wöchentliche Mahnwache „Unser Europa rettet – Leave No One Behind“

bis 19:30, Bonner Markt

Trotz Dunkelheit, zunehmender Kühle und Corona-Einschränkungen: Die wöchentlichen Mahnwachen können weitergehen und werden fortgesetzt:

Die Bonner Lokalgruppen von Jugend Rettet e.V., Sea-Eye e.V. und Seebrücke unterstützt durch das flüchtlingspolitische Forum weltoffen Bonn und das Team des Frauen*streik Bonn rufen am Mittwoch, 18. November, um 18.30 Uhr zu einer Mahnwache auf dem Bonner Marktplatz auf. Es ist die 22. wöchentliche Mahnwache in Folge, die die Aktivist*innen unter Berücksichtigung der Corona-Sicherheitsvorkehrungen abhalten, um auf Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Außengrenzen aufmerksam zu machen.

Bei der Mahnwache am 11.11.2020 redete vor den ca 30 Teilnehmer:innen u.a. Rainer van Heukelum von der Seebrücke Bonn. Er sagte:

An einem besonders kalten Winterabend im Jahre 334 trifft ein junger römische Offizier namens Martin am Stadttor von Amiens im römisch verwalteten Gallien einen halbnackten Bettler, vor Kälte erstarrt, an dem alle Welt achtlos vorübergeht. Von diesem Elend angerührt und weil er nichts bei sich trägt als seine Kleidung am Leibe, zieht er in einem plötzlichen Entschluss sein Schwert und schneidet den weiten Soldatenmantel mittendurch. So kann sich der Arme mit der einen Hälfte bedecken,während Martin sich in die andere hüllt. Übrigens: Martin lässt sich bald darauf taufen und wenige Jahre später löst er für sich den Konflikt zwischen Kriegsdienst und Liebesgebot, indem er aus dem Militärdienst ausscheidet.

Und heute? 1700 Jahre danach? Auf dem Viktoriaplatz im Zentrum von Athen leben die Migrant*innen wie menschliches Treibgut. Geflohen aus Syrien, Afghanistan oder afrikanischen Staaten, gestrandet erst auf Lesbos, im Flüchtlingslager Moria, von den Wellen der europäischen Flüchtlingspolitik weitergetragen in die Hauptstadt, ins Nichts, in ein unglaublich aussichtsloses Leben. Sie sind alle legal hier in Athen, als anerkannte Asylbewerber*innen. Sie tauschten mit ihrer Anerkennung als Asylbewerber ein Zelt im inzwischen abgebrannten Lager Moria gegen einen Platz auf Beton im Zentrum von Athen. Sieht so die sichere Zuflucht aus, die Griechenland mit den Asylpapieren verspricht? Ohne ärztliche Versorgung, ohne Essen und Wasser, ohne Dach über dem Kopf, unter freiem Himmel?

Die Tat des heiligen Martin steht wie die Geschichte vom barmherzigen Samariter im NT beispielhaft für die im Christentum geforderte Nächstenliebe. Was charakterisiert diese Tat?

Martin schaut nicht weg und reitet seines Weges, sondern unterbricht sein Handeln und lässt sich anrühren von der Erscheinung des frierenden Bettlers. Er sagt nicht, die anderen sollen auch mal etwas tun. Er denkt sich nicht, das Problem muss ich erst einmal mit meinen Kollegen besprechen. Er wartet nicht auf eine gemeinsame römische Lösung aller in Gallien stationierten Kohorten zum Umgang mit Bettlern. Er fragt sich auch nicht, ob seine Handeln vielleicht einen Pulleffekt auslöst und er andere Bettler anlockt, denen er womöglich auch von seinem Mantel abgeben muss. Nein, für ihn ist der Sinn des Gebots der Nächstenliebe klar: Jedem Menschen in Not muss unabhängig von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, sozialem Status oder Religion geholfen werden. Punkt. Schluss. Dieses Gebot der Nächstenliebe ist auch ein Grundpfeiler des Wertesystems, auf dem die EU basiert.

Die Situation in Griechenland, ob auf dem Festland oder in den Lagern auf den Inseln, aber auch anderswo, wo Menschen in humanitärer Not sind, belegt eindrücklich, wie sehr Europa diesen Grundpfeiler missachtet, ja konterkariert: sich nicht von humanitären Notlagen berühren lassen, sondern wegsehen; nicht tatkräftig und kurz entschlossen handeln, sondern Lösungen auf die lange Bank (sprich „europäische Lösung“ ) schieben; die Migration nicht als politisch zu bewältigende Herausforderung annehmen, sondern durch die Aufrechterhaltung unerträglicher Zustände von ihr abschrecken.

In normalen Zeiten stünden hier heute auf dem Marktplatz Tausende von Kindern mit dem Darsteller des Heiligen Martin und würden mit Liedern und Szenen an die Mantelteilung von vor 1700 Jahren erinnern und damit auch an das damit einhergehende Gebot.

In Corona-Zeiten übernehmen wir das mit unserer Mahnwache und machen gleichzeitig auf die Diskrepanz zwischen den Werten der EU, den hehren Worten der Politiker*innen und deren (Un) Taten aufmerksam. ...