... weil es uns reicht!

Kommentar des Kölner Flüchtlingsrates e.V. zur aktuellen flüchtlingspolitischen Situation

Verletzung der Menschenrechte in der EU

Wir erleben zurzeit in der Europäischen Union und auch in Deutschland, wie leicht und einfach es ist, Recht zu beugen, Recht zu brechen und menschenrechtliche Standards auszuhebeln.
Die EU ist hinsichtlich einer gemeinsamen rechtsstaatlichen Flüchtlingspolitik sowie einer den Menschenrechten verpflichteten Wertegemeinschaft gescheitert. Von der leichten Aufbruchsstimmung auf dem Gipfel der EU-Staatschefs von Tampere 1999, die eine Harmonisierung des Asylrechts mit gleichen Standards bei der Aufnahme der Flüchtlinge und der Ausgestaltung der Asylverfahren prophezeite, ist nichts mehr übrig.

Wir haben keine Flüchtlingskrise, sondern eine politische Krise der EU, eine neue Phase der Entdemokratisierung, der Entsolidarisierung und der Entmenschlichung! Die Zielsetzung des Friedensnobelpreisträgers ist klar: Drastische Reduzierung der Zugangszahlen. Und hier sind fast alle Mittel Recht:

  • Die Außenmauern der EU sollen so gut wie unüberwindbar,
  • die Aufnahmebedingungen radikal verschärft,
  • die nationalen asyl- und ausländerrechtlichen Regelungen dramatisch verschärft und
  • die Zahl der Abschiebungen erhöht werden.

Nein, diese Maßnahmen sind nicht Recht - sie sind Unrecht!

Die Schließung der sog. Balkanroute, der militärische Ausbau der südöstlichen EU-Außengrenzen, der entlarvende „Flüchtlings-Deal“ der EU mit der Türkei und Vieles mehr führen dazu, dass Flüchtlinge in ihrer Not wieder gezwungen werden, gefährliche Fluchtwege zu nehmen. Die EUPolitiker_innen kennen dieses Dilemma genau und nehmen es billigend in Kauf, dass die Zahl der Toten wieder steigt. In diesem Jahr sind es schon fast 3.000 Menschen, die im Massengrab Mittelmeer ihr Leben lassen mussten. Der UNHCR spricht vom bislang ‚tödlichsten Jahr‘! Was für ein
kaltschnäuziger Zynismus der Politik!

Und der Merkel-Erdogan-Pakt? - ‚Schlicht illegal‘ – das sagt der Menschenrechtskommissar des Europarates, da sowohl die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als auch die Genfer Flüchtlingskonvention verletzt würden. Auch der UNHCR spricht von Vertragsbruch: die Abschiebung von Flüchtlingen in die Türkei breche die Verpflichtung, jeden Einzelfall zu prüfen. Es kümmert niemanden. Es gibt keine Sanktionen. Rechtsbruch ist salonfähig und die Bundesregierung hält die Türkei für einen ‚sicheren Drittstaat‘, wohl wissend, dass syrische Flüchtlinge von der Türkei nach Syrien abgeschoben werden.

Was wir in der EU und auch in Deutschland zurzeit erleben, ist eine klare Verletzung der Menschenrechte: Einerseits wird mal die Genfer Flüchtlingskonvention ausgehebelt und dann mal die UN-Kinderrechtskonvention. Hier wird mal der Rechtsstaat de facto außer Kraft gesetzt und an anderer Stelle wird das, was es an Resten europäischer Richtlinien noch gibt, vollkommen konterkariert – und das sogar noch mit Schulterklopfen, Augenzwinkern oder freundlichem Zunicken.

Anti-Integrationsgesetz in Deutschland

In Deutschland gibt es seit Oktober 2015 zwei dicke Asylpakete mit dramatischen Auswirkungen auf die Rechte von Flüchtlingen, auf ihren Schutz, ihre Versorgung und ihre Inklusionsmöglichkeiten. Das jetzt von der Bundesregierung vorgelegte Integrationsgesetz ist ein Anti-Integrationsgesetz und verstößt gegen das Menschenrecht, den Schutzbedarf individuell überprüfen zu müssen.
Das Wort ‚Bleibeperspektive‘, das im Herbst 2015 konstruiert wurde, dient im wesentlich nur zu einem: Menschen ohne „Bleibeperspektive“ auszugrenzen und sie möglichst schnell abzuschieben. Dabei bedient man sich im Rahmen der Asylverfahren der Selektion in die Kategorien A, B, C und D. ‚B‘ sind diejenigen ohne ‚Bleibeperspektive‘ – das weiß man in Deutschland schon vor der Asylantragstellung – und ihre Anliegen werden in Schnellverfahren abgewickelt. Für sie gilt: Ausbildungs- und Arbeitsverbot, keine Schulpflicht, keine Überführung in die Kommunen, Sachleistungen statt Bargeld.

