrerinnen und Syrer.
Abschiebungen steigern
Schwarz-rot will auch die Zahl der Abschiebungen weiter steigern. Ein Ansatz ist dabei, Herkunftsländer zur Rücknahme ihrer Staatsangehörigen zu bewegen. Dabei sollen laut Koalitionsvertrag künftig auch Politikfelder wie Visa-Vergabe, Entwicklungszusammenarbeit sowie Wirtschafts- und Handelsbeziehungen herhalten. Zudem soll der erst in der vergangenen Wahlperiode eingeführte, verpflichtend beigestellte Rechtsbeistand vor einer Abschiebung wieder abgeschafft werden.
- LTO, 09.04.2025 Was die neue Bundesregierung plant
... Zurückweisungen ja, Ausbürgerung von Doppelstaatlern nein
Obwohl zeitlich unbegrenzte Grenzkontrollen sowie Zurückweisungen von Asylsuchenden gegen europäische Regelungen verstoßen, beabsichtigt Schwarz-Rot, sie trotzdem einzuführen. Ziel ist die Bekämpfung der sogenannten irregulären Migration, also Einwanderung ohne Pass und/oder Visum. Aufrechterhalten bleiben sollen die Maßnahmen "bis zu einem funktionieren Außengrenzschutz" in der EU und bis die bestehenden EU-Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und des Dublin-Systems erfüllt werden. Ebenfalls beschlossene Sache war zuletzt, dass der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten, wie bereits 2016, für zwei Jahre ausgesetzt wird. Auch dieser ist rechtlich umstritten. Zudem sollen Algerien, Indien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden; weitere sollen zeitnah folgen.
Darüber hinaus will Schwarz-Rot die Liste an Straftaten erweitern, nach deren Begehung eine Ausweisung von Ausländern regelmäßig möglich ist. Das soll für Personen gelten, die "nicht unerheblich straffällig werden". Die Einschränkung "nicht unerheblich" ist ein Kompromiss: Nach den Vorstellungen der Union hätte es gar keine Einschränkung gebraucht, die SPD wollte das Wort "erheblich" hineinschreiben. Zudem müsse der Aufenthalt jeder Person beendet werden, die "gewalttätige Stellvertreterkonflikte auf deutschem Boden austrägt". Zu den im Koalitionsvertrag konkret genannten "schweren Straftaten", die bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe eine Regelausweisung begründet, zählen insbesondere Straftaten gegen Leib und Leben, gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie Volksverhetzung, antisemitisch motivierte Straftaten und Widerstand und tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte.
Der verfassungsrechtlich hochumstrittene Vorschlag der Union, im Staatsbürgerschaftsrecht die Möglichkeit der Ausbürgerung von Doppelstaatlern zu schaffen oder – wie es zuletzt hieß – auch nur zu prüfen, konnte sich letztlich nicht durchsetzen. Davon steht im Koalitionsvertrag nichts mehr.
Dafür sind aber zwei verfahrensrechtliche Einschränkungen der Ausländerrechte im Papier enthalten. So wurde die heikle Forderung "Aus dem 'Amtsermittlungsgrundsatz' muss im Asylrecht der 'Beibringungsgrundsatz' werden" aus dem Sondierungspapier übernommen. Auf Arbeitsgruppenebene war das noch umstritten. Im Rahmen der "Rückführungsoffensive" soll der Ausreisepflichtigen verpflichtend beigestellte Rechtsbeistand vor dem Vollzug der Abschiebung abgeschafft werden. Mit der ebenfalls umstrittenen Forderung, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern, konnte sich die Union auch nicht durchsetzen.