Verspätete Aushändigung neuer Aufenthaltskarten, Unklarheit über Fiktionsbescheinigungen

06.12.2021 Mehrere Tausend neue Aufenthaltskarten können nicht, wie benötigt, fristgerecht noch im Dezember ausgehändigt werden. Dies erklärte der Leiter des Bonner Ausländeramtes, Wald, im Rahmen einer Online-Veranstaltung mit Ehrenamtlichen. Wegen der Pandemiebeschränkungen können die Termine zur Ausgabe nicht eingehalten werden. Die elektronisch lesbaren Karten sollen bis in den Januar oder Februar hinein durch städtische Mitarbeiter*innen zugestellt werden.

Keine gültige Aufenthaltskarte in der Tasche, juristisch vielleicht kein Problem, aber: "Die Folgen für zugewanderte Menschen können einschneidender nicht sein: Sie verlieren ihren Arbeitsplatz oder ihre Ausbildungsstelle, erhalten keine Transferleistungen mehr und geraten in Mietschulden. Auch mit „Fiktionsbescheinigungen“ hat man oft keinerlei Chance auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt. Die von Ausländerbehörden geforderten „Integrationsleistungen“ können nicht erbracht werden – weil genau dieselbe Behörde dies durch Untätigkeit verhindert.", stellt der Flüchtlingsrat NRW fest (s. unten) 

Der verspätete Erhalt der Karten verunsichere, ihr Fehlen führe verschiedentlich zu Problemen, denn sowohl "Arbeitgeber als auch z. B. Wohnungsgeber, Versicherungen, Banken und Sparkassen erbitten die Vorlage des elektronischen Aufenthaltstitels als Nachweis eines weiteren Aufenthaltsrechts". Die Funktion der Fiktionsbescheinigungen oder formlose Ersatzschreiben, die stattdessen ausgestellt werden, ist vielfach unklar. Das geht aus einem Bericht des WDR-Politikmagazins Westpol hervor, der am 5. 12.2021 unter dem Titel NRW-Ausländerbehörden überlastet das landesweite Problem darstellte. Wir zitieren:

NRW-Ausländerbehörden überlastet

Von Janina Werner

Die Corona-Pandemie hat auch vor den Ausländerbehörden nicht Halt gemacht. Normale Prozesse, wie die Verlängerung von Aufenthaltsgenehmigungen, zogen sich über Monate hin. Mit gravierenden Folgen für die Betroffenen, wie Westpol-Recherchen zeigen.

Die Ausländerbehörde entscheidet über sein Leben. Oder mindestens darüber, wo und wie er es führen kann. Deshalb wollte der junge Mann nur mit Westpol sprechen, wenn wir seinen Namen und seine Herkunft nicht nennen. Er hat Angst, dass seine Kritik ihm negativ ausgelegt werden könnte. Für diesen Text soll er David heißen.

David stammt aus Afrika und ist seit mehreren Jahren in Deutschland. Er hat die Sprache gelernt, sich einen Ausbildungsplatz gesucht. Doch im Sommer lief seine Aufenthaltsgenehmigung ab. Normalerweise wird dann ein Termin bei der Behörde vereinbart, um eine Verlängerung zu beantragen. Für die Zeit, in der der Fall geprüft wird, wird eine sogenannte Fiktionsbescheinigung ausgestellt. Ein normaler bürokratischer Prozess, der so im Aufenthaltsgesetz steht.

Doch bei David kommt es anders, erzählt er uns: "Die erste Fiktionsbescheinigung ist abgelaufen, dann habe ich einen Termin gemacht, um weitere zu bekommen. Aber ich musste einen Monat auf die nächste warten. In der Zeit hatte ich nichts, auch keine Arbeitserlaubnis." David muss in dieser Zeit seine Ausbildung pausieren und bekommt kein Kindergeld, weil er keinen gültigen Aufenhaltstitel vorlegen kann.

Mehr Fiktionsbescheinigungen werden ausgestellt

So schlimm wie David trifft es nicht alle Menschen mit Aufenthaltstitel in NRW. Doch viele hatten in den vergangenen Wochen und Monaten Probleme. Denn viele Ausländerämter in NRW sind wegen der Corona-Pandemie überlastet und verlängern keine Aufenthaltserlaubnisse mehr, sondern stellen nur noch Fiktionsbescheinigungen oder formlose Ersatzschreiben aus. Mit der Fiktionsbescheinigung sollte es rechtlich eigentlich keine Probleme geben, aber Städte und Kreise berichten Westpol, dass es in Praxis anders sein kann.

Die Stadt Bochum beispielsweise schreibt: "Allerdings ist diese Rechtsfolge nicht allgemein bekannt und sowohl Arbeitgeber als auch z. B. Wohnungsgeber, Versicherungen, Banken und Sparkassen erbitten die Vorlage des elektronischen Aufenthaltstitels als Nachweis eines weiteren Aufenthaltsrechts. Reisen ins Ausland können je nach Art der Fiktionsbescheinigung ausgeschlossen sein."

Überlastete Behörden

Westpol hat eine Abfrage bei sämtlichen Ausländerämtern im Land gemacht: rund 50 haben geantwortet. Viele Behörden räumen ein, dass es bei den Verlängerungen der Aufenthaltstitel zu Verzögerungen kommen kann. Laut unserer Abfrage stellen mindestens 13 Ausländerämter formlose Ersatzschreiben aus, weil sie mit der Bearbeitung der eigentlichen Ersatzlösung, der amtlichen Fiktionsbescheinigung, nicht mehr hinterherkommen.

Gravierende Folgen für Betroffene

Der Flüchtlingsrat NRW warnt vor den Folgen für zugewanderte Menschen: "Sie verlieren ihren Arbeitsplatz oder ihre Ausbildungsstelle, erhalten keine Transferleistungen mehr und geraten in Mietschulden. Auch mit "Fiktionsbescheinigungen" hat man oft keinerlei Chance auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt."

Das zuständige Integrationsministerium geht auf die Fragen von Westpol, wie das Problem gelöst werden soll, nicht ein und verweist auf die Herausforderungen der Corona-Pandemie.

David hatte inzwischen ein bisschen Glück. Er konnte seine Ausbildung wieder aufnehmen. Ob er das Kindergeld rückwirkend gezahlt bekommt, ist aber noch unklar. Seine neue Fiktionsbescheinigung ist bis zum Sommer gültig. Er hofft, dass die Probleme dann nicht wieder beginnen."

 

Auf die schwierige Lage hatte der NRW.Flüchtlingsrat mit einer Presseerklärung aufmerksam gemacht.

03.12.2021 | Aktuell, Presseerklärung des FRNRW

Ausländerbehörden in NRW kollabieren – Flüchtlingsrat NRW mahnt: Existentielle Folgen für zugewanderte Menschen

Viele Ausländerbehörden in NRW sind für zugewanderte Menschen kaum mehr erreichbar. Dabei sind zugewanderte Menschen in existentieller Weise auf die Behörden angewiesen, besonders bei der Verlängerung von Aufenthaltspapieren aller Art. Ein Grund dafür ist bei einigen Ausländerbehörden die chronische personelle Unterbesetzung. Allein in der Ausländerbehörde in Bochum sind momentan 5.000 Verfahren offen. Die Zugangsbeschränkungen zu den Behörden und das Home Office vieler Sachbearbeitenden verschärfen die Lage noch mal drastisch.

Der Zugang zu den Ausländerbehörden ist unterschiedlich geregelt. Das Ergebnis ist aber oftmals dasselbe: E-Mails oder Briefe gelangen manchmal gar nicht zu den Akten, werden wochen- oder monatelang nicht beantwortet, Telefonleitungen sind blockiert, Menschen werden an den Eingangstüren von Ausländerbehörden abgewiesen. Besprechungstermine sind weit voraus terminiert, so beträgt die Wartezeit für einen Termin bei der Ausländerbehörde in Essen mitunter ein Jahr.

Manche Ausländerbehörden verlängern derzeit keine Aufenthaltserlaubnisse mehr, sondern stellen nur noch sog. Fiktionsbescheinigungen, manchmal sogar nur selbstgebastelte „Verlängerungszettel“, aus.

Die Folgen für zugewanderte Menschen können einschneidender nicht sein: Sie verlieren ihren Arbeitsplatz oder ihre Ausbildungsstelle, erhalten keine Transferleistungen mehr und geraten in Mietschulden. Auch mit „Fiktionsbescheinigungen“ hat man oft keinerlei Chance auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt. Die von Ausländerbehörden geforderten „Integrationsleistungen“ können nicht erbracht werden – weil genau dieselbe Behörde dies durch Untätigkeit verhindert. 

Dazu Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrat NRW e.V.: „Wir erleben an vielen Stellen absolutes Chaos und ungeordnete Verfahren. Die „Ordnungsbehörden“ scheinen mit ihren Aufgaben sichtlich überfordert zu sein. Minister Stamp muss endlich handeln, um den Betroffenen weitere Nachteile zu ersparen!“

Der Flüchtlingsrat NRW fordert daher von Minister Dr. Stamp (MKFFI):

  • Maßnahmen insbesondere zur Unterstützung der personellen Aufstockung des Personals in den Ausländerbehörden, um Zugang und Erreichbarkeit der Ausländerbehörden wiederherzustellen,
  • Die Ausländerbehörden anzuweisen:­
    • ausreichend Präsenzbesucherzeiten in den Ausländerbehörden unter Corona-Schutzregeln zu gewährleisten,
    • die uneingeschränkte Erreichbarkeit auch für Menschen ohne digitale Zugänge sicherzustellen und
    • dem Personal bei Home Office den Zugriff auf alle behördlichen Kommunikationswege und für die Sachbearbeitung erforderlichen Bürodaten zu ermöglichen.

 

Für Rückfragen stehen wir unter der angegebenen Telefonnummer zur Verfügung.
Birgit Naujoks, Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen e.V.