Taliban übernehmen Botschaft in Deutschland: Was das für hier lebende Afghan*innen bedeutet

13.11.2025 Aus den News von Pro Asyl:

Die Bundesregierung hat in den vergangenen Monaten den Taliban den Weg in die afghanischen Auslandvertretungen geöffnet. Das bringt Afghan*innen in Gefahr, weil sie sich bei Passangelegenheiten dem Unrechtsregime aussetzen müssen. Deutsche Behörden sollten stattdessen Ersatzpapiere ausstellen.

»Für viele afghanische Migranten stellt diese Präsenz eine ernsthafte Bedrohung dar. (…) Die Anwesenheit von Vertretern einer terroristischen Vereinigung (…) ist zutiefst beunruhigend. Sie verursacht Angst, Frustration und eine ernsthafte Bedrohung der Meinungsfreiheit und des zivilgesellschaftlichen Engagements afghanischer Migranten. (…) Ich fürchte [auch] welche Informationen sie über [afghanische] Personen in Deutschland sammeln.«

Diese Nachricht erreichte PRO ASYL von einem nach Deutschland evakuierten Afghanen, der wie viele andere Afghan*innen erschrocken und besorgt ist, seitdem Taliban-Vertreter die zwei afghanischen Konsulate und die Botschaft in Deutschland übernehmen. Seit dem 10. November 2025 hat  ein Talib auch im Konsulat in Bonn das Sagen, in dem Daten und Dokumente von Tausenden Afghan*innen aus ganz Europa lagern (mehr dazu weiter unten). Alle afghanischen Auslandsvertretungen in Deutschland stehen nun unter dem Einfluss der Taliban.

Afghanische Vertretungen entzogen sich zunächst der Taliban-Kontrolle

Das war zunächst anders. Nachdem die Taliban im August 2021 die Kontrolle über ganz Afghanistan erlangt hatten, erkannten weder Deutschland noch andere Länder das Regime als legitime Regierung an.

Diplomaten und Botschaftsmitarbeiter*innen, die noch von der Islamischen Republik Afghanistan eingesetzt worden waren, waren weiter unter der republikanischen Flagge ihres Landes tätig und weigerten sich, mit dem neuen Regime in Kabul zu kooperieren – toleriert von der Bundesrepublik. Sie übten dabei auch konsularische Dienstleistungen wie die Ausstellung von Geburtsurkunden, Passverlängerungen und – in engen Grenzen – auch die Ausstellung neuer Nationalpässe aus. Ebenso verhielt sich das afghanische Botschaftspersonal auch in anderen westlichen Ländern. Eine Ausnahme bildete in Deutschland das Generalkonsulat in München, das frühzeitig mit den Taliban zusammenarbeitete.

Druck aus Afghanistan und Deutschland

Doch die Taliban wollen die Kontrolle über sämtliche Auslandsvertretungen. Im Juli 2024 teilten die Taliban den Gastgeberstaaten afghanischer Auslandsvertretungen mit, dass sie ab sofort nur noch Dokumente anerkennen werden, die von mit Taliban kooperierenden Auslandsvertretungen ausgestellt wurden. Das ist vor allem für ein Anliegen der vorherigen und der aktuellen Bundesregierung ein Problem: Abschiebungen nach Afghanistan.

Die Ampel-Regierung drängte Afghanistans Botschafter in Berlin, Yama Yari, und den damaligen Generalkonsul in Bonn, Said Lutfullah Sadat, die beharrlich die Kooperation mit den Taliban verweigerten, zum Rücktritt. Am 18. November 2024 schließlich gaben die beiden Diplomaten nach, nachdem ihnen zuvor durch die Bundesregierung mit der kompletten Schließung der Auslandsvertretungen gedroht worden war. Sadat schrieb, laut Medienberichten, in einer Erklärung, dass er aufgrund »politischer Positionen einiger Länder, besonders der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union« sowie »politischer Erwägungen und Beschränkungen des Gastgeberlandes« nicht mehr seine »politische Unabhängigkeit« wahren könne.