Wir fürchten, dass dies noch nicht das Ende sein wird. Wir haben demnächst bayerische Landtagswahlen und nächstes Jahr Wahlen in NRW und im Bund. Die Gesetzesverschärfungen enthalten jetzt schon viele AfD- und PEGIDA-Positionen. Statt sich von rassistischen Parteien und Strömungen klar abzugrenzen, indem europäische Werte wie das Menschenrecht verteidigt und eine gerechte Sozialpolitik betrieben wird, buhlen die großen Parteien mal wieder am rechten Rand um Wählerstimmen. 1239 Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte wurden im Jahr 2015 dokumentiert, wobei mindestens 345 Flüchtlinge verletzt wurden. In diesem Jahr sind es bislang schon über 1.100 Straftaten. Man hofft, die Wähler_innen würden bei einer restriktiven Ausländerpolitik nicht AfD wählen. Da wird man sich täuschen. Wer die Menschenwürde missachtet und rechtliche Standards aushebelt, der öffnet Rechtsextremist_innen und Rechtspopulist_innen Tür und Tor – auch für ihre Hetze zur angeblichen Ungleichwertigkeit von Leben.

Und in Köln?

Hier bringt man über 5.500 Flüchtlinge, vor allem besonders Schutzbedürftige, nicht nur kurzfristig in Hallen unter. Familien mit Kindern, Schwangere, Neugeborene, Traumatisierte, Behinderte – alle! In Hallen ohne Türen und oft auch ohne jegliche Abtrennungen. Es sind nicht nur 24 Turnhallen, nein, es sind auch andere Hallen, ehem. Baumärkte, Gewerbehallen oder Leichtmetallhallen. Manche haben ‚Kojen‘, das sind Schneckenkammern ohne Türen. Statt den kommunalen sozialen Wohnungsbau für Geringverdiener_innen systematisch anzukurbeln, möchte die Stadt Köln die Turnhallen leeren, indem andere Hallenformen hergerichtet werden. Das ist alles.

  • Gewaltschutzkonzepte für Frauen und Kinder? Fehlanzeige.
  • Systematische Identifizierung von besonders Schutzbedürftigen und entsprechendes Belegungsmanagement? Fehlanzeige.

Eine solche Unterbringungspolitik ist fehlgeleitet und dürfte auch in vielen Fällen rechtswidrig sein. Denn sie widerspricht nicht nur dem Inklusionsgedanken und dem gesunden Menschenverstand, sondern auch dem Schutz der Menschenwürde, dem Persönlichkeitsrecht, dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und dem Kindeswohl.

Auch im Kölner Alltag nehmen Anfeindungen und Angriffe gegen Flüchtlinge zu. Nach Silvester trauen sich nunmehr auch bestimmte Milieus der bürgerlichen Mitte, öffentlich zu hetzen. Und racial profiling – von der Kölner Polizei ‚verdachtsunabhängige Personenkontrollen‘ genannt, weil es zumindest hierzu eine rechtliche Grundlage gibt, findet auch in einigen Kölner Kneipen statt. Dort haben bestimmte Personengruppen, z.B. ‚nordafrikanisch aussehende‘ Menschen, keinen Zutritt.

Der Flüchtlingsschutz ist nicht von Gott oder König gegeben. Wie immer, wenn es um Menschenrechte geht – vor allem, wenn es (wie jetzt) um die Substanz grundlegender Rechte geht –, muss man sie verteidigen oder aber erstreiten. Und ab einem bestimmten Punkt kann man auch keine Kompromisse mehr eingehen.
Dieser Punkt ist erreicht!

>> zur vollständigen Sonderausgabe der Flüchtlingspolitische Nachrichten, Juni 2016