Auf Anfrage der taz erklärte das Auswärtige Amt seinerzeit, dass »die beiden Leiter der afghanischen Vertretungen in Berlin und Bonn durch den Entsendestaat abberufen« worden seien. Dies sei »aus völkerrechtlicher Sicht bindend«. Deshalb habe die Bundesregierung hierauf eine »angemessene Frist« zur Räumung der Auslandsvertretungen gesetzt.

Bundesregierung will um jeden Preis abschieben

Am 22. Juli 2025 – und damit kurz nach der zweiten Abschiebung aus Deutschland nach Kabul und der ersten unter der neuen Regierung – wurde bekannt, dass die Taliban erstmals seit ihrer erneuten Machtübernahme ihr eigenes Konsularpersonal nach Deutschland entsandt hatten. Zwei ihrer Vertreter nahmen nach der Erteilung von Diplomatenvisa und ihrer Einreise nach Deutschland in der Botschaft in Berlin und am 10. November 2025 im Konsulat in Bonn die Arbeit auf. Damit stehen nun sämtliche afghanische Auslandsvertretungen in Deutschland unter der Kontrolle der Taliban. Das Auswärtige Amt beteuert, dass sie bisher nicht offiziell bestellt wurden. Doch in der Praxis ändert das wenig.

Obwohl afghanische Diplomaten und Menschenrechtsaktivist*innen genau davor gewarnt hatten, ließ die deutsche Bundesregierung die Taliban-Vertreter einreisen und verlieh ihnen den Diplomaten-Status. Der Grund, wie Innenminister Alexander Dobrindt in einem Interview einräumte: Sie sollen Abschiebungen afghanischer Straftäter unterstützen. Auch hier zeigt sich das aktuelle Motto der Bundesregierung: Abschiebungen um jeden Preis.

Taliban-Übernahme des Generalkonsulats in Bonn

Wegen dieser vom Taliban-Regime entsandten Diplomaten legten am 1. Oktober 2025 der zu dieser Zeit tätige Generalkonsul der Vorgängerregierung, Hamid Nangialay Kabiri, und die 22 Mitarbeitenden des Bonner Konsulats geschlossen die Arbeit nieder. Einer der Taliban-Vertreter hat nun die Führung des Generalkonsulats in Bonn übernommen.  Kabiri hingegen hat in Deutschland Asyl beantragt.

Besonders brisant an der Übernahme dieses Konsulats ist, dass es über eine große Datensammlung anderer afghanischer Botschaften und Konsulate, auch in Europa, Kanada und Australien, verfügt, die noch nicht von der Taliban geleitet werden. Diese Botschaften und Konsulate sind Anlaufstellen für Afghan*innen, die von den Taliban verfolgt werden, zur Beschaffung von afghanischen Dokumenten und Pässen. Und diese wollen unter keinen Umständen wieder mit ihren Verfolgern in Kontakt treten.

Sollten die Taliban-Vertreter nun Zugang zu diesen Daten haben, bedeutet dies unter Umständen, dass sie Informationen zum Verbleib geflüchteter Oppositioneller und Regimegegner*innen haben. Dass kann auch Angehörige dieser Personen in Afghanistan in existentielle Gefahr bringen.

Auswirkungen auf die afghanische Diaspora

In der afghanischen Community in Deutschland haben diese Entwicklung große Sorgen ausgelöst. Denn viele sind auf die Auslandsvertretungen ihres Herkunftsstaates angewiesen, wenn es beispielsweise um die Klärung ihrer Identität oder um die Ausstellung oder Verlängerung von Nationalpässen geht.

Folgen für Anerkannte nach Genfer Flüchtlingskonvention

Eine erste zwingende Ausnahme bilden hier jene als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention Anerkannten (GFK-Flüchtlinge), die vor staatlicher Verfolgung geflohen sind. Für sie gilt, dass sie nicht zum Kontakt mit dem Staat aufgefordert werden dürfen, der sie bedroht. Daher dürfen sie auch nicht zum Gang zu einer mit Taliban besetzten beziehungsweise kooperierenden Auslandsvertretung genötigt werden. Mithin darf ihnen auch die Beschaffung eines afghanischen Nationalpasses nicht abverlangt werden. Im Gegenteil gilt eine solche Beschaffung sogar als Paradebeispiel eines »Unter den Schutz des Herkunftsstaates stellen« im Sinne des § 73 Absatz 1 Nummer 1 Asylgesetz (AsylG), was zum Widerruf der Flüchtlingseigenschaft führen kann.

Die Passbeschaffung ist für sie aber unmittelbar nach der Anerkennung nicht nötig, da anerkannte Flüchtlinge einen vom anerkennenden Staat ausgestellten »Reiseausweis für Flüchtlinge« erhalten, der zu Reisen in all jene Staaten berechtigt, welche die Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt haben – mit einer Ausnahme: in den eigenen Herkunftsstaat, in dem staatliche Verfolgung droht.

Mit dem Reiseausweis für Flüchtlinge ist aber die Identität nicht unbedingt geklärt. Denn beruhen die Angaben allein von der als Flüchtling anerkannten Person und wurden während des Asylverfahrens nicht durch Dokumente aus dem Herkunftsstaat belegt, wird der Pass mit folgendem Hinweis versehen: »Die Personendaten beruhen auf den eigenen Angaben des Antragstellers.«

Bei der Beantragung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Einbürgerung sind aber auch anerkannte Flüchtlinge gezwungen, ihre Identität und Staatsangehörigkeit zu klären. Auch wenn anerkannte Flüchtlinge beispielsweise heiraten wollen, werden afghanische Dokumente benötigt. Haben die Personen diese nicht mit auf die Flucht nach Deutschland genommen, sie verloren oder können sie nicht über Verwandte in Afghanistan beschaffen, bleibt auch ihnen nur der Weg über die afghanischen Auslandsvertretungen in Deutschland.

Folgen für subsidiär Schutzberechtigte und Personen mit Abschiebungsverbot

Nicht so eindeutig wie für Flüchtlinge stellt sich die Situation für subsidiär Schutzberechtigte dar. Einen Reiseausweis für Flüchtlinge, der den GFK-Flüchtlingen vorbehalten ist, können sie nicht erhalten. Wenn sie ein deutsches Passersatzpapier erhalten wollen, kommt für sie nur der »Reiseausweis für Ausländer« nach den §§ 5 und 6 der Aufenthaltsverordnung (AufenthV) in Frage. Voraussetzung für dessen Erteilung ist, dass die antragstellende Person keinen Nationalpass besitzt und diesen auch nicht auf zumutbare Weise erlangen kann (§ 5 AufenthV).

Manche Verwaltungsgerichte meinen, dass aus der Nichtzuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Asylverfahren bereits geschlossen werden könne, dass subsidiär Schutzberechtigten die Passbeschaffung ohne das Hinzutreten besonderer Umstände grundsätzlich zumutbar sei, da nicht von einer individuellen Verfolgung ausgegangen wird. Die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer durch die Ausländerbehörde würde sonst der Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge widersprechen, denn sonst hätte die Behörde die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen (so etwa VG Münster, Urteil vom 23.06.2022, 3 K 823/20).

Hierbei wird aber verkannt, dass hier zwei Behörden ganz unterschiedliche Zuständigkeiten innehaben beziehungsweise ausüben: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) muss sich im Asylverfahren mit einer Verfolgung und dem Zusammenhang von Verfolgung und Verfolgungsgrund auseinandersetzen; die Ausländerbehörde hingegen mit der Frage, welche Handlungen einer Person zur Beschaffung eines Passes zugemutet werden kann.

Der Fachanwalt für Migrationsrecht Matthias Lehnert hat im Auftrag von PRO ASYL im März 2024 ein Gutachten erstellt, welches sich unter anderem mit der Frage auseinandersetzt, unter welchen Umständen subsidiär Geschützten die Passbeschaffung unzumutbar ist. Er kommt darin zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass jedenfalls dann, wenn die Bedrohungssituation subsidiär Geschützter »im materiellen Kern« mit jener von anerkannten Flüchtlingen vergleichbar ist, weil hier wie dort eine Menschenrechtsverletzung im Raum stehen, die von Seiten staatlicher Behörden droht oder von diesen begangen wurde, eine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung zu konstatieren ist.

Für Personen, die unterhalb des Flüchtlingsstatus und des subsidiären Schutzes ein nationales Abschiebungsverbot erhalten, ergibt sich aus dem Gutachten ebenfalls eine Voraussetzung zur Ausstellung eines »Reiseausweises für Ausländer«. Demnach sei von einer Unzumutbarkeit der Passbeschaffung auszugehen, wenn sich die konkreten Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit, die nach den Feststellungen des BAMF bei einer Rückkehr drohten, sich bereits verwirklichen würden, wenn die Person in dessen konsularischer Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland die Ausstellung eines Passes beantragen würde.

Unzumutbarkeit der Passbeschaffung für Afghan*innen

Die größte Gruppe der Anerkennungen afghanischer Staatsangehöriger liegt nach aktuellen Zahlen bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (etwa 50 Prozent der Schutzsuchenden). Bei ihnen stellt sich – wie oben dargestellt – das Problem einer erzwungenen Kontaktaufnahme zu afghanischen Auslandsvertretungen zum Beispiel vor Beantragung einer Niederlassungserlaubnis oder dem Einbürgerungsverfahren schon von Gesetzes wegen nicht.

Ein Viertel der Schutzsuchenden, die kleinste Gruppe, sind subsidiär Schutzberechtigte, bei denen es darauf ankommt, ob der drohende ernsthafte Schaden von staatlichen Institutionen ausgeht.

Personen mit Abschiebungsverbot stellen mit etwa einem Drittel der Schutzsuchenden die zweitgrößte Gruppe dar. Dabei ist davon auszugehen, dass die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) festgestellte drohende Gefahr für Leib und Leben regelmäßig nicht unmittelbar von den Taliban ausgeht, sondern der katastrophalen Versorgungslage in Afghanistan zuzuschreiben ist. Diese verhindert, dass Menschen dort für ihre grundlegendsten existenziellsten Bedürfnisse oder für ihre medizinische Betreuung sorgen können. Eine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung wird sich zwar nach den obigen Grundsätzen nicht feststellen lassen, allerdings muss gefragt werden, ob es nicht auch andere Umstände gibt, die zu einer Unzumutbarkeit bei der Passbeschaffung führen können.

Unzumutbarkeit auf Grund der Zahlungen an Verbrecherregime 

In dem vom Rechtsanwalt Matthias Lehnert erstellten Gutachten vom März 2024 wurde konkret die Situation von syrischen und eritreischen Schutzsuchenden nach solchen Faktoren untersucht. Der Gutachter stellt in Frage, ob Zahlungen, die im Rahmen der Passbeschaffung und Identitätsklärung an einen Staat erfolgen, überhaupt zumutbar sein können, wenn dieser Verbrechen verübt, einen völkerrechtswidrigen Krieg führt oder mit Sanktionen belegt ist. Zusammenfassend stellt er fest, dass wenn bei der Passbeschaffung unangemessen hohe Zahlungen von einem solchen Staat erhoben werden, davon auszugehen ist, dass die Einnahmen diese Verbrechen mitfinanzieren. Deshalb müssten nach seiner Auffassung Syrer*innen (nach damaligem Stand) und Eritreer*innen allein deshalb Reiseausweise für Ausländer erhalten.

In Bezug auf das Taliban-Regime in Afghanistan muss die Preisentwicklung beobachtet werden, um feststellen zu können, ob auch hier von einer grundlegenden Unzumutbarkeit der Passbeschaffung auszugehen ist, weil mit den Zahlungen Verbrechen der Taliban mitfinanziert werden.

Folgen für Menschen, die aus Afghanistan evakuiert wurden

Es gibt aber eine Gruppe, die außerhalb des Asylverfahrens Aufnahme in Deutschland gefunden hat: Diejenigen, die ab der Machtübernahme der Taliban nach Deutschland evakuiert oder aufgenommen wurden und hier Inhaber*innen von Aufenthaltserlaubnissen nach § 22 S. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) (Ortskräfteverfahren, Menschenrechtsliste, Überbrückungsprogramm) und § 23 Abs. 2 AufenthG (Bundesaufnahmeprogramm) sind.

Nach diesen Normen ist für die Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesministerium des Inneren oder die von ihm bestimmte Stelle die Aufnahme zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland erklärt hat.

Dies betrifft in Bezug auf Afghanistan zum einen die Ortskräfte, die bis zur erneuten Machtergreifung der Taliban für deutsche Stellen Unterstützung geleistet haben und denen auf Grund dieser Tätigkeiten Verfolgung durch die Taliban drohen. Zum anderen erhielten über diese Norm Menschenrechtsaktivist*innen, Journalist*innen, Kulturschaffende und anderen Personen, z.B. vulnerable Personen wie LSBTIQ+-Menschen oder Frauen, Aufnahmezusagen, die aufgrund ihres Engagements für Demokratie und Menschenrechte oder ihrer regimekritischen Tätigkeit unmittelbar einer massiven Gefährdung ausgesetzt sind.

All diesen Personen haben gemeinsam, dass sie – ebenso wie jenen Afghan*innen, denen das BAMF die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen hat – durch deutsche Behörden und Botschaften anerkanntermaßen Verfolgung durch Taliban fürchten müssen.

Sie können zwar gemäß § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG nach Ermessen von der Passpflicht befreit werden und gegebenenfalls so auch ohne Nationalpass eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Ohne Pass oder Passersatz ist es ihnen aber nicht möglich zu reisen.

Wie bei subsidiär Schutzberechtigten (s.o.) ist für diesen Personenkreis aus Sicht von PRO ASYL von der Unzumutbarkeit der Passbeschaffung auszugehen und ergo auf Antrag ein Reiseausweis für Ausländer auszustellen, wenn die Bedrohung »im materiellen Kern« mit jener von Flüchtlingen vergleichbar ist, weil sie von staatlichen Stellen ausgeht. Betroffene Personen sollten sich an Beratungsstellen oder Fachanwält*innen wenden. Das ist im Falle der nach § 22 AufenthG aus Afghanistan aufgenommenen Personen eindeutig der Fall.

Izatullah und Afsana: Präsenz der Taliban eine »echte Bedrohung«

Besonders eindrücklich ist die Geschichte von Izatullah* und Afsana*. Izatullah hatte in der Zeit der Islamischen Republik Afghanistan 15 Jahre lang verschiedene Positionen als Journalist, Aktivist und hochrangiger Regierungsbeamter inne. Afsana*, die eine bekannte Ärztin und Frauenrechtsaktivistin ist, arbeitete in Afghanistan auch mit ausländischen Kräften zusammen.

Alle Zukunftsträume platzen im Sommer 2021 mit der Machtübernahme der Taliban. Aus Angst vor Verfolgung floh das Paar aus seiner Heimatstadt und versteckte sich zunächst für mehrere Monate in Kabul, war aber auch dort nicht sicher.

Das Paar hatte Glück. Izatullah und Afsana erhielten im Frühjahr 2022 eine Aufnahmezusage, konnten nach Deutschland fliehen und den Schrecken und die Gefahr hinter sich lassen. In Deutschland angekommen, erhielten sie eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 22 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und fühlten sie sich sicher. Bis zum Sommer 2025. Afsana musste ihren Pass im afghanischen Konsulat verlängern lassen. Ohne den gültigen Pass besteht das Risiko, dass sie ihre Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert bekommt. Doch bei ihrem Termin im Konsulat erkannte sie einen Taliban-Vertreter. Auch über Medienberichte erfuhr das Paar von den zwei Taliban-Vertretern, die Visa für konsularische Dienste erhalten haben. 

Iza­tul­lah und Afs­a­na sind in Afgha­ni­stan mas­siv durch die Tali­ban bedroht. In Deutsch­land aber sol­len sie im Kon­su­lat den Ver­fol­gern gegen­über­tre­ten und die Pass­ver­län­ge­rung erbe­ten. Iza­tul­lah äußert sich besorgt: »Die Nach­richt über die Anwe­sen­heit eines Tali­ban-Ver­tre­ters in der afgha­ni­schen Bot­schaft war scho­ckie­rend, ins­be­son­de­re für mich, da ich wäh­rend der Repu­blik in zivi­len und staat­li­chen Insti­tu­tio­nen gear­bei­tet habe. Für vie­le afgha­ni­sche Migran­ten stellt die­se Prä­senz eine ernst­haf­te Bedro­hung dar. (…) Die Anwe­sen­heit von Ver­tre­tern einer ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung (…) ist zutiefst beun­ru­hi­gend. Sie ver­ur­sacht Angst, Frus­tra­ti­on und eine ernst­haf­te Bedro­hung der Mei­nungs­frei­heit und des zivil­ge­sell­schaft­li­chen Enga­ge­ments afgha­ni­scher Migran­ten. (…) Ich fürch­te [auch] wel­che Infor­ma­tio­nen sie über [afgha­ni­sche] Per­so­nen in Deutsch­land sam­meln«, schreibt er dem PRO ASYL Beratungsteam.

Wie kann es dem Paar zuge­mu­tet wer­den, den Men­schen, die ihre Zukunft zer­stört und ihr Leben bedroht haben wie­der ent­ge­gen tre­ten zu müs­sen? Das Flucht­schick­sal des Paa­res ist ver­gleich­bar mit Per­so­nen, die in Deutsch­land als Flücht­lin­ge aner­kannt sind. Schon des­halb soll­ten sie mit der Ertei­lung der Auf­ent­halts­er­laub­nis nach Para­graf 22 Auf­enthG – oder zumin­dest dann, wenn der afgha­ni­sche Pass sei­ne Gül­tig­keit ver­liert – einen »Rei­se­aus­weis für Aus­län­der« erhal­ten. Zudem dro­hen Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen in Afgha­ni­stan, durch einen Bot­schafts­be­such, Bedro­hung und Repres­sio­nen durch die Taliban.

 

Deutschland darf nicht mit den Taliban zusammenarbeiten

Deutsch­land hat sich mit der Auf­nah­me gefähr­de­ter Afghan*innen ver­pflich­tet, für ihren Schutz zu sor­gen. Glei­ches gilt für Per­so­nen, die im Rah­men des Asyl­ver­fah­rens einen Schutz­sta­tus erhal­ten haben. Die­ser Ver­pflich­tung kann die Regie­rung nach­kom­men, indem eine kla­re Wei­sung über das Bun­des­mi­nis­te­ri­um des Inne­ren (BMI) an die Aus­län­der­be­hör­den erfolgt, dass Per­so­nen mit einer Auf­ent­halts­er­laub­nis nach den Para­gra­fen 22 und 23 Auf­enthG die Pass­be­schaf­fung unzu­mut­bar ist und somit ein Anspruch auf die Aus­stel­lung eines »Rei­se­aus­wei­ses für Aus­län­der« besteht.

Im Fall von GFK-Flücht­lin­gen soll­te im Fal­le der Bean­tra­gung einer Nie­der­las­sungs­er­laub­nis und Ein­bür­ge­rung, wie im Stu­fen­mo­dell auch vor­ge­se­hen, nicht auf die Vor­la­ge des Natio­nal­pas­ses zur Iden­ti­täts- und Staats­an­ge­hö­rig­keits­klä­rung beharrt wer­den, son­dern ande­re afgha­ni­sche Doku­men­te unmit­tel­bar zur Prü­fung ange­nom­men wer­den. Zudem soll­ten die Aus­län­der­be­hör­den ange­wie­sen wer­den, im groß­zü­gi­gen Ermes­sen gefähr­de­ten Afghan*innen mit sub­si­diä­rem Schutz und natio­na­len Abschie­bungs­ver­bo­ten eben­falls »Rei­se­aus­wei­se für Aus­län­der« auszustellen.

Die Visa für die Tali­ban-Ver­tre­ter und die Zusam­men­ar­beit mit den Tali­ban für den Zweck der Abschie­bun­gen sind Teil eines Pro­zes­ses, mit dem das Regime auf der inter­na­tio­na­len Büh­ne nor­ma­li­siert und ver­harm­lost wird, trotz der mas­si­ven Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen und der bei­spiel­lo­sen Unter­drü­ckung von Mäd­chen und Frau­en in Afgha­ni­stan. PRO ASYL kri­ti­siert dies seit län­ge­rem scharf. Die inter­na­tio­na­le Äch­tung der Tali­ban darf nicht aus innen­po­li­ti­schen Grün­den unter­lau­fen wer­den. Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan sind ange­sichts der schlech­ten men­schen­recht­li­chen und huma­ni­tä­ren Situa­ti­on vor Ort ein Ver­stoß gegen das völ­ker­recht­li­che Abschie­bungs­ver­bot und dür­fen nicht stattfinden